Unterm Weihnachtsbaum lagen nur Non-Books? Ärgerlich! Vielleicht lässt sich das ein oder andere Geschenk ja noch in ein Buch umtauschen? Um Schenkende beim nächsten Anlass subtil auf ihren Fauxpas aufmerksam zu machen, verweisen wir auf die Lese-Lobhymnen auf dem Buchmarkt: Vier Stimmen im Detail.
Von Tanita Kraaz
Die Buchbranche ist krisenbewusst und lässt sich was einfallen: Die Idee, Bücher über das Lesen zu veröffentlichen, wirkt vielleicht etwas hilflos. Dabei ist das vertiefte Lesen in Büchern eine Kulturtechnik, die wohl zwangsläufig in ihrer wachsenden Seltenheit mit Nostalgie besetzt wird. In einigen Genres ist das längst gang und gäbe: Eindrücklich stellen Großerzählungen der Fantasy unverzagt ihre herzinnigliche Liebe zum Buch als Zugang zu anderen Welten aus. Zwischen Steinbeißern und gehörnten Mardern ist das in Die unendliche Geschichte oder der Tintenherz-Trilogie wohl eh nicht peinlich. Nun nistet sich diese Rührseligkeit zusehends im Geschenkbuch ein. Wie die sehnsuchtsvolle Hinwendung zu einer Alltäglichkeit aussehen kann und was die Gefühligkeit mit sich bringen kann, veranschaulichen die folgenden vier Stichproben.
Mixed Messages: Leseglück
Dieses Jahr jedoch wählt Kuratorin Gesine Dammel die Texte unter dem Stern »Leseglück« aus. Das Cover gestaltet sich als Ausdruck draufgängerisch weltabgewandter Weiblichkeit (Umschlagabbildung: Tom Schamp): (Tief!)rote Lippen hat die gemalte Dame, waghalsig liegt sie im Bücherregal mit einer Tasse Tee (die sie hoffentlich zuvor für ein #bookstagram-Bild drapiert hat). Dass sie ihren Bauchnabel entblößt, scheint ihr herzlich egal zu sein, denn den Blick richtet sie konzentriert wie verschmitzt auf ihre Lektüre: Einen großformatigen, rot eingeschlagenen Band mit leeren Seiten. So sieht Leseglück aus. Leseglück ist sexy. Verwegen versammelt das Büchlein allerhand Kitschgeschichten und -gedichte, ohne vor Kapitelüberschriften wie »Reise ins Bücherland« und »In Büchern zu Hause sein« zurückzuschrecken. Vier dieser Kapitel gibt es, in denen eine Gustave Flaubert Erzählung auf Auszüge aus Hanns-Josef Ortheils Lesehunger folgt. Gemeinsam spricht aus ihnen allen die Passion zum Lesen und so fügen sie sich sehr geschmeidig zwischen Marcel Proust und Carlos Ruiz Zafón. Das Buch endet mit Mascha Kalékos Ansprache eines Bücherwurms, in der sie den wohlausgesuchten, maßvollen Konsum von Büchern anmahnt.
Es handelt sich also mit der diesjährigen Lektüre zwischen den Jahren um keinen rein affirmativen Leseappell! Zwischen diesen mixed Messages erscheint eine trotzdem ausgegorener: Es ist schon okay, sich in der unbeobachteten Zeit, zwischen Weihnachten und Neujahr blind vom Lesekitsch am Herz anfassen zu lassen.
Sich nicht weiter am Herz anfassen lassen
Als wären solche Stories eine Alltäglichkeit, reihen die Herausgebenden (Martina Bollinger und Rainer Weiss) dreizehn Lieben zwischen Literaturinteressierten aneinander, verfasst von mehr oder minder namhaften Autor*innen. Dabei geht es nicht nur um Buchhandlungen: Auch Bibliotheken, Literaturhäuser und Internetforen werden als veritable Orte zur Partner*innensuche verbürgt. Es sind teils unglaubwürdige, sowohl unerfüllte als auch endlose Beziehungen, von denen hier erzählt wird. Zu bewerten, ob das alles so realistisch ist, wird der Rezensentin qua Geschlecht in der letzten Erzählung abgesprochen. Anthony McCarten beteuert: »Tatsache ist, dass für eine Frau die Aussicht, bei einer Lesung einen Mann kennenzulernen, nicht besonders gut ist.« Dabei handelt es sich hier um eine der besseren Geschichten. Es reicht an so etwas wie feinsinnige Selbstironie heran, wenn der Erzähler über seine eigene Vergesslichkeit schimpft, nicht nach einer Telefonnummer gefragt zu haben – und sich obendrein den Namen seiner großen Liebe nicht gemerkt zu haben. Das ist allerdings nur hervorzuheben, weil es einen Kontrapunkt zur Vorhersehbarkeit der vorangehenden Stories bildet: In ihnen wird dieser tragische Moment dem zur Schicksalshaftigkeit hinaufstilisierten Wiedersehen exaltiert vorgelagert.
Diese versammelten tiefempfundenen Zeugnisse heterosexueller Verliebtheiten benutzen den Gegenstand Buch als Accessoire. Das ist natürlich eine kluge Werbestrategie fürs Lesen. Eine noch so kurze eigenständige Anthologie vermag das Konzept nicht zu tragen. Wo sich die individuelle Liebeserfahrung repetiert, machen bald romantisierte Rollenklischees Haare raufen.
