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Der Tod der Kritikerin

Susanne Burkhardt und Elena Philipp versuchen gemeinsam, die Rolle der Theaterkritik im digitalen Zeitalter zu finden. Sie stellen sich den Fragen, warum die Gesellschaft immer weniger Kritiken liest und ob es sich noch lohnt, welche zu schreiben.

Von Lisa Mayrl

Die Kulturbranche hat es im Lockdown nicht leicht und auch die Theaterkritik leidet in der aktuellen Situation. Denn worüber sollte man schreiben, wenn der Spielbetrieb brachliegt? Hinzu kommt eine sich wandelnde Medienlandschaft, die auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren muss. Susanne Burkhardt und Elena Philipp arbeiten beide in dieser Branche und erzählen im 50-minütigen Podcast »Geschmacksurteil oder Kunstverstand? Theaterkritik in Zeiten von Social Media«, der in diesem Jahr den öffentlichen Vortrag im Rahmen der Anna-Vandenhoeck-Gastdozentur für Literaturkritik bildet, über die Funktion und Entwicklung der Theaterkritik in Zeiten von Social Media. Angereichert mit Einspielern von verschiedensten Kolleg:innen aus anderen Kunstbereichen beleuchten sie die unterschiedlichsten Aspekte der Theaterkritik und bringen sie den Hörer:innen durch interessante Diskussionen näher.

Gastdozentur

Das Format der Anna-Vandenhoeck-Gastdozentur für Literaturkritik besteht in einer Kooperation der Abteilung Komparatistik und den Vandenhoeck & Ruprecht Verlagen. Zu ihrer Ausrichtung wird ein:e renommierte Berufskritiker:in berufen, die:der in mehreren Blockseminarsitzungen theoretische und vor allem praktische Übungen in Literatur- und Kulturkritik für alle Studierenden der Philosophischen Fakultät anbietet. An die erste Seminarsitzung schließt sich außerdem ein öffentlicher Vortrag an, der diesmal in Form eines Podcasts stattfand. Dieser ist auf der Website der Abteilung Komparatistik zu hören.

 
 
Zu Beginn kündigen die beiden Frauen an, sich von allzu spezifischen Fachbegriffen fernzuhalten, damit es für jede:n verständlich sei. Und daran halten sie sich auch. Somit kann sich selbst ein Neuling in diesem Gebiet ohne ausführliche Vorkenntnisse an diesen Podcast wagen. Die Diskussion der beiden ist besonders interessant, wenn sie von Erfahrungen aus ihrer eigenen Laufbahn erzählen. So stellen die beiden fest, dass sie für verschiedene Zeitschriften anders schreiben, weil das Zielpublikum ein anderes sei. Zentral ist zudem die Frage nach den Adressat:innen von Kritik. Dabei unterscheiden sie gemeinsam mit Christian Kobald vom Spike Art Magazine Entwicklungen in der Theater- und Kunstkritik. In zweiterer sei der Ton bereits wesentlich freundlicher, da hauptsächlich »aus dem Feld heraus« geschrieben würde und es kaum von dieser Blase unabhängige Kritiker:innen gebe. Diese Veränderung, die die beiden nicht unbedingt als positiv beurteilen, könne bald in der Theaterkritik ebenfalls zu beobachten sein. Die beiden Journalistinnen stellen fest, dass die Vielstimmigkeit – also der Austausch von Meinungen und der Beginn von Diskussionen – in den ihnen bekannten Medien wie Zeitungen bereits abnehme. Stattdessen verschiebe sie sich auf die sozialen Medien, in denen immer mehr Hobbykritiker:innen Rezensionen und kleine Kritiken schreiben.

Die Entwicklung der Theaterkritik

Besonders spannend sind diese Bemerkungen zu Social Media im Zusammenhang mit Theaterkritiken. Auf Facebook, Instagram oder Twitter, irgendwo ist fast jede:r registriert – die einen mehr, die anderen weniger aktiv. Frei und fast ohne jegliche Einschränkungen ist es jedem:r erlaubt, seine:ihre Meinung zu Themen kundzutun und sich mit anderen auf hitzige Diskussionen einzulassen. Neuigkeiten verbreiten sich in Sekundenschnelle über eine große Entfernung. Immer mehr versuchen sich an Rezensionen zu Büchern, Filmen, Serien oder Theaterstücken, die sie in ihrer Freizeit gelesen oder gesehen haben.

Burkhardt und Phillip sind sich einig, dass der rege Austausch wichtig sei, damit immer neue Sichtweisen zu Tage treten. Dabei sehen sie die zunehmende Bedeutung von Social Media keineswegs negativ, sondern begrüßen die Ablösung des »Großkritikers«. Dabei reflektieren sie auch die heutige Relevanz von Theaterkritik:

Es gibt Leute, die sagen, ich lese das nicht mehr. Andere Leute sagen, klar lese ich das, weil ich wissen will, wo ich hingehe. (Elena Phillip)

Durch die vielen verschiedenen Einspieler kommt immer wieder frischer Wind in die Diskussion. Unter anderem sprechen andere Theaterkritiker:innen und Kulturjournalist:innen wie Tobi Müller oder Astrid Kaminski über ihre Erfahrungen. Es ist faszinierend zu hören, wie viele verschiedene Meinungen es zu diesem Thema gibt. Im Gespräch mit Kaminski zum Beispiel wird angesichts der Medienkrise und dem rapiden Rückgang der Leser:innenschaft der »Tod der Kritikerin« diskutiert. Durch Kompromisse – etwa die Gegenfinanzierung durch anderes Schreiben – versucht Kaminski, dennoch weiter ihrer Leidenschaft nachzugehen. Es gibt jedoch auch andere Stimmen, die sich nicht auf die neue Situation einlassen wollen, und die Menschen, die ihre Meinung zu Theaterstücken oder Kunstwerken auf Social Media kundtun, als Amateur:innen betrachten. Für sie haben diese Meinungen keinerlei Wert und seien unter keinen Umständen mit einer professionellen Kritik vergleichbar.

Trotz gegenteiliger Stimmen machen Burkhardt und Philipp sich stark für die bleibende Wichtigkeit der Kritik als Form, gerade in Krisenzeiten, und schlagen Möglichkeiten für ihren Fortbestand vor. Der Podcast bietet somit eine spannende Möglichkeit, sich intensiv mit Theaterkritik zu befassen. Es wird deutlich, wie sehr die Welt im Wandel ist und welche Konsequenzen daraus entstehen. Ob diese nun negativ oder positiv sind, das hängt ganz vom Standpunkt des:der Betrachter:in ab. Sicher ist: Theaterkritik war für lange Zeit unabdingbar in der Gesellschaft verankert und ist gerade dabei, sich entscheidend zu verändern.



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 Veröffentlicht am 16. Dezember 2020
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