Dort, wo sich Fuchs und Hase sprichwörtlich gute Nacht sagen, spielt Saša Stanišićs zweiter Roman Vor dem Fest: Ein episodenhaftes Bild der ostdeutschen Provinz, von einem, der ganz spielerisch den Blick auf die kleinen Dinge des Lebens zu richten weiß. Und der heute Abend in Göttingen gastiert.
Von Magali Gottsmann
Schon in seinem Debüt Wie der Soldat das Grammophon reparierte (Luchterhand, 2006) überzeugte Saša Stanišić mit einem sehr genauen und warmherzigen Blick auf seine Protagonisten, ihre Ängste und Hoffnungen, aber auch den ganz alltäglichen Witz, den das menschliche Verhalten bisweilen bereit hält, selbst wenn man sich wie Stanišićs Protagonist Aleksander als Kind mitten im Bosnienkrieg befindet. Aleksander, ein Chefgenosse des Unfertigen, weil er gerne Pflaumen ohne Kern oder das Land ohne Krieg malt, holte mit seinem selbstgebastelten Zauberhut zwar nicht seinen geliebten Großvater Slavko zurück ins Leben, dafür aber den Leser in bunte Welten voller Phantasie und fast rührender Ehrlichkeit.
Auch Vor dem Fest besticht vor allem durch die Porträtierung der Figuren und die skurrilen und in ihrer Sonderbarkeit schon wieder ganz alltäglichen Bewohnern des fiktiven Dorfes Fürstenfelde in der Uckermark. Dort gibt es zum Beispiel Frau Schwermuth, »dick und weiß und merkwürdig, wie die Kreidefelsen auf Rügen«, die alles über alle weiß, weil sie das Heimatbüro leitet. Da ist Johann, ihr Sohn, ein »diebischer Halbelf« im Rollenspiel und Glöcknerschüler, obwohl, wie Johann sagt, demographisch gesehen eher Ego-Shooter und rechtes Gedankengut angebracht wären. Aber davon gibt es in Fürstenfelde ohnehin nicht besonders viel, übriggeblieben sind 1 ½ Neonazis, Rico und seine Freundin Luise, die aber nur halb zählt, weil sie »den ganzen Scheiß nur Rico zuliebe macht«.
Es braucht ja nicht immer Berlin…So wird jede Figur mit treffsicheren kleinen Beschreibungen eingeführt, die einem das Gefühl geben, die Person schon ein wenig zu kennen, sie sich vorstellen zu können, so wie Herrn Schramm, einen Mann »mit Haltung und Haltungsschaden«. Das titelgebende Ännen-Fest selber spielt dabei gar keine so große Rolle, es ist lediglich ein Ausgangspunkt, um die Figuren einzuführen, wie diese sich auf das jährliche Fest vorbereiten, bei dem entweder ein Mädchen verbrannt, oder aber ein Bild versteigert werden muss.
Gesprochen wird in Vor dem Fest in der Wir-Form, so dass fast das Gefühl entsteht, alle Bewohner des Dorfes würden dem Leser die Geschichte ihrer Heimat im Kollektiv darbieten. Obwohl es so gesehen ein Heimatroman ist, erinnert er nicht an die typischen Erzählungen dieses Genres. Es braucht eben nicht immer Berlin, um ein Kaleidoskop von interessanten Menschen zu zeichnen. Wenn man die Kunstfertigkeit eines Saša Stanišić hat, tut es genauso die ostdeutsche Provinz.
Im Laufe des Romans kommt man so nicht nur den Bewohnern, sondern auch dem Städtchen Fürstenfelde und seiner Geschichte näher. Ein Ort, ebenso unspektakulär wie eindrucksvoll in seiner Darstellung. Wie der Wir-Erzähler des Buches sagt: »Sei heldisch und wisse: Helden können nicht immer Helden sein, es gibt auch sonst viel zu tun.« So sind die »Helden« des Romans eine Stadt und seine Bewohner: Helden, die eigentlich keine sind, weil sie gerade etwas anderes tun: Sie räumen eine alte Werkstatt auf, malen Bilder von ihrer Heimat, werfen Zigarettenautomaten um, züchten Rassehühner oder versuchen im Garten das Schwimmen zu lernen; kurz, sie tun, was eben sonst noch zu tun ist im ganz normalen Leben.
Für sein Porträt des Lebens in der ostdeutschen Provinz erhielt Saša Stanišić bereits den Preis der Leipziger Buchmesse. Wer nicht nur neugierig darauf geworden ist, Vor dem Fest zu lesen, sondern Stanišić auch einmal live und in Farbe daraus lesen hören möchte, kann dies am heutigen Abend im Rahmen des Kleinen Sommerfests im Literarischen Zentrum tun.
Anm. d. Red.: die Lesung ist leider restlos ausverkauft, ab 22:00 Uhr kann man Saša Stanišić aber als DJ bestaunen und mit ihm und den Mitarbeiterinnen des Literarischen Zentrums auf das Saisonende anstoßen.