Wieviel Autor steckt in einem Regisseur? Verdient er überhaupt diese Bezeichnung? Diesen Fragen nimmt sich Caroline Lodemann in ihrer 2010 erschienenen Dissertation Regie als Autorschaft. Eine diskurskritische Studie zu Schlingensiefs ›Parsifal‹ an. Wiebke Schuldt hat sie gelesen und für LitLog rezensiert.
Von Wiebke Schuldt
Das Theater, lästert Strindberg 1888, sei »immer eine Volksschule für die Jugend, die Halbgebildeten und die Frauen gewesen«1 – gelegentlich könnte man meinen, diese polemische Position werde von der Literaturwissenschaft zur Legitimation chauvinistisch anmutender Seitenhiebe auf die Theaterwissenschaft fruchtbar gemacht. Warum sonst sollte die Literaturwissenschaftlerin Caroline Lodemann in ihrer 2010 erschienenen Dissertation Regie als Autorschaft. Eine diskurskritische Studie zu Schlingensiefs ›Parsifal‹ sich an den »Versuch einer Ausweitung der genuin literaturwissenschaftlichen Fragestellung nach dem Autor« (S. 15) auf das durch »wissenschaftliche[s] Stiefkinddasein« (S. 14) geprägte Regietheater machen?
Die Frage nach dem Status und der Einordnung des Regisseurs ist keine neue. Anfang des 19. Jahrhunderts, als erstmals der Name des Regisseurs auf dem Bühnenzettel erscheint, beginnt eine programmatische Debatte um Inszenierungen und das »Autorenrecht des Regisseurs«2, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt.3 Doch während der Autor nach jahrzehntelanger Verbannung als Bedeutungskonstante seit geraumer Zeit wieder im Zeichen der »Rückkehr«4 steht, überlebte der Dramatiker die Debatte um den Tod des Autors geradezu unbeschadet – und verhinderte mithin die wissenschaftliche Etablierung des Regisseurs als Bedeutungskonstante.
Allerdings, so die These Lodemanns, sei der Regisseur derjenige, der die Aufmerksamkeit bündele, der als eine Art Label für eine bestimmte Art zu inszenieren eine wichtige Funktion im Diskurs über das Theater erfülle und somit als eine Art Autor verstanden werden könne. Trotz des »transitorischen Status« (S. 16) der Aufführung, die sich auf einen Text beziehen kann, es aber nicht muss, und die vor allem keinen materiellen Bestand aufweise, diene der Regisseur – entsprechend der Autorfunktion im Sinne Foucaults – als Ordnungskategorie verschiedener Diskurse. Dies spiegele sich beispielsweise im juristisch verankerten Recht auf Namensnennung oder in der historischen Einordnung von Inszenierungen wider.
Regie als AutorschaftDer »Anfangsverdacht« der Studie, dass es sich auch bei der Regie um geistige Urheberschaft handele, gründet in der »possessiven Verhältnisbeschreibung von Regisseur und Aufführung« (S. 12) wie sie zum Beispiel in der Rede von »Schlingensiefs Parsifal« offensichtlich wird. Diese Beziehung zwischen Regisseur und Aufführung wird im Paradigma von Autorschaft als ein »Verhältnis der Inklusion, nicht der Äquivalenz« (S. 65) beschrieben; anhand von Christoph Schlingensiefs Bayreuther Parsifal-Inszenierung wird diese These auf die Probe gestellt. Obwohl Richard Wagner, mit seinem Namen auf der Partitur, die Autorenrolle bereits besetzt, werden dem Regisseur bestimmte Absichten und die Verantwortlichkeit für die Inszenierung zugeschrieben, die ihn als »Autor der Aufführung« (S. 12) installieren.
Dass Konzepte und Funktionen von Autorschaft und mithin von Regie nicht nur historisch, sondern auch systematisch variabel sind, zeigt die unterschiedliche Relevanz des Regisseurs als Autor in verschiedenen Kontexten: Gemessen an der öffentlichen Resonanz übertrifft die Geltung Schlingensiefs als Aktionskünstler oder als Intendant der Berliner Volksbühne die bei den Bayreuther Festspielen bei weitem.
Einzig der Untertitel der Studie »Eine diskurskritische Studie zu Schlingensiefs Parsifal« könnte in zwei Punkten falsche Erwartungen wecken. Zum einen rekurriert sie mit dem Begriff der Intentionalität dezidiert auf hermeneutische Vorannahmen, die in einem unklaren Verhältnis zur diskursanalytischen Perspektive stehen. Und zum anderen liegt der Schwerpunkt auf der theoretischen Begründung von Regie als Autorschaft, gegliedert in Kapitel zu Regie, Autorschaft und transtextuellen Beziehungen. Die im zweiten Teil folgende Fallanalyse zu Schlingensief, dem jüngst verstorbenen Provokateur der deutschen Theater- und Kunstlandschaft, erscheint vielmehr als Exemplifizierung und Ausdifferenzierung der aufgestellten Heuristik.
