Am 23.02. war es wieder soweit: Um 20:00 Uhr öffnete das Junge Theater seine Pforten für zehn Nachwuchs-Literaten, die ihr Talent beim monatlichen Poetry Slam unter Beweis stellten. Vom Mut zur Hässlichkeit über ein einfaches »Nö« bis hin zum Faschisten im Anzug war für jeden Geschmack etwas dabei.
Von Sabrina Gerdes
Neben den 10 Kandidaten, die sowohl per Voranmeldung als auch spontan über eine offene Liste in den Wettbewerb starten konnten, gab es zudem wohlige Liedermacher-Klänge von dem Singer-Songwriter-Duo Das Lumpenpack. Die in der Slammer-Szene nicht unbekannten Musiker Max Kennel und Indiana Jonas besangen dabei unter anderem den armen Klaus, der wegen Internetverbots keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich umzubringen, aber auch das Zeitalter moderner Medien und Kommunikation mit Slogans wie Hashtag, Yolo, Swag oder dem Song Steilgehtag. Wem mal mehr oder weniger tiefgründige (auf jeden Fall aber unterhaltsame) Texte mit steilen Gitarrengriffen und oscarreifen Tanzeinlagen gefallen, sollte mit dem Lumpenpack gut beraten sein. Inspiriert von den alten Hasen gab es aber auch seitens der Kandidaten Skurriles, Denkwürdiges und Unterhaltsames zu hören.
Die Schlacht beginntFür all jene, die noch nie einen Poetry Slam besucht haben, noch ein paar Informationen zum Ablauf. Jeder Kandidat, ob per Voranmeldung oder per Los über die offene Liste ins Rennen startend, hat einen festgesetzten Zeitrahmen, innerhalb dessen er oder sie seine/ihre zuvor selbst verfassten Zeilen vortragen kann. Im Jungen Theater beträgt dieser sieben Minuten. Die Teilnehmer werden dazu häufig in zwei oder mehrere Gruppen aufgeteilt, aus denen dann jeweils ein Kandidat für die finale Runde hervorgeht. Im Falle dieses Slams waren das zwei Fünferrunden, deren Gewinner sich dann noch einmal im Finale gegenüberstanden. Wer in der Gruppen- und Finalrunde gewinnt, das entscheidet (so auch im Jungen Theater) in den meisten Fällen das Publikum über die Lautstärke des Applauses. Manchmal gibt es aber auch eine Jury. Wie ein Text vor dem Publikum präsentiert wird, das bestimmen die Slammer selbst – ob lyrisch, prosaisch, gerappt oder einfach komödiantisch vorgetragen – erlaubt ist, was gefällt.
In der ersten Fünferrunde ging es dann auch im Jungen Theater gleich richtig zur Sache. Während es sich die Zuschauer auf dem teilweise mit Decken und Kissen ausgelegten Boden gemütlich machten, gaben die Kandidaten alles, um den vollbesetzten Raum bestmöglich zu unterhalten. Der erste Slammer, Jakob, mahnte dabei vor verstecktem Faschismus, Kandidatin zwei, Adina, richtete den Appell »Mut zur Hässlichkeit« an das Publikum und der dritte und erste Kandidat der offenen Liste, Gianna, erläuterte den Zuschauern, wie er sicherstellen wolle, sein ungeborenes Kind zu einem perfekten Poetry-Slammer zu erziehen. Der 19-jährige Johannes aus München, Gewinner der ersten Fünferrunde, beleuchtete innerhalb seiner sieben Minuten die Schnelllebigkeit von heute und überzeugte das Publikum mit Slogans wie »Wenn alle Stricke reißen, kann man sich nicht mal mehr erhängen« oder »Ich will das Leben genießen, aber schnell«. Zum Abschluss der ersten Runde gab es dann noch eine Anekdote aus dem Leben als Jump ‘n’ Run. Ein passender Vergleich aus der Welt der Computerspiele, bei dem es darum geht, wie wir Menschen auch in der realen Welt versuchen, von Level zu Level zu kommen, immer hoffend, auf nicht allzu viele Stolpersteine zu treffen und es unversehrt auf die nächste Ebene zu schaffen, bis wir dann letztendlich auf den Endboss treffen.
Der Poetry Slam in Göttingen findet im Jungen Theater statt. Der offene DichterInnenwettstreit arbeitet mit einem weiten Literaturbegriff: Lyrik, Prosa, Rap, Limmericks, Kurzgeschichten, Dialoge, Wahnsinn oder was auch immer sonst auf die Bühne kommt, Hauptsache die Texte sind selbstgeschrieben, passen in sieben Minuten und werden ohne Hilfsmittel dargeboten. Durch den Abend führen Felix Römer und Christopher Krauss. Wer selbst einmal auftreten will: mind. fünf Plätze werden per Los an DichterInnen aus der offenen Liste vergeben. Einfach abends kommen, Namen auf einen Zettel am Eingang schreiben und schon ist man dabei. Der Göttinger Poetry Slam ist Kooperationspartner von LitLog.
Für den Fall, in die letzte Runde einzuziehen, müssen die Slammer jeweils noch einen zweiten Text vorbereitet haben, mit dem es den finalen Gegner zu übertrumpfen gilt. Johannes Berger nutzte seinen zweiten Auftritt, um sich über eine unentschlossene Freundin zu ereifern, deren liebste Antwort sich schnell als »Nö« herausstellte. Dabei bestach der 19-Jährige besonders mit einer wortgewandten, an Rap erinnernden und charmant vorgetragenen Performance.
Sein Kontrahent Marvin trug als Hommage an Georg Büchners Woyzeck die Geschichte einer unglücklichen Liebe vor, die sich durch die anachronistische Erzählung (wiederum eine Hommage an die Postmoderne) von einer traurigen in eine glückliche Liebesgeschichte wandelt.
Mit tobendem Applaus kürte das Publikum Johannes zum Sieger des Abends, auch wenn die Reaktionen auf den Auftritt des zweiten Finalisten kaum weniger Zuspruch fanden. Als Preis gab es zwei Bücher, die von den beiden Moderatoren der Veranstaltung mit Freude überreicht wurden.
Fazit: Bereits vor der Veranstaltung weckte die lange Schlange vor dem Jungen Theater große Erwartungen an das, was da kommen würde. Nur zehn Minuten nach Öffnung der Abendkasse war der Poetry Slam ausverkauft, der Boden des JT mit Fans und Unterstützern, Zuschauern, Bierflaschen, Snacks und Kissen bedeckt. Von Beginn an herrschte eine ausgelassene und entspannte Atmosphäre. Moderatoren wie Künstler traten ständig in Interaktion mit dem Publikum und verstanden sich sehr gut darauf, den Geist der heutigen Zeit mit ihren Geschichten und Anekdoten einzufangen. Ein Muss für Fans der Literatur sowie für alle, die sich einfach gerne von luziden, unterhaltsamen und kessen Texten mitreißen lassen möchten.