Rewind: Lesen will gelernt sein
Souverän balanciert die Gebrauchsanweisung in Ton und Inhalt Ernsthaftigkeit und Identifikationspotenzial aus. Die Autorin stilisiert sich zwar zu einer kleinen Nerd-Ikone, wenn sie die Zurückweisung abtut, die ihr das Besserwissen beim Trivial Pursuit Spielen mit früheren Altersgenoss*innen einbrachte: »Leider beeindruckte ich mit meinem Wissen niemanden außer mich selbst, jedenfalls wurde ich danach nicht wieder eingeladen. Dennoch fühlte ich mich bis ins Teenageralter nie einsam.« Wie um diese Klugheit unter Beweis zu stellen, verflicht sie aber behände allerlei Zahlen, Zitate und kulturgeschichtliche Anekdoten miteinander. Ja, sicher ist das mit dem »jeder Mensch nimmt sein Smartphone durchschnittlich alle 11 Minuten zur Hand« ein alter Hut und der Impetus kippt auch ins Kulturpessimistische, wenn das gedruckte Buch zum Heilsbringer in der Umgebung seiner digitalen Pendants wird. Das gibt aber dem Band seinen Schwung erst. Die Ausdifferenzierung und die Idealisierung des vertieften Lesens überzeugen und das obwohl oder vielleicht gerade weil die Autorin ihr kurioses Unterfangen explizit reflektiert: »Ein Buch übers Lesen, das wäre auch mir bis vor Kurzem ähnlich überflüssig erschienen wie ein Sandkasten in der Sahara.«
Die drei Kapitel über das »Wozu«, das »Was« und das »Wie« werden übrigens durch eine Bibliographie ergänzt, die den Band einordnet in das – so hält die gewitzte Frau von Lovenberg der Leserin vor – tatsächlich gar nicht so neue, jedoch zusehends populärer werdende Genre der Bücher über das Lesen.
Lesen im Wandel der Zeit
Dass David Trigg die aktuell populärsten Lesedarstellungen außer Acht lässt, verwundert umso mehr. Mit keinem Bild wird Bookstagram erwähnt. Das Stillleben mit Büchern (Jan Davidsz. de Heem, 1628) scheint nur als Vanitas-Darstellung legitim zu sein, nicht als hyggelige Selbstinszenierung. In Anerkennung des stetigen Lesewandels fällt außerdem auf, dass zwar Wachstafel und Griffel, Schriftrollen und Codices, nicht aber Smartphones und eReader als Lesegeräte anerkannt werden. So kommt der Band nur scheinbar unprätentiös und zugänglich daher. Ist es ein Zufall, dass das Titelbild ganz grün ist? Mutmaßlich wird hier selbstgewiss die Hoffnung gehegt, in der ausgestellten Kunstgeschichte des Lesens die aktuelle Epoche des Speedreadings auf seelenlosen Elektrogeräten beim Archivieren ignorieren zu dürfen.
So führt uns Trigg mit diesem offensichtlich eher engen Lese- und Buchbegriff genau die Art von Realitätsverweigerung vor, die uns den romantisierten Blick aufs Buch gewährt. Zwischen legitimierenden Zitaten passionierter Leser*innen und profunden Bilderläuterungen vergisst die Betrachterin sich zuweilen, um wie die Dienstmagd im Interieur eines Landhauses (Johanne Mathilde Dietrichson, 1875) den Besen als Stütze zu missbrauchen und statt zu arbeiten, doch lieber weiter im Buch zu blättern.
Erinnerung an das LesenVielleicht ist es tatsächlich subversiv, sich den schwachen Suchtcharakter des weiblichen Müßiggangs selbstbewusst anzueignen. Es wirkt trotzdem problematisch, dass die Nostalgisierung einer potenziell emanzipatorischen Tätigkeit so stark gegendert wird und deshalb zwangsläufig alte Klischees aufruft. Die Deutlichkeit, mit der insbesondere die Gebrauchsanweisung und der Bildband das vertiefte Lesen definieren und hochhalten, schleift außerdem ein zweischneidiges Schwert: Sicher wird der Gegenstand zum besonders attraktiven stilisiert. Gerade indem das vertiefte Lesen aber heraufbeschworen wird, verliert es an Alltäglichkeit. Felicitas von Lovenberg widmet ihr Buch quasi dünkelhaft preaching to the converted allen, »die vom Lesen nicht lassen wollen.« Die Widmung spielt mit dem Zugehörigkeitsgefühl zu einem vermeintlich exklusiven Club. Das kann als manipulativer Trick funktionieren. Die Bedingung wäre, dass nicht ausschließlich Ratlose im Geschenkbuch übers Lesen eine ideale Alternative sehen, ein passendes Buch für passionierte Leser*innen suchen zu müssen. So ist die Strategie nicht unbedingt hilflos, vielleicht aber waghalsig. In diesem Sinne seien die vier Bücher vielmehr als passiv-aggressive Geschenke für jede*n Nichtleser*in empfohlen, der*die wieder nur Tassen und Postkarten in der Buchhandlung gekauft hat.