Was ist echte Kunst? Und was kann und will die Kunst noch leisten? Diese Fragen stellt Serdar Sezenoglus Stück Ars Ex Machina, das derzeit im ThOP aufgeführt wird. Malte Gerloff war bei der Premiere und schaute sich das symbolträchtige Stück an, in dem ein Künstler mit seinem Dasein im Kulturbetrieb hadert.
Von Malte Gerloff
Eine schlafende Frau, gehüllt in ein rotes Satin-Bettlaken, räkelt sich auf einer Matratze auf der erleuchteten Bühne, während die Zuschauer eintreten. Die Zuschauerränge füllen sich allmählich gut. »Kunst« wird auf die Grundfläche der Bühne zwischen der Matratze der Schlafenden und einem Tisch mit zwei Stühlen, die von an den Rändern stehenden leeren Bilderrahmen gesäumt werden, projiziert. Die leeren Rahmen, die Kunst der Auslassung.
Die Liegende ist die aktuelle Affaire von Jasper Dacks, die Liegende ist aber auch viel mehr, sie ist der viel zitierte Tropfen, welcher das Fass zum Überlaufen bringt, dergestalt, dass sie den Grund darstellt, warum Jasper Dacks von seiner Frau samt den Kindern verlassen worden ist. Die Unfähigkeit des Künstlers, feste Bindungen einzugehen, wird gezeigt werden, doch im Moment ringt es zum dritten Mal laut und die erste Szene beginnt.
Der Protagonist Dacks malt in die Luft. »Ich bin die Unschuld, die ihr geschändet habt«, monologisiert er, weitere Vergleiche, die ähnliches ausführen und ähnliches offen legen, folgen: Hier hadert ein Künstler mit seinem Dasein im Kulturbetrieb. Dacks geht treppabwärts, setzt sich an den Tisch, sein Agent kommt dazu gestürmt, die Ausgangsposition wird verdeutlicht. Dacks, der ehemalige »Superstar of Modern Art« ist in einer Schaffenskrise und im freien Fall, sein Agent fordert, dass er endlich mal wieder was Neues bringen solle, sagt ihm, dass es ihm keiner mehr abnehme, dass er, zwei Jahre nach der Trennung, deshalb nicht mehr arbeiten könne, fragt ihn, ob er ein Problem damit habe, dass er jetzt seine Ex ficke?
Zeitgleich erfährt Dacks, dass eines seiner Werke geschlitzt wurde, aufgeschlitzt und zerstört von Theodor Bauser. Dieser geht im Kunstbetrieb um, und alle, die von ihm geschlitzt worden sind, haben seither nichts mehr geschaffen, sind abgefrühstückte Künstler. Beim Abgang sagt ihm sein Agent noch, er solle den Brief lesen, der natürlich von Bauser ist, aus dem Gefängnis. Der Brief wird verlesen, sein Inhalt deutet an, was noch geschehen soll, denn ab jetzt ist Bauser scheinbar omnipräsent, gibt Abhandlungen über die Kunst, befragt Dacks im Stil zwischen Verhör und akademischer Analyse.
Dacks antwortet, wenn er dazu kommt: Nach bestem Wissen und Gewissen. Dacks gerät langsam in den Strudel abwärts. Zunächst folgt jedoch ein Einschub, die letzte Vernissage als Spielort, die unumgänglich gewordenen Slapstisck-Einlagen, eine wahre Lazzo-Parade, die das Ganze auflockern soll. Eine Frau mittleren Alters, die gerade auf die Bühne stürmt, bespringt den Künstler und schreit mehrfach: »du bist meine Schlampe!«, und so weiter. Es geht sowieso erstaunlich laut und grell im gesamten ersten Teil zu, prägender ist jedoch noch der Eindruck der Helle des Lichts, vor allem in rückblickender Absetzung zu dem, was da noch kommen soll.
Dacks will nicht mehr mitmachen bei der scheinheiligen Nummer, schmeißt die Frau mittleren Alters, die wohl seine Förderin darstellen soll, ab; zieht sich zurück. Sein Agent tobt. Mit Streit, Gezänk und Vorwürfen geht es weiter, wenn Dacks Frau auf den Plan tritt und von ihm die Unterschrift unter die Scheidungspapiere fordert. Dacks unterschreibt letzthin. All dieses wird aufs Neue mit ein paar Lach-Szenen garniert, die den hellen und grellen Eindruck des ersten Teils nochmals unterstreichen, und der bitteren Erkenntnis, dass sie es wieder mal nur wegen des Geldes gemacht hat und wegen eines Tropfens.
Kunstkritik im Elektropunk-GewandGlockenschlag vier beendet die Pause. Düsternis bricht herein. Dacks und Bauser im finalen Widerstreit: Dacks erfährt den Grund von Bausers Handeln, er will, dass jener nicht nur kopiert, will nicht, dass jener nur noch mit Ideenklau auf sein Ende zusteuert, will, dass jener den großen Sprung schafft, den nächsten Schritt wagt – nicht stehenbleibt, sondern sich weiterentwickelt, dass er versucht zu schaffen, woran andere gescheitert sind. Will, dass Dacks das schafft, welches in der Literatur als ein Schreckgespenst seit den 1960er Jahren umgeht: die Erschaffung der Kunst-Maschine, die hier damit nicht als zu fürchtender Zustand beschrieben, sondern als Ziel ausgegeben wird. Mithilfe dieser soll Jasper Dacks den Urgrund der Welt ergründen, so das Dasein des Menschen und seine Handlungen verstehen und – frei nach Plato – die Welt der Idee erreichen; oder eben: »Einmal hinter den Vorhang der Welt schauen!« Damit es kein bloßes Abbilden mehr sei, sondern ein Herausbilden werde.
Dies alles ist unterlegt von dunkel wummernden nur leicht nach vorne treibenden Elektro-Bass-Sounds: The Wave of Darkness bricht in die Ohren und melangeiert wabernd mit den Worten, die in langen Mono- und Dialogen auf der Bühne gesprochen werden. Aus diesem Gemenge erklärt Bauser Dacks, was er tun muss, dass er seine Persönlichkeit opfern, dass er sein Werk zerstören müsse, um die Maschine zu schaffen. Jasper Dacks geht die Schritte in die Dunkelheit, wird unisex, zerstört das letzte Bild, das er gemalt hat, schreitet auf den symbolhaften Vorhang zu, fällt, streckt die Hand, dabei immer noch auf den Boden liegend, aus, versucht, sich zu recken, scheitert beim Versuch des Durchschreitens des Vorhangs. Licht aus, der Vorhang fällt, das Stück ist aus.
So symbolisch das Stück endet, so sehr ist es mit Symbolik gefüllt und zwar so sehr, dass es fast überquillt. Aber diese pomphafte Symbolik, die manch einem überbordert vorkommen mag, bildet eben auch einen krassen Kontrast zu den sonst gewählten Ausdrucksmitteln der Reduktion – bei Personal und Bühnenbild, so dass das Eigentliche, das Wort, hervortreten kann, und dadurch etwas gelingt, nämlich die große Frage, die in leuchtenden Lettern in der Dunkelheit der inzwischen verlassenen Bühne zu stehen scheint und dort prangt, aufzuwerfen: Was kann und will die Kunst noch leisten? Aber dieses Stück ist sich auch nicht zu schade, die Antwort licht in die dunkle Luft zu stanzen: Kunst will eben nicht die Kritik aus der Maschine, sonden Kunst will – in diesem Fall – Menschlichkeit.