Es wurde ein bunter und fulminanter Abend. Das Literarische Zentrum lud zum Abschluss der Herbst-/Wintersaison zum ersten Debütantinnenball in seine Fachwerkhallen. Dort gab es frisches Autorenblut zu lecken, das nach ganz unterschiedlichem Geschmack war und außerdem: einen DJ und Musik.
Von Birte Müchler
Franziska Wilhelm, Britta Schröder und Funny van Money sind die Backfische unter den Autorinnen der deutschen Literaturwelt und sollen an diesem Abend Ende Januar traditionell unter Zeugen in die literarische Gesellschaft eingeführt werden. Die Zeugenschaft – das ist ein gemischtes Publikum von studentischen Zwanzig- bis zu lebenserfahrenen Siebzigjährigen. Vorne sitzen die Familien und Freunde der Debütantinnen, zu erkennen am stolzen Gemurmel und wissenden Geschmunzel während der Lesung.
Nicht nur für die Jungautorinnen ist alles neu, auch das Literarische Zentrum feiert mit dem heutigen Ball ein Debüt: Seit Beginn der einjährigen Planung freut sich das Team auf die Veranstaltung im neuen, originellen Format. Dieses wird in der kommenden Frühjahressaison in der Version eines männlichen Debütantenballs ein Sequel erhalten.
Ganz so traditionell beginnt unser Ball dann zunächst doch nicht: Minimalistische, aber lässige Elektromusik wird vom eigens engagierten DJ (Phillip Künstler) eingespielt, während die drei Ehrengäste gefolgt von Martin Bruch, dem neuen Leiter des Freiburger Literaturbüros und Moderator des Abends, den literarischen Tanzsaal betreten.
Ursprünglich ist der Debütantenball ein Brauch aus England, bei dem die jungen Damen der Aristokratie offiziell der Gesellschaft bei Hofe vorgestellt wurden und fortan an als heiratsfähig galten. Zugegebenermaßen gelingt der Anschluss zum heutigen Abend nur mit viel Schwung, aber letztendlich gehen auch Leser und Roman gefühltermaßen einen treuen Ehebund ein – wenn auch nur auf Zeit. Dass die Debütantinnen reif sind für die Gesellschaftseinführung, das beweisen sie im Zwiegespräch mit Martin Bruch.
Adam Green im Nirgendwo irgendwo in OstdeutschlandFranziska Wilhelm ist die erste auf dem Parkett. Eigentlich kommt die gebürtige Erfurterin und nun bekennende Leipzigerin aus der Welt des Poetry Slams, wo sie sich mit der Leipziger Lesebühne Schkeuditzer Kreuz bereits einen Namen gemacht hat. Keck kommt sie daher, dreht sich freudestrahlend von der einen Seite des Publikums zur anderen, versucht immer wieder den Blick irgendeines Zuschauers zu erhaschen. Man merkt ihr an, dass die literarische Bühne eigentlich schon lange ihr Zuhause ist. Für ihren Debütroman Meine Mutter schwebt im Weltall und Großmutter zieht Furchen ist es heute jedoch die erste öffentliche Lesung. Die offizielle Veröffentlichung ist erst in zwei Wochen, womit sie Göttingen den Vorzug erteilt – denen in Leipzig wird das ganz und gar nicht gefallen, wispert sie hinter vorgehaltener Hand.
Das Schreiben eines Romans, das versichert uns Franziska, ist um einiges nervenaufreibender als das Verfassen eines Kurztexts. Dafür sei es umso erleichternder, die eigene Geschichte am Ende in den Händen zu halten. Dass ihr erster Langtext jedoch witzreich sein soll, dass sei ihr nie aufgefallen, erzählt die Autorin verblüfft, als sie das Publikum beim Lesen ungewollt zum Lachen bringt. Die Pointendichte auf der Lesebühne sei nunmal um ein vielfaches höher, sie selbst habe den Roman im Gegensatz zu den meisten Lesern aber als ernst und traurig empfunden.
Es ist ein makabres, aber berührendes Bild, welches Franziska mit ihrem Text und heute Abend mit ihrer Stimme in unsere Köpfe malt. Man spürt das Herzblut, das sie in die Vorort-Recherche investiert hat. Das Sportplatzkneipen-Sujet mag befremdlich sein, für Franziska ist es jedoch ein sozialer Ort, an dem man mit Fußballkinder-Muttis und Stammgästen den Tag bei Bier und Bockwurst verbringen kann. Das Leben der Menschen in der strukturschwachen, ostdeutschen Landschaft habe sie zum Teil selbst miterlebt. Es sei beschreibenswert, wie diese Menschen nach dem großen Jubel der Wende zu kurz gekommen sind. Die Romanheldin Milla bricht aus diesem öden Alltag mitten im Nirgendwo aus und macht sich zusammen mit Kalle, einem geretten Selbstmord-Anwärter, und dessen Bulli auf in Richtung Bratislava. Doch es ist nicht nur der turbulente Roadtrip, der dem Roman Kontur gibt, sondern auch das jahrzehntelang gewachsene Familiengeflecht zwischen den Enders-Frauen aus dem sich Milla schrittweise befreit.
