Eine Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt: So turbulent geht es im Shakespeare-Stück Wie es euch gefällt vor. Im ThOP werden sowohl ›Manneskraft‹ als auch ›weibliche Koketterie‹ überspitzt, sodass eine ganz neue unterhaltsame Interpretation entsteht.
Von Telja Reinersmann
Am 16. Januar war die Premiere der neuesten ThOP-Produktion Wie es euch gefällt. Dass es sich bei dieser Interpretation nicht um eine wortgetreue Inszenierung des ursprünglichen Dramas handelt, zeigt sich bereits im Einführungsspiel. »Die weißen Tauben sind müde«, wird zur musikalischen Einstimmung in das Stück gespielt. Das Lied von Hans Hartz aus dem Jahr 1982 ist passend gewählt, denn die ThOP-Variante von Wie es euch gefällt wurde von Regisseur Klaus-Ingo Pißowotzki zeitlich in die späten 1970er und frühen 80er verlegt. Das spiegelt sich nicht zuletzt in der Kleidung wieder: Schlaghosen und bunte Westen versetzen die Zuschauer*innen um vierzig Jahre in die Vergangenheit.
Bruderzwiste, politische Konflikte und der Wunsch nach FreiheitEs herrscht Unruhe im Land: Der alte Herzog (Florian Hallaschka) wurde von seinem Bruder Frederick (Moritz Gedl) verbannt und lebt nun mit einigen seiner Lords im Ardenner Wald. Rosalinde (Dominique Schlaak), der Tochter Herzog Seniors, wurde zwar gestattet, bei ihrer Cousine Celia (Yasemin Dittmann) und damit bei Hofe zu bleiben, doch ihre Sorge um den Vater ist groß. In der Zwischenzeit entflammt ein weiterer Streit zwischen Brüdern – Orlando (Erik Bosse), der jüngste Sohn des verstorbenen Sir Rowlands, wurde von seinem Bruder Oliver (Fabio Rocchio) um das Erbe gebracht. Aus Frust und weil er seine Situation ohnehin als aussichtslos betrachtet, stellt sich Orlando einem Kampf gegen den Preisringer Charles (Oliver Göpfert), der am Hofe Fredericks tätig ist.
Vor dem Kampf treffen Orlando und Rosalinde aufeinander und verfallen einander. Viel Zeit können sie jedoch nicht zusammen verbringen, denn überraschend gewinnt Orlando den Kampf und zieht damit den Zorn des Herzogs auf sich. Auch sein Bruder Oliver schmiedet Pläne gegen ihn, sodass Orlando sich mit dem Diener Adam (Torsten Kopp) in den Ardenner Wald zurückziehen muss. Ähnlich ergeht es Rosalinde: Sie wird nun, wie bereits ihr Vater, von Frederick verbannt. Begleitet von ihrer Cousine Celia, der Tochter Herzog Fredericks, und dem Narren Probstein (David Höhle) begibt auch sie sich in die Ardennen – verkleidet als der junge Mann Ganymed.
Weitaus freimütiger als bei Hofe geht es daraufhin im Wald zu. Dort beherrscht zwar der Hunger die Gemüter, jedoch hält dies weder die geflohenen Edelleute noch die Schäfer*innen vom ausgelassenen Tanzen ab. Es entspinnt sich ein Geflecht aus Liebesbeziehungen und Schwärmereien, in dessen Zentrum Rosalinde in ihrer Rolle als Ganymed steht: Als Ganymed auch im Wald auf Orlando trifft, gibt ›er‹ vor, ihn von seiner Liebe zu Rosalinde heilen zu können – dafür müsse Ganymed lediglich die Rolle der Rosalinde spielen, während Orlando um sie/ihn wirbt. Verliebt sind auch viele der anderen Bewohner*innen des Waldes: Silvius (Wolfgang Stauber) in seine Phoebe (Pauline König); Phoebe wiederum in Ganymed; Käte (Hannah Fecht) in den Narren Probstein. Außerhalb dieser Liebeleien steht der Edelmann Jacques (Orthey Stoll), welcher an der Melancholie leidet. Mit Ironie und Zynismus beobachtet, bewertet und kommentiert er die Machenschaften um sich herum, bis Rosalinde die Verwirrungen letztendlich zur Auflösung bringt.
