Am 22. März ist wieder Indiebookday! Das heißt: in einen Buchladen gehen, ein Buch von einem unabhängigen Verlag kaufen, ein Foto davon in einem sozialen Medium posten. Als kleine Entscheidungshilfe verrät die LitLog-Redaktion auch dieses Jahr wieder, welche Indiebücher ihr am Herzen liegen.
Von der Litlog-Redaktion
Nachdem der erste Indiebookday im letzten Jahr überaus erfolreich war, lassen wir von LitLog es uns nicht nehmen, auch am zweiten Tag des unabhängigen Buch-Kaufs die heißesten Empfehlungen für Eure Shopping-Liste auszusprechen. Erwerben könnt Ihr diese fein lektorierten Köstlichkeiten unter anderem in der Akademischen Buchhandlung Calvör, die dem Indiebookday-Sortiment dieses Jahr einen Logenplatz am Fenster zuweist.
Christian Uetz´ »Nur Du, und nur Ich«Von Christian Dinger
Der vor wenigen Jahren in Zürich gegründete Secession Verlag für Literatur versteht sich dem Namen nach als Abspaltung, als Absonderung des Besonderen vom Immergleichen.
In Nur Du, und nur Ich zeigt sich, dass die Texte des für seine Sprachperformance bekannten Uetz auch durch das stille Lesen auf eine ganz eigene, ganz andere Art und Weise bestechen können.
einzelkinds »Gretchen«Von Johanna Karch
»Sie werden Gretchen Morgenthau hassen«, verspricht der Klappentext des im Berliner Verlag Edition Tiamat erschienen Roman-Zweitlings des Autors einzlkind. Die titelgebende Protagonistin, eine 75-jährige, kratzbürstige Gewitterziege, blickt auf eine steile Karriere als Grande Dame der Welttheaterbühnen zurück.
Der »Thoreau-Emerson-Rousseau-Natur-Kitsch« ist nun nicht nach dem Geschmack der Großstadtgazelle. Sie sei ein Kind der Metroploe und habe weder Interesse an Gummistiefelromantik, noch daran, dass ständig eine Elfe um sie herumflügele. Natürlich kommt es zum Culture clash zwischen der Prinzipalin und den vermeintlichen Kulturbarbaren und natürlich wird am Ende eine Art Läuterung einsetzen. Der Plot dieses Buches ist kein Geniestreich und über einige wenige Inkonsistenzen soll hier nicht hinweg getäuscht werden. Es scheint dem anonymen Autor, der vom Feuilleton mal als Hans Magnus Enzensberger, mal als Tiamat-Verleger selbst ins Ratespiel eingebracht wird, ohnehin mehr um die schrille Figurenzeichnung und vor allem um die gewitzte Sprache zu gehen, über die sich »die Morgenthau« zu wilden Hasstiraden über die »aufgespritzten Champagner-Drosseln« des Kulturbetriebs oder berufsbedingte Kritiker aufschwingt. Der Roman in drei Akten platzt bald vor satirischen Seitenhieben auf kunstprogrammatische Vereinnahmungen und Dogmen. Dabei schafft es einzlkind, für jedes Milieu einen funktionierenden Duktus zu finden und pointiert den hohen Stil mit dem niederen zu penetrieren. Der drollig pubertierende Insulaner Tule beispielsweise wird beim Eintreffen der Intendantin von der Liebe zum Theater entflammt und trägt deshalb ein löchriges, weißes T-Shirt mit der Aufschrift »Ich fickte Heiner Müller«. Authentizität beansprucht hier niemand. Wozu auch? »Jede reale, wie auch erfundene Figur«, so erinnert sich die Protagonistin an ihre erste Theaterlektion »ist glaubwürdig, egal, was sie macht oder tut! Hätte man Stalin, Hitler oder Mao erfunden, wäre das Urteil schnell gefällt: unglaubwürdig!«
Gretchen liest sich wie das Ergebnis eines absurden Stelldicheins von Helge Schneider und Marc-Uwe Kling, gepfeffert mit der ungebührlich-scharfzüngigen Bissigkeit einer Sybille L. Wem auch immer die Autorschaft gebührt: er sei gepriesen für dieses satirische, allusive Sprachspiel!
Uljana Wolfs »meine schönste lengevitch«Von Peer Trilcke
Die Mutter aller Krisen, jedenfalls aller literarischen, ist bekanntlich die gute alte Sprachkrise, an der so manch männlich junger Modernist dereinst bis zur Verzweiflung oder doch bis zum modrigen Pilzgeschmack litt.