Liebevoll widmet sich Franziska den Figuren und ihren Geschichten. Dass sie Adam Greens Baby’s gonna die tonight als Einspieler vor ihrer Lesung auswählte, passt da wie die Faust auf’s Auge – morbide, aber betörend schön ist der Soundtrack, der den Roman begleitet und uns den ersten schwungvollen Tanz des Abends bescherte.
Chaos, Ordnung und die trockenste Wüste der WeltBritta Schröder schlägt mit ihrem Zwölfender ruhigere, beinahe lakonische Töne an. Die Stimmungsabweichung zur vorigen Buchvorstellung nimmt sie ganz selbstironisch: Es seien ja bloß zwölf Kapitel, wir bräuchten keine Angst zu haben.
Britta leitet direkt mit einer Lesung ein. Ihr Roman beginnt schmerzhaft: Stakkatoartig formt die Ich-Erzählerin in kargen, aber intensiven Beschreibungen das Gefühl eines Handknochenbruchs, welcher eine veränderte Weltwahrnehmung nach sich zieht. Für einen kurzen Schockmoment sorgt gleich das erste Kapitel. Steril beschreibt die Protagonistin einen Besuch bei ihrem Vater, dem gegenüber sie nur Verachtung empfinden kann. Beinahe emotionslos stößt sie ihm nach einer knappen Unterhaltung ein Küchenmesser in den Körper und verlässt das Haus in ruhigen Schritten – das ist unerwartet, deswegen verstörend, aber es funktioniert. Die Erdolchung, so legt die Autorin ihre Schreibstrategie dar, reiße der Erzählerin den Boden unter den Füßen weg; es seien die Parameter der normalen Welt, die schlagartig aufhörten zu wirken. Eine an die Tat anknüpfende Reise nach Florida bedeute sodann den Austritt aus ihrem Leben. Letztlich führt der Weg die Protagonistin nach Chile, in die trockenste Wüste der Welt.
Nach dem Studium in Marburg und Köln ist Britta Schröder mittlerweile als Lektorin in einem Kunstbuchverlag in Frankfurt am Main tätig. Das Zeitproblem der doppelten Berufung, verkündet sie scherzhaft, löst sie durch eine zweite Verdoppelung: Eine Britta säße zu Hause und schreibe, die andere arbeite zeitgleich im Verlag. Mit dem Rollenwechsel habe sie versucht, den objektiven Blick auf das Geschriebene zu bewahren, doch ihr sei nur allzu bewusst, dass der Blick von außen für eine Autorin unvermeidbar ist.
Der letzte Tanz des Abends ist Funny van Money versprochen. Ihr Eingangslied Private Dancer von Tina Turner lässt die Töne seicht und sexy vibrieren und schafft damit, wenn auch etwas ungelenk, den Bogen zu einem Buch ganz anderer Art. Der Roman This is Niedersachsen und nicht Las Vegas, Honey ist Funnys erster Coup, doch bereits im April 2014 wird ihr zweiter Roman Wie ich auszog, mich auszuziehen (Piper) erscheinen.
Funny studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim bevor sie nach Berlin zog. Das Romanthema war ursprünglich der Stoff ihrer Diplomarbeit, die sich irgendwie verselbstständigte und über Umwegen beim Verlag landete. Eine Vorbildstudentin sei Funny unter den angehenden Jungautoren in der Autoren-Ausbildungsstätte Hildesheim jedoch nicht gewesen: Aus der ersten Schreibwerkstatt sei sie schnell rausgeflogen, da sie sich die vorgegebenen Regeln des Kreativen Schreibens nicht vorbehaltlos einverleiben wollte (Florian Kessler lässt freundlich grüßen). Ihre Geschichte sei vielmehr aus einem Zufall entstanden. Da Funny das Studium mit Tabledance finanzierte, kam sie auf die Idee, den Nebenjob mit ihrer Diplomarbeit zu verbinden.
So entpuppt sich ihr Roman als eine Art Autobiografie; dies wird nicht zuletzt daran sichtbar, dass Autorin und Erzählerin Namensschwestern sind. Letztere ist es leid, während des Studiums von der Hand in den Mund zu leben und beschließt, eine Tabledance-Karriere zu starten, um »a million dollar« zu machen. In einem amüsanten Tonfall schildert sie ihren Weg dorthin, erzählt unverstellt von ihrem ersten Private Dance und beschreibt alle Strapazen, die mit dem unkonventionellen Nebenjob einhergehen. Erstaunlich abgeklärt und derb, aber mit einem ironischen Blick auf die Szenen, wird von einer Frau erzählt, die sich selbst genau beobachtet, während sie lernt, sich von anderen beobachten zu lassen.
Der Abend klingt abschließend mit launiger Musik, gratis Glühwein und dem ein oder anderen Getränk an der Bar aus. Ob das Tanzbein geschwungen wird oder nicht – der Ball hat dem Vorhaben der literarischen Gesellschaftseinführung der drei sympathischen und ambitionierten Debütantinnen beste Dienste geleistet.
Der ursprüngliche Debütantenball aus England wurde übrigens erst 1958 in London abgeschafft. Königin Elizabeth II war der Meinung, die Vorführung bei Hofe sei nicht mehr zeitgemäß. Das ist natürlich Quatsch.