Textgrundlage für die Inszenierung ist die Shakespeare-Übersetzung Frank Günthers. Dabei wurden von Pißowotzki einige Passagen ausgelassen oder angepasst – durchaus angebracht bei der dennoch rund drei Stunden langen Aufführung. Trotz der Änderungen ist der Handlungsablauf dabei stets nachvollziehbar und die Übergänge sind stimmig. Für die Aufführung selbst wird sämtlicher zur Verfügung stehender Raum genutzt, seien es die Zuschauerränge, beide Bühnenzugänge oder die Tribüne. Besonders interessant wird hierbei mit der Perspektive gespielt: Herzog Frederick tritt ausschließlich auf der Tribüne auf und spricht von oben herab. Dass man sich im Ardenner Wald befindet, wird durch Schatten von Ästen auf dem Bühnenboden angezeigt (Licht: Markus Piccio). Einfach aber effektiv wird so die Distanz zwischen Hof und Wald auch räumlich dargestellt: Der Adel steht über dem Geschehen, anstatt an ihm teilzuhaben. Für die Bürgerlichen und Verbannten ergibt sich eine nicht überwindbare Kluft zwischen ihrer eigenen Welt und der ihres Regenten.
»Lasst euch so viel von diesem Stück gefallen, wie es euch gefällt«, lässt Rosalinde am Ende des Stückes verlauten. Es gefällt dabei einiges: Musik, Choreographie (Heiko Siebert, Randi Mügge & Matti Fellmann) sowie viel Witz und Unterhaltung. Die musikalischen Einlagen sind teils Untermalung, teils gekonnt in die Handlung eingefügt. »Hey Probstein, I think she wants to marry you«, wird da dem Narren einen Tag vor seiner Hochzeit zugesungen. Neben Bruno Mars wird unter anderem John Lennon und sogar das Thema zu The Pink Panther gecovert – die Musiker*innen (Karin Reilly, Dajana Zehler, Lina Meiners, Marvin Klimansky) ernten dafür vielfach begeisterten Applaus. Diesen haben auch die insgesamt 31 Darsteller*innen mehr als verdient: Mit diversen Kampfszenen, Tänzen und dem wiederholten eigenhändigen Umbau der Kulisse wird ihnen körperlich einiges abverlangt. An Authentizität verliert ihr Spiel währenddessen allerdings nicht.
Durch die Einordnung der Handlung in die 1970er und 80er Jahre wird dem bereits über vier Jahrhunderte alten Drama ein innovatives Gewand angelegt. Der Bezug zur Zeit der Hippie-Kultur lässt sich an diversen Stellen feststellen: in der parodistischen Darstellung des Drogenkonsums im Wald, dem Wunsch nach Freiheit von der Tyrannei Herzog Fredericks und natürlich den Kostümen (Alina Kemper, Kerstin Boerst, Yvette Rother, Marni Hanke) – denn die Kleiderwahl spricht Bände. Während die im Wald lebenden Lords gekleidet sind wie Hippies, tragen Herzog Frederick und seine Lords graue Anzüge.
Zur Deutung bleibt hier einiger Spielraum. So kann in Hinblick auf »Die weißen Tauben sind müde«, welches in der DDR als Friedenshymne etabliert war, der Bezug zu historischen Staatsrepressalien hergestellt werden – schließlich versuchen sich auch die Freigeister um Herzog Senior von der zwanghaften Kontrolle Fredericks loszureißen. Als völlig anderer Ansatz bietet sich hingegen die Betrachtung Fredericks als eingefleischter Kapitalist an: Mit Anzug und Prunk lebt er abgeschottet von der Welt der mittellosen Bürgerschaft. Vorgeschrieben wird den Zuschauenden nichts: Wie sie die Zeitverschiebung verstehen, bleibt letztlich jedem*r selbst überlassen. Dieses Spektrum an Deutungsmöglichkeiten verleiht dem Stück einen noch größeren Mehrwert.
Klaus-Ingo Pißowotzki gelingt es ohne weiteres, die Handlung in einen neuen Kontext zu setzen. Er zeigt damit, dass das Stück auch in anderen Zeitepochen eine hohe Bedeutung hat. Begründet liegt dies vor allem darin, dass der ständig wechselnde Tausch der Geschlechterrollen auch in den 1970ern oder 2019 noch progressiv wirkt: Neben den bereits im Stück verankerten Wechseln zwischen Männer- und Frauenrolle werden im ThOP zusätzlich diverse Rollen des Stückes von Darsteller*innen des anderen Geschlechts gespielt. Konsequent greift hier der Titel des Stückes: Jede*r so, wie es ihm*ihr gefällt.