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Culture-Trash

In heiterer Feel-Good-Atmosphäre verhandeln Culture-Clash-Komödien wie Almanya – Willkommen in Deutschland das Zusammentreffen verschiedener Kulturen. Abdeljalils Daikhis Orient-Express nach Wien dagegen verzichtet auf die humorvolle Auseinandersetzung und begegnet dem Thema leise und betulich, berichtend und belehrend.

Von Anna-Marie Mamar

Die Wirren unserer globalisierten Welt, in der diverse Kulturen unausweichlich aufeinandertreffen, werden zunehmend thematisiert und reflektiert. Dies schlägt sich vor allem in der Culture-Clash-Komödie à la Almanya – Willkommen in Deutschland, Kebab Connection, Alles koscher oder Türkisch für Anfänger nieder, die stets in heiterer Feel-Good-Atmosphäre mal liebevoll und amüsant, mal plakativ und übertrieben an ein besseres Miteinander der Mehrheitsgesellschaft mit religiösen und ethnischen Minderheiten appelliert oder die Auseinandersetzung des Helden mit den eigenen Wurzeln verhandelt, während sie spielerisch Klischees und Vorurteile ad absurdum führt.

Dieser Trend wird auch literarisch unterfüttert, beispielsweise in Helen Cross’ Ohne mich. In Abdeljalils Daikhis Orient-Express nach Wien findet sich die übliche humorvolle Auseinandersetzung mit der multikulturellen Gesellschaft jedoch nicht. Leise und betulich, weniger komödiantisch, vielmehr berichtend und belehrend skizziert Daikhi das Zusammentreffen von Orient (personifiziert durch den Ich-Erzähler, einem jungen tunesischen Mann) auf Okzident (repräsentiert durch eine ältere Frau aus Wien).

Buch


Abdeljalils Daikhi
Orient-Express nach Wien
Optimus Verlag: Göttingen 2011
200 Seiten, 12,95 €

 

Optimus Verlag

Im Februar 2008 gründete Alexander Mostafa den Optimus Verlag mit dem Anspruch, ehrliche und faire Verlagsarbeit zu leisten. Optimus versteht sich vor allem als Wissenschaftsverlag, dennoch gibt es auch Ausflüge zur Belletristik, wie mit Abdeljalils Daikhis Orient-Express nach Wien. Nähere Informationen zum Verlag auf der Webseite.
 
 
Die beiden Protagonisten des Romans stoßen in einem Wiener Café aufeinander, das der junge Tunesier während eines dreitägigen Zwischenstopps bei seiner Durchreise im Orient-Express in Richtung Heimat täglich aufsucht. In seinen Aufzeichnungen betitelt der Erzähler sein Gegenüber ehrfurchtsvoll als »Dame von Wien«, mit der er zunächst noch zaghaft, zunehmend jedoch vertrauter diskutiert, schweigt oder beobachtet, der er zuhört oder der er erzählt. Zusammen lässt das ungleiche Duo die unmittelbare Umgebung Teil der Betrachtungen werden. Gemeinsam schweifen sie aber auch in entlegene Gegenden, in die historische oder auch in die ganz eigene, persönliche Vergangenheit, ab. Dabei spart Daikhi neben filigranen, berührenden Betrachtungen leider nicht an unzähligen, belanglosen Aphorismen, plumpen Weisheiten wie »Jemanden zu lieben heißt ja nicht, sich selbst aufzugeben, damit der oder die andere aufblüht« und auch nicht an ebenso oberflächlichen Analysen unserer Gesellschaft, die mit moralisierendem Zeigefinger ins Gespräch eingeflochten werden.

Was ein feinsinniges Gesellschaftsporträt hätte werden können, dringt leider selten in die Tiefe: Aufgrund des anfänglichen Beschlusses, nur im Modus eines gemeinsamen Konsenses zu reden, »Das Gespräch wird viel schöner, wenn wir die Fragen, die zwischen uns eine Krise verursachen könnten, ganz weglassen«, findet selten eine richtige Zwiesprache oder ein Austausch statt. Ja, wenn die Welt doch nur so einfach wäre, wie sie im Kosmos dieser beiden Figuren exemplifiziert wird! Man könnte Gefallen daran finden, dass der »Kampf der Kulturen«, über den die beiden aufgrund der Huntington-Lektüre der »Dame von Wien« stolpern, leichtfertig weggewischt wird:

An unserem Tisch befindet sich eine kleine Welt: Das Café befindet sich in Wien, der Cappuccino ist italienisch, der Kaffee ist aus Kenia oder Brasilien, die Kellnerin kommt aus Asien, du bist aus dem Orient und ich stamme aus Europa! Gehören wir und all diese Dinge zu ein und derselben Kultur? Natürlich nicht. Kämpfen wir gegeneinander? Natürlich nicht. Alles, was sich hier im Café abspielt, ergibt einen neuen Geschmack, der keinen klaren Ursprung, sondern viele Ursprünge hat.

Das sind nette Ideen, die es aber trotz ihres Wahrheitsgehalts nicht vermögen, einen neuen Horizont zu eröffnen. Dem Leser droht ohnehin schon früh die Gefahr, abzuschweifen, denn der Dialog verläuft über weite Teile schleppend, verliert sich immer wieder in Monologen, gepaart mit den romantisch verzückten, mystifizierenden und sinnlichen Beschreibungen des Ich-Erzählers über seine »Dame von Wien«, die selten sonderlich subtil ausfallen:

Auf ihren Lippen nisteten noch Spuren eines Frühlings, und öffnete sie sie zum Sprechen, so verliehen ihr deren geschmeidige Bewegungen die blühende Anmut einer Dreißigjährigen. Das helle Rot dieser Lippen war in solchen Momenten noch immer ein Rosenparadies.

So wird das Wiener Café, Inbegriff der Wiener Tradition, kein Austragungsort von Diskursen und die alte »Dame von Wien« nur der glorifizierte Inbegriff dieser antiquierten Wien-Imagination.

Vielleicht lässt sich der große Erfolg Daikhis Debütromans in seinem einstigen Heimatland Tunesien dadurch erklären, dass diese literarisch vielleicht wenig originelle, aber dennoch wohlgesonnene Geschichte einer interkulturellen Begegnung ein Plädoyer an das respektvolle, harmonische Miteinander ist. Dieser Geschichte geht im Deutschen leider jedoch einiges abhanden, da die Übersetzung teilweise etwas hölzern klingt und infolgedessen dem Text seinen Reiz nimmt.



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 Veröffentlicht am 5. Januar 2012
 Kategorie: Belletristik
 Mit freundlicher Genehmigung vom Optimus Verlag Göttingen.
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 Ein Kommentar
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Ein Kommentar
Kommentare
 Silvana Zehnpfennig
 25. Februar 2012, 12:44 Uhr

Wohlmöglich wird die Kunstfertigkeit im Schreibsstil des Autoren auch schlichtweg übersehen, welche, wenn ich die zitierten Inahlte des Romans kommentieren darf, von einer außerordentlichen Leidenschaft zum Schreiben zeugen.
Erzählungen sind nach meiner Auffassungen nicht bloß wegen der Inhalte zu taxieren, sondern auch nach dem Kunststil zu erachten, welcher dem Künstler auch anerkannt werden darf.
Dass die gegenwärtige Gesellschaft den Sinn für das Schöne und Ästhetische in der Schrift verloren hat, dies liegt nicht in der Macht des Autoren, dies zu ändern.

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