Diese ›lengevitch‹ aber ist nicht weniger als eine ebenso betörende wie verstörende und damit im besten Sinne poetische Art des Sprachverlernens. Die Welt, die diese Gedichte in den Blick nehmen, und die Diskurse, die sie bearbeiten: das alles erscheint in einem mal schrägen, mal bezaubernden, immer aber auf unerhörte Weise eigenen Licht.
David Fincks »Das Versteck«Von Gesa Husemann
»Wie fängt ein Philosoph einen Löwen? Der Philosoph zieht einen Zaun um sich herum und sieht sich als Außen.«
So ist der ohnehin schon an sich zweifelnde Bernhard in Schieflage geraten, seit sein Bruder Jonas verschwunden ist. Ohne es zu wissen hatte er dem Lebemann die Freundin ausgespannt. Dieser taucht daraufhin ab und entzieht sich der engen Bruderbeziehung. Gabriele und Bernhard werden ein Paar, aber die Leerstelle Jonas nimmt immer mehr Raum in den Gedanken von Bernhard ein, und er erscheint zunehmend entrückt. Es beginnt ein Spiel mit der Lesererwartung, man stellt nun die Wahrnehmung des fragilen Protagonisten infrage und stürzt sich auf das komplexe Motivverweissystem des gerne vorausdeutenden Erzählers, das man zu Beginn des Romans leicht überlesen hat. Mehr und mehr wird der Leser hineingezogen in die Bruderbeziehungskonstellation und in deren psychopathologische Tiefen.
Das Versteck ist beeindruckend vielschichtig und wartet mit vielen möglichen Lesarten auf. Es ist ein spannendes Buch, mit pointiertem Witz und ausgefallenen Charakteren, die in ihren skurillen Ausprägungen auch immer mit dem Protagonisten korrespondieren. Ein wirklich guter Roman, der noch dazu mit einem grandiosen Anfangssatz beginnt: »Wenn ein Mann halb nackt in der Küche sitzt und ein Glas Milch trinkt, weil er nicht schlafen kann, muss das noch lange nicht heißen, dass die Geschichte tragisch endet.« Da muss man doch weiterlesen.
Arne Rautenbergs »mundfauler staub«Von Kai Sina
An Arne Rautenberg ist die Aufregung um die ›junge deutsche Lyrik‹ weitgehend vorbeigegangen. Aber es kann ja auch von Vorteil sein, nicht so richtig dazu zu gehören. Abseits der literarischen Metropolen, im nordisch-entlegenen Kiel, konnte so in den letzten Jahren in aller Ruhe ein vollkommen eigenständiges Kunstwerk umfangreich gedeihen, zusammengesetzt vor allem aus Gedichten, die mittlerweile in einer Vielzahl von Bänden vorliegen, dann aber auch aus Kunstinstallationen, Schriftarrangements, Papiercollagen.
Der Gedichtband mundfauler staub leitet eine neue Werkphase ein; vieles darin ist getragen von einem ungewohnt dunklen Grundton. Ob Rautenberg in seinen Gedichten nachdenkt über die Liebe in Zeiten des Internet (»skype ist nicht das gleiche / es fehlt das warme das weiche / das streichen über dein haar«), über den online-vernetzten Kapitalismus (»am rechner verfolgst du den / klick nach mehr geld«) oder sich mit »ner kettensäge« ins »teletubby-land« aufmacht, »wo alles zweimal zerschnitten wird / zerspringt« – all diese Schilderungen sind vor dem Hintergrund einer geradezu apokalyptischen Weltsicht zu lesen. Die überdrehte Gegenwartskultur, die hier in immer neuen Konstellationen eher aggressiv als larmoyant umrissen wird, scheint ausweglos am Abgrund zu stehen: »wie alles weitergeht wie alles funktioniert / wie alles schneller wird sich aufheizt« – die Klimax endet mit dem Wort »explodiert«, das in seine einzelnen Buchstaben zerfetzt über das Papier verteilt ist: ein visueller Knalleffekt.
Aber ist das kulturkritische Begriffsinventar einer modernen Welt, die vollends ›aus den Fugen‹ geraten ist, für Rautenberg nicht vielleicht doch nur ein weiteres, rein kunstbezogenes Arbeitsmaterial? Vielleicht, seine Verse aber lassen das in der Schwebe. Wir müssen also warten – und das, wie es momentan aussieht, weniger auf das Ende aller Tage als auf weitere Gedichte aus der nordischen Peripherie.
Die Akademische Buchhandlung Calvoer aus Göttingen macht mit beim Indiebookday 2014. Die hier besprochenen Bücher könnt Ihr am 22. März in der Filiale in der Theaterstraße, Ecke Jüdenstraße und am 24. März in der Filiale im Zentralmensa-Gebäude erwerben.