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Den Dingen auf den Grund gehen

Die Party ist vorbei. In diesem Sommer feierte die Universität Göttingen ihren 275. Geburtstag und verlor fast gleichzeitig ihren Elite-Status. Auch von den Feierlichkeiten ist nur noch die Ausstellung Dinge des Wissens in der Paulinerkirche samt Begleitband übrig geblieben. Noch bis zum 7. Oktober hat sie geöffnet. Die Monsters of Göttingen nehmen sie für LitLog in zwei Gastbeiträgen auseinander. Und setzen sie wieder zusammen. Als erstes richtet ottter sein Augenpaar auf die Dinge des Wissens.

Von ottter / Monsters of Göttingen

Sabine Kawalla hat nicht nur in den 1970er Jahren in Göttingen Theologie studiert, sie war auch die zehntausendste Besucherin der Ausstellung Dinge des Wissens in der Paulinerkirche. Einen Strauß Blumen und den Begleitband brachte ihr dieser Zufall ein. 10.000 Besucher_innen. Wann hat das zuletzt eine Ausstellung in Göttingen geschafft?! Eigentlich schon Beweis genug, dass die Ausstellung sehenswert ist. Wobei natürlich klar ist, dass die Masse irren kann – ja, dass sie meistens irrt. In diesem Fall aber nicht.

Die Unfassbarkeit bändigen

»Göttingen – Stadt, die Wissen schafft.« So lautet der pfiffige Slogan des Stadtmarketings, mit einem Wortspiel hart an der Schmerzgrenze. Seisdrum: Wie viel Wissen wurde in 275 Jahren Universität Göttingen wohl geschaffen? Für einen Menschen allein ist es nicht erfassbar, schon eine akademische Disziplin ist für unseren begrenzten Verstand zu viel. Einen sehr guten Eindruck von der Vielfalt der Forschung an der Georgia Augusta in Vergangenheit und Gegenwart gibt aber die Ausstellung. Jedes der ausgestellten Objekte hat eine Geschichte, und oft ist sie sehr spannend. Aus den 30 Sammlungen, Museen und Gärten der Universität wurden sie zusammengetragen. Nachzulesen sind die Schicksale ausgewählter Objekte auch im Begleitband zur Ausstellung.

Das bewegte Leben der Dinge

Der Superstar unter den Dingen ist sicher der Vizeheliotrop von Carl Friedrich Gauss. Früher hat er mal Berühmtheit erlangt und dürfte den meisten noch vom 10-DM-Schein in Erinnerung sein. Dort war das Vermessungsgerät abgebildet – samt seines im Göttinger Cheltenham-Park begrabenen Erfinders Gauss. Doch Ruhm ist bekanntlich vergänglich. Der Euro wurde dem Vizeheliotropen zum Verhängnis. Aber nur seinem Abbild: Das Original freut sich in der Paulinerkirche über die neuerliche Aufmerksamkeit, die man ihm zukommen lässt.

Ausstellung


Georg-August-Universität Göttingen (Hg.):
Dinge des Wissens. Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen.
Wallstein: Göttingen 2012
350 S. mit 315 farb. Abbildungen, 19,90 Euro.

Die Ausstellung Dinge des Wissens ist vom 3. Juni bis 7. Oktober 2012 in der Paulinerkirche, Papendiek 14, zu sehen.
Öffnungszeiten: Di – So 11 – 18 Uhr

 

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Fast schon ein Krimi ist die Geschichte der »taunga« aus der ethnologischen Cook/Forster-Sammlung. Diese raffinierte Rattenfalle von der Inselgruppe Tonga im Südpazifik gelangte im 18. Jahrhundert nach Göttingen. Wenig später wurde ein Duplikat erstellt. Eine der beiden Fallen wurde Jahre danach an das heutige Landesmuseum in Hannover abgegeben. Später behaupteten beide Sammlungen, sie besäßen die echte taunga. Erst eine Analyse des Holzes brachte die Gewissheit: Die Göttinger hatten versehentlich das schlechter erhaltene Original in die Landeshauptstadt abgetreten. Was die Göttinger taunga aber eigentlich noch interessanter macht – womöglich hätte sie es sonst gar nicht in die Ausstellung geschafft.

Hinter den Dingen

Dieser peinliche Fauxpas weist auf die nächste Ebene hin, die die Ausstellung neben den reinen Objekten und ihren Geschichten eröffnet: Sammeln, Archivieren, Inventarisieren. Für die meisten sicher nicht so spannend wie die Dinge selbst, dennoch für einen solchen Fundus wie den der 30 Göttinger Sammlungen unabdingbar – wie der Fall der taunga zeigt. Ausstellung und Begleitband bieten darüber hinaus noch weitere Hintergrundinformationen zu den universitären Sammlungen. Zum einen technische: Wie werden die Objekte beispielsweise restauriert und erhalten? Oder ethische: Zahlreiche Dinge kamen in der Kolonialzeit und im Dritten Reich unter inakzeptablen Umständen in den Besitz der Universität. Nicht zuletzt werden didaktische Hintergründe mitgeliefert: Welche Rolle spielen die Gegenstände in der Lehre?

Den Tod im Uterus

Ein eindrucksvolles Beispiel zur Einbindung von Objekten in den universitären Unterricht liefert das Skelett einer Giraffe, die ein Jahr vor Ausstellungsbeginn noch am Leben war. Ein Video zeigt in der Ausstellung den aufwändigen Restaurationsprozess und erzählt das Schicksal der ehemaligen Bewohnerin des Gelsenkirchener Zoos. Majanga war schwanger, doch kurz vor der Geburt verstarb ihr Junges. Durch den Geburtskanal konnte das verwesende Giraffen-Baby nicht entfernt werden und ein Kaiserschnitt hätte ebenfalls Majangas Tod bedeutet. So verendete auch die von Infektionen geplagte Giraffen-Mutter schließlich. Der eigene Nachwuchs war ihr zum Verhängnis geworden. Fachmenschlich zerlegt und wieder zusammengesetzt steht Majangas Skelett jetzt in der Paulinerkirche und soll danach in das biologische Museum übergehen. Studierenden soll anhand der Anatomie unter anderem erklärt werden, wie sich savannenbewohnende Huftiere an ihre Umgebung anpassen.

Weitere kurze Aufsätze im Begleitband geben Einblicke in die Geschichte der Göttinger Sammlungen, in Sinn und Unsinn des akademischen Sammelns und viele verwandte Themen. Es gelingt den Macher_innen des Buches dabei, das ungeheure Wissen der Georgia Augusta auf 350 Seiten zu bändigen. Wie die Ausstellung bietet einem der Begleitband die Möglichkeit zum ausführlichen Stöbern im Uni-Archiv. Nur dass andere den mühseligen Teil der Arbeit bereits übernommen haben.



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 Veröffentlicht am 1. Oktober 2012
 Kategorie: Misc., Wissenschaft
 Bild von den Monsters of Göttingen
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