Manche Theaterabende sind anstrengend. Die Abende, an denen das Junge Theater Edward Albees Tragikomödie Die Ziege oder Wer ist Sylvia? aufführt, gehören eindeutig dazu.
Von Julian Ingelmann
Martin Gray (Jan Reinartz) erlebt gerade das, was die beste Woche seines Lebens sein könnte: Als jüngster Preisträger aller Zeiten wird er mit dem hochdotierten Pritzker-Preis für Architekten ausgezeichnet, in einem monumentalen Auftrag soll er die »Metropole der Welt« entwerfen und sein Geburtstag jährt sich zum 50. Mal. Diese Feierlichkeiten nimmt der Fernsehjournalist Ross (Karsten Zinser) zum Anlass, seinen alten Freund Martin zu interviewen. Doch als Ross die Kamera auf den Jubilar richtet, wirkt dieser völlig verunsichert und abwesend. Schließlich gesteht Martin den Grund für sein Verhalten: Seit einiger Zeit betrügt er seine Frau Stevie (Agnes Giese). Seine Gespielin hört auf den Namen Sylvia und ist – eine Ziege. Es folgt ein fast zweistündiger Streit zwischen Martin und Stevie, die durch Ross von der Affäre ihres Mannes erfährt. Das soll wohl zeigen, wie schnell die bürgerliche Fassade bröckelt und welch hässliche Fratze hinter der Maske der Spießigkeit steckt, verkommt aber zu einem Experiment darüber, wie oft man das Wort »Ziegenficker« in einer Aufführung unterbringen kann.
Versuchsleiter ist der US-amerikanische Dramatiker Edward Albee (Jahrgang 1928), der schon früh seinen größten Erfolg feiern konnte: Mit Wer hat Angst vor Virginia Woolf? verfasste er 1962 einen von Kritikern gefeierten und beim Publikum beliebten Theaterklassiker, der noch immer
Besonders unangenehm ist es, dass sich diese Fehlschläge durch den ganzen Abend ziehen. Die Ziege oder Wer ist Sylvia? misslingt auf vielen Ebenen: Für ein absurdes Theaterstück ist der Text zu zahm, für einen Tabubruch ist die Inszenierung zu konventionell. Was kraftvolles Schauspiel sein soll, artet in unreflektiertes Geschrei aus, dem allzu oft der Sinn für die leisen Töne fehlt. Immerhin: Wenn diese dann doch mal vorkommen, verfehlen sie ihre Wirkung nicht. Ein spannender Aspekt ist beispielsweise das Verhältnis zwischen Martin und seinem schwulen Sohn Billy (Ali Berber). Hier ist unklar, wer von beiden den anderen eigentlich für abnormaler hält. Daraus entsteht eine Dynamik, die durchaus ihren Reiz hat. Und auch als Martin und Stevie ihren Streit für kurze Augenblicke unterbrechen, um sich ihre Liebe zu gestehen, gewinnt das Schauspiel an dringend nötigem Facettenreichtum. Dann wirken sie plötzlich verletzlich, dann zeigt sich das Menschliche im Grotesken. In mitleiderregender Offenheit finden die beiden für kleine Momente wieder zueinander, etwa wenn Stevie den Lieblingssatz ihrer Mutter zitiert: »Pass auf, dass du den, den du heiratest, auch wirklich liebst, denn du verbringst dein ganzes Leben mit ihm. Und pass auf, in wen du dich verliebst, denn du könntest ihn eines Tages heiraten.« Und dann funktioniert das Stück plötzlich doch, zumindest für kurze Zeit – und zwar als Romanze.
Aber auch dadurch ist die Katastrophe, auf die das Stück hinausläuft, nicht zu verhindern. Der Disput zwischen den Eheleuten wird immer intensiver. Da werden Vasen zerdeppert und Gemälde zerstört, Möbel fliegen durch die Gegend. Das in Sperrholz stilisierte Wohnzimmer wird nach und nach in seine Einzelteile zerlegt (Bühne: Susanne Ruppert). Einsichtig zeigt sich Martin während der gesamten Zerstörungsorgie nicht. Ohne erkennbares Problembewusstsein, aber dafür mit reichlich Schmalz in der Stimme, berichtet er von seiner ersten Begegnung mit Sylvia, von seiner Einsamkeit und seiner Liebe zur Ziege. In diesen Passagen zeigt der Text, wie gut er sein könnte, wenn er sich weiter auf eine psychologische Zeichnung seines Protagonisten einließe, wenn er die Zoophilie als Störung erkundete und nicht nur an der Oberfläche der Perversion kratzte. So gefällt das Stück jedoch nur im Konjunktiv. Da soll das Verhältnis zwischen Mensch und Natur diskutiert und die Verbotskultur im Allgemeinen hinterfragt werden, am Ende ist die Inszenierung des JT aber vor allem eines: anstrengend. Das liegt auch an der Inkonsequenz des Textes. Während einige Handlungsstränge völlig im Sande verlaufen (Martins beginnende Demenz), nerven andere Szenen durch Repetition.
Die Bühnenumsetzung passt sich der Sprunghaftigkeit der Vorlage an. An einigen Stellen werden kleine Dialogfetzen optisch und akustisch von der ansonsten recht gradlinigen Inszenierung abgehoben (Licht und Ton: Heiner Wortberg), was aber ohne erkennbaren Zweck und Rhythmus geschieht. In der Fassung von Tobias Sosinka wirkt Die Ziege oder Wer ist Sylvia? allgemein halbherzig, das Stück entpuppt sich als echter Chancentod: Es ist entweder nicht verstörend genug oder nicht lustig genug oder nicht tragisch genug, um wirklich nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Selbst der vermeintliche Knalleffekt am Ende bleibt ein Rohrkrepierer. Und so ist der Applaus des Publikums am Ende auch eher bemüht als begeistert, irgendwie angestrengt und halbherzig eben.