In Abenteuer der deutschen Grammatik konzentriert die japanisch-deutsche Schriftstellerin Yoko Tawada ihren Scharfsinn auf die deutsche Grammatik und spielt mit ihr auf einer Weise, die nur eine Nicht-Muttersprachlerin kann. Der Band enthält kurze, kuriose und lustige Bemerkungen zur Grammatik in Gedichtform.
Von Kurt Hollender
In Yoko Tawadas Gedichten wird die alltägliche Grammatik lebendig, lustig und abenteuerlich. Abenteuer der deutschen Grammatik enthält eine Reihe von kurzen und witzigen Gedichten wie »Groß aber leise«:
»Mein Deutsch« schreibe ich groß und spreche
es leise aus.
Die »deutsche« Grammatik schreibt man klein
mit Größenwahn. (7)
Tawada wurde 1960 in Tokio geboren, lebt seit 1982 in Deutschland und studierte in Hamburg Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Sie schloss mit einer Promotion zu Walter Benjamin ab. Wie in vielen früheren Werken der zweisprachigen Essayistin, Romancière, Dramatikerin und Dichterin (wie Das Tor des Übersetzers oder Celan liest Japanisch, 1995, Überseezungen, 2002, u.a.) ist die Sprache das zentrale Thema in Abenteuer der deutschen Grammatik. Tawadas Japanisch- und Deutschkenntnisse ermöglichen ihr eine besondere Perspektive, mit der sie die deutsche Grammatik untersuchen kann. Diese Perspektive hat sie früh in ihrer Karriere angedeutet: »Dadurch, dass ich in zwei Sprachen schreibe, entdecke ich ständig schwarze Löcher im Gewebe der Sprachen.«1
Schwarze Sprachlöcher in fünf KapitelnTawadas Bemerkungen zur deutschen Grammatik heben besondere Aspekte der Sprache, die sie aus dem Blickwinkel einer zweisprachigen Person beobachtet, hervor. In Abenteuer der deutschen Grammatik spielt Tawada mit den Gegebenheiten der deutschen Grammatik in Gedichten wie: »Die zweite Person Ich«, »Perfekt«, »Passiv« und »Eine neue Periode ohne Punkt und Komma«. So gebraucht sie zum Beispiel in »Die Konjugation« Nomen als Verben:
er hemt
wenn ich bluse
weiche in den händen der wäscherin am hafen
glänze nicht ohne den gültigen spaß
fiebere nach kunstseide
er hemt den fortschritt
schimpft mit der kunst und dem stoff
er hütet
wenn ich hose
ich hose die schneiderpuppe
ich schneide
du liebste
ich pistole
du angst
wir arbeiten an der Änderungs-
Grammatik (20)
Tawada konzentriert sich auch auf die schwarzen Löcher zwischen Sprachen. In dem Gedicht »Verabredung an der Penn Station« schreibt sie Denglisch:
Ich picke dich vom Bahnsteig up
Sagtest du mir auf Denglisch
[…] (14)
Und im Gedicht »Alte Notizen zur linguistischen Erotik« vergleicht sie humorvoll Japanisch und Deutsch:
[…]
Das Wort Schein gibt es im Japanischen, und es
bedeutet der Angestellte einer Firma. Das Wort Sein
gibt es nicht im Japanischen. Weder Betrunkensein
noch sein Bier. Trotzdem ist er betrunken.
[…] (26)
Dialekt ist auch eine Dimension der Sprache, die Tawada beleuchtet:
eine hamburgerin sagt:
ich bin größer wie du
[…] (»Der hanseatische Komparativ« 22)
Die kurzen Gedichte des Bandes zeigen durchaus eine Tendenz zum aphoristischen Schreiben, eine Tendenz, die nach Hannah Arendt auch in Walter Benjamins Schriften zu finden ist und die für die Benjaminkennerin Tawada auch gut funktioniert. Nicht nur sind die Gedichte oft kurz, sie enthalten auch Strophen, die ganz alleine stehen könnten. Viele ihrer scharfen Beobachtungen packt Tawada in einen Satz:
[…]
Dennoch passiert es täglich: Die Grenzen
der Grammatik werden passiv überschritten. (»Passiv« 15)
Vielleicht ist die schärfste Beobachtung des Bandes auch die, mit der sich Tawada seit dem Anfang ihres zweisprachigen Schaffens beschäftigt hat und die im Zentrum des Bandes steht: »Sprachen bestehen aus Löchern« (»Alte Notizen zur linguistischen Erotik« 26).