Tückisch ist das Beispiel nicht nur, weil Bayreuth die wohl starrsten Regeln und Abläufe der deutschen Theaterlandschaft aufweist und Wagner mit seinem Konzept des Gesamtkunstwerks die Funktionen von Dramatiker, Komponist und Regisseur in seiner Person vereint, sondern auch, weil Schlingensief als Vertreter der sogenannten performativen Wende das Konzept der Autorschaft in postmoderner Manier zu unterwandern versucht. Dass dennoch »die Ablösung von Text und Schrift zugunsten performativer und ereignishafter Kulturformen den Autor nicht zum Verschwinden bringt« (S. 18), ist eine weitere, einleitende These Lodemanns, die jedoch leider, auch durch die Wahl des Beispiels, im Verlauf der Arbeit ein wenig ins Hintertreffen gerät. Genauere Fallanalysen autonomer Regieformen wie z.B. Schlingensiefs »Rosebud« könnten noch weiter veranschaulichen, inwiefern »die Vereinigung von Dramatiker und Regisseur in einer Person nicht deren einzelne Funktionen zum Erliegen« bringt.
If you can make it in there, you can make it anywhereMit der Einsicht, dass mit jeder Aufführung »eine je eigene Ausprägung von Autorschaft« (S. 177) entstehe, gewinnt das zugrundeliegende Autorkonzept nicht unbedingt an Schärfe. Das Fallbeispiel beansprucht so auch keine Repräsentativität, ist dafür aber in seiner Spezifität umso ambitionierter. Bei Schlingensiefs Bayreuther Parsifal-Inszenierung ist es die Verdopplung der Autorenrolle, die für die Analyse wegweisend ist.
Während postdramatische Aufführungsarten wie das »Happening« oder das »untitled event« auf keinen Vorgänger-Text zurückgreifen und die (vermeintliche) Autorschaft des Regisseurs also nicht durch eine zweite Instanz angefochten zu werden droht, steht hinter der Oper Parsifal kein geringerer als Richard Wagner, der im Sinne Blooms als starker Autor gelten dürfte und als eine Art Mythos über Bayreuth schwebt.
Die Opposition zwischen Wagner und Schlingensief erweist sich jedoch als eine scheinbare: Die Rede von »Schlingensiefs Parsifal« markiere eine Art Bürgschaft des Regisseurs für die Aufführung und damit auch den Unterschied zwischen dem »musikdramatischen Text Parsifal« und der performativen Aufführung »Parsifal«.
Der Name des Regisseurs diene somit als »Bezugsgröße« (S. 77), die es erlaubt, zwischen Werk und Inszenierung zu unterscheiden – die Regie Schlingensiefs verdränge also nicht die Autorfunktion Wagners, sondern füge dieser eine weitere, »sekundäre und nur temporär gültige Zuschreibung« (S. 170) hinzu, installiere ein »zweistufiges Autorengefüge« (S. 95). Die Aufführung erscheine als eine »doppelte Wiedergabe von Text und Inszenierung« (S. 80), im Zuge derer der Text »performativ und gegenwärtig« (S. 81) erscheine. Aufgrund der Abhängigkeit der Aufführung vom Vortext sei der Regisseur jedoch niemals der einzige Autor – die Rolle des Urhebers bleibe notgedrungen dem Dramatiker vorbehalten. Die Studie zeigt jedoch, wie es Schlingensief gelingt, sich den Vorgänger durch diskursive Strategien der Analogisierung und Identifikation nutzbar zu machen – und damit nicht gegen, sondern mit dem Dramatiker um die Position als Autor kämpft.
Die Aufführung als PalimpsestMit Genette bezeichnet Lodemann die Inszenierung, im Sinne eines nachträglich entstandenen Textes, als Hypertext – die Berechtigung des Regisseurs als Autor wird so noch einmal von anderer Warte aus untermauert: »Bringt jemand durch Ableitung einen Hypertext hervor«, so lautet die vereinfachte Formel, »so erzeugt er sich zugleich selbst als Autor« (S. 88). Noch weiter führt allerdings Genettes Konzept der Hypermedialität, das – mit dem Medienwechsel vom dramatischen Text in theatrale Performanz sowie der Plurimedialität – die Aufführung als umfassende, d.h. inhaltliche und formale Transformation des Gesamttextes begreift. Genau genommen betreffe jene sekundäre Zuschreibung den Regisseur also erst im Moment der Aufführung, die den »inszenierten, also transformierten Text zeigt, hinter dem der ursprüngliche Hypotext durchscheint« (S. 93). Schließen lässt sich hieraus, dass weder Autor- und Regiefunktionen noch Text und Aufführung hinsichtlich der jeweiligen Zuständigkeitsbereiche miteinander konkurrieren. Dieses Nebeneinander, das der Regisseur beispielsweise mittels der Betitelung einer Aufführung durch den Dramentitel bewusst vorführt, bietet wiederum – vor allem im spezifischen Falle Bayreuths – Raum für strategische Positionierungen: »Als Sender von Paratexten wird der Regisseur zum Autor« (S. 104). Diese Paratexte gehen den diskursiven Konstruktionen des Regisseurs als Autor voraus oder begleiten sie – somit ist Autorschaft immer auch eine Frage der gezielten Selbstinszenierung.
Wenngleich das Leben des Regisseur vorerst gesichert ist, er vor dem Autor keine Angst haben muss und der Zuschauer sich nicht zwischen Schlingensiefs und Wagners Parsifal entscheiden muss: Dreiecksbeziehungen bleiben Angelegenheiten der komplizierteren Art.
Lesen Sie hier weiter den Nachruf auf Christoph Schlingensief von Caroline Lodemann.