James Frey will mit dem Letzten Testament der Heiligen Schrift seinem kontroversen Ruf gerecht werden. Was hinter Stirnen bibeltreuer Christen noch für leichten Schwindel sorgen könnte, schmeckt dem Rezensenten wie ein ausgelutschtes Bonbon. Jesus ist zurück – schon wieder.
Von Matthias Pabst
Oprah Winfrey blieb Nächte lang wach und las ihn. Ihr Team, das den vielleicht mächtigsten Buchclub der Welt managt, berichtete tränengerührt, Freys autobiographischer Debütroman sei »offenbarend«. Winfreys Klamauk sorgte dafür, dass A Million Little Pieces 2005 zum Bestseller avancierte. Pikant und mindestens streitbar an Freys Erfolg: Die wahren Begebenheiten seines alkohol- und exzessreichen Lebens, die er in dem Roman verarbeitet haben will, sind pure Fiktion. Frey selbst gestand später – abermals bei Oprah auf der Couch – dass er seine Leser »betrogen« habe. Seinem Erfolg tat dies keinen Abbruch, im Gegenteil: Auch wenn die folgenden Bücher Freys es nicht mehr auf die Bestsellerlisten schafften, genießt der Skandalautor heute ein Badboy-Image und kann sehr gut vom Schreiben leben. Folgerichtig achten Freys wechselnde Verlage nun stets darauf, vor seine Werke ein: »Achtung, dies ist keine wahre Geschichte« zu setzen.
Freys jüngste Publikation, der Roman Das Letzte Testament der Heiligen Schrift, ist ganz und gar erfunden, er muss es sein, schließlich erzählt er von der Wiederkunft Jesus Christus im heutigen New York. Es ist ein ernstes Buch und keine dümmlich-weichgespülte Single-sucht-Lover-Story, wie sie andere Autoren zur Zeit gern (und erfolgreich) erdichten. Nein, Freys Buch will mehr als unterhalten. Nach der Lektüre kommt der Rezensent zu dem Schluss, dass Frey seinen Titel sehr bewusst gewählt hat: Nichts Geringeres nahm er sich vor, als das Letzte (sic!) Testament der Heiligen Schrift zu verfassen. Fest steht: Freys Buch-der-Bücher-Fortsetzung wird wohl nicht als Heilige Schrift von Millionen Gläubigen gelesen, studiert und gelehrt werden. Denn dafür ist es, einfach gesagt, zu fad. Aber der Reihe nach.
Ein Erlöser in New YorkBen Zion Avrohom, der Held der Geschichte, wird in eine jüdische New Yorker Familie geboren und seit jeher von einigen Rabbinern als Messias betrachtet. Doch seine Familie, die Mutter einmal ausgenommen, empfängt diese Nachricht nicht mit offenen Herzen. Sie neidet ihm seine anscheinende Berufung und verwehrt dem kleinen Ben fortdauernd jegliche Zuneigung. Mit vierzehn, Bens Vater ist mittlerweile an seiner Griesgrämigkeit gestorben, wirft ihn sein älterer Bruder Jakob aus dem Haus.
Vor und nach seinem Wiedertreffen mit der Familie berührt und verändert Ben die Leben von dreizehn Menschen so nachhaltig, dass diese von ihren jeweiligen Erlebnissen mit »Ihm« berichten. 13 New Yorker. 13 Apostel des ausgewiesen antichristlichen Ben Zion. Denn der wiedergeborene Sohn Gottes hat so gar nicht das im Beutel, was die Rabbiner oder Pfarrer ihren Anhängern seit Jahrhunderten weißmachen wollen: Der Messias Ben vögelt gern mit Obdachlosen, bekehrt wiedergeborene Christen zum Schwulsein und begleitet seine ›feste‹ Freundin in die Abtreibungsklinik.
Freys Kniff, die Geschichte von 13 Zeugen erzählen zu lassen ist elegant und ein geschickter Verweis an die biblische Vorlage. Indem er die verschiedenen Sehnsüchte und Probleme, unsere verschiedenen Sehnsüchte und Probleme, perspektiviert, gelingt ihm ein glaubwürdiges Sozialpanorama der amerikanischen Gesellschaft. Ob nun Alexis, die Baseball liebende Chirurgin oder Matthäus, der in New Yorker U-Bahn-Tunneln lebt und dort einer apokalyptischen Sekte angehört; Frey lässt berichten, lässt diese Figuren von ihren Begegnungen mit Ben erzählen. An den besten Stellen des Buches schafft er es, die Schicksale der Erzählenden so anrührend zu schildern, dass es dem Leser schwer ums Herz wird. Wir kennen diese Menschen, die uns von Ben erzählen. Sehen sie auf der Straße, arbeiten mit ihnen, mögen sie sogar. Und doch müssten wir vor einem Jüngsten Gericht ganz klar zugeben, dass sie uns egal sind. Der Prophet Ben liebt sie. Alle. Einfach so. Und will dafür nichts zurück.
Zuviel des GutenJedoch bleiben diese Stellen Inseln in einem gefühlt endlosen Ozean der von Frey postulierten Nächstenliebe 2.0. Die Lehre von der unvoreingenommenen, altruistischen Liebe, in die Ben seine Jünger in viel zu nachgiebiger und verständnisvoller Weise einweist, bleibt das einzige Motiv, die einzige Aussage des Buches. Freys Messias tut sicherlich etwas Schönes und vielleicht auch, wie dessen Schwester Esther jubelt, »Wunderbares«. Aber über 400 Seiten lang zu lesen »Und dann umarmte er ihn und küsste ihn und sagte ›Ich liebe dich‹« ist, nüchtern gesagt, dumpf.
Die eigentliche Geschichte Bens, seiner Passion, seine Story, wird immer wieder langwierig vom saftlosen Sinnieren der dreizehn Zeugen über Bens Weisheit und Liebe unterbrochen. Die Geschichte gerät so zu einem Pamphlet, das das richtige sagt, dafür aber viel zu viele Worte benötigt. Spannung kommt hier nicht mehr wirklich auf. Klar, Frey rüttelt an den Themen, die der Kirche, besonders der christlichen, den Ruf einer mittelalterlichen, patriarchalen Organisation einbringen, was seinen Helden Ben neben offen praktizierter Homosexualität eben auch Sterbehilfe ausüben oder Abtreibung empfehlen lässt.
Aber genau diese offensichtlichen Antichrist-Handlungen seines Messias lassen Freys Anspruch, eine »neue Mythologie zu entwickeln, die relevant ist für eine Welt mit Nuklearwaffen, vorangeschrittener (advanced) Physik, Internet, genetischen Tests und Manipulation« , in Rauch aufgehen. Zu einfach und zu eindeutig sind Freys Aussagen über Kirche; Gott und Liebe. Zu positioniert.
Einen atheistisch-irdischen und sterblichen Erlöser durch das heutige Großstadtbabel zu schicken ist keine originelle Idee mehr. Ob modernes Single(un)glück (David Safiers »Jesus liebt mich«) oder Rockstarallüren (John Nivens »Gott bewahre!«), Jesus scheint als goldenes Kalb für einfallsarme Schreiber (und Verleger) herhalten zu müssen. Gut ist Freys Buch in der Nähe zu seinen erzählenden Protagonisten. Sie sind natürlich. Die unüberhörbare Kritik an den Religionen bleibt dagegen zu synthetisch, zu produziert. Etwas weniger, wäre vielleicht mehr gewesen.