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Händel-Festspiele 2011
Im Zeichen der Medea

Der Zauber der Medea hat in diesem Jahr in vielen Facetten Einzug in die Göttinger Händel-Festspiele gehalten. Egal ob Film, Vortrag oder Oper – dabei wurde kaum ein Medium ausgespart. Aber was verbirgt sich hinter dem Mythos? Und warum wurde manch einem Zuschauer dabei durchaus ein wenig seltsam zumute? Klar ist: Wer sich auf Medea einlässt, der kann nie wissen, was ihn erwartet.

Von Sarah Schädler

Medea? Was ist das denn?, hat sich manch einer vielleicht im ersten Augenblick gefragt, als er einen Blick auf das Programm des diesjährigen Händel-Festspiele Göttingen geworfen hat, denn dort konnte man diesen Namen deutlich mehr als einmal finden. Ein Stück von Händel? In erster Linie ist die Medea eine Figur aus der griechischen Mythologie. Ihre Geschichte diente Literaten und Komponisten über Jahrhunderte als Inspirationsquelle und wurde eben auch von Georg-Friedrich Händel in seiner Oper Teseo musikalisch bearbeitet. Getreu dem Festspiel-Motto »Händel und Frankreich« ist Teseo die einzige Oper Händels, die sich an der fünfaktigen französischen Tragédie de musique orientiert. Neben der szenischen Inszenierung dieser Barockoper und zahlreichen Vorträgen gab es im Göttinger Szenekino Lumière auch eine Vorstellung der gleichnamigen Filmproduktion von Pier Paolo Pasolini mit Maria Callas in der Hauptrolle.

Medea – keine leichte Kost

Auf den ersten Blick bekam man doch eher das Gefühl, ein Theaterstück und keinen Kinofilm zu besuchen. Die große Bühne samt Vorhang im Lumière ließ den geübten Großleinwandkinobesucher bereits vor Filmbeginn erahnen, dass ihn kein leichtes Abendprogramm erwartete. Und diese Annahme wurde von einem Vertreter der Göttinger Händel-Gesellschaft kurz darauf bestätigt. Die Erzählweise des Films sei eigenwillig und der Regisseur setze Vorkenntnisse voraus, erklärte er dem Publikum. In einem kurzen Vortrag folgte eine Einführung in die Geschichte der Zauberin Medea und den Mythos vom Goldenen Vlies.

Der Grieche Jason kommt nach Jolkos, wo er sich einer schweren Prüfung unterziehen soll. Der dortige König verlangt von ihm, das Goldene Vlies der Einheimischen aus der Provinz Kolches an den Königshof zurückzubringen. Als Belohnung werde Jason der neue König von Jolkos. Jason trifft auf die Priesterin Medea, die ihm dabei hilft, das Goldene Vlies zu stehlen. Auf dem Rückweg zu den Griechen opfert diese ihren eigenen Bruder, um die Verfolger hinzuhalten. Trotz aller Strapazen bleibt Jason die Königswürde versagt. Zehn Jahre später verstößt er Medea, die aus Rache seine neue Frau und ihre gemeinsamen Kinder ermordet.

Laut dem Vertreter der Göttinger Händel-Gesellschaft behandelt der Film von Pier Paolo Pasolini nur den ersten Teil der antiken Saga. Händels Oper Teseo knüpfe hingegen an den zweiten Teil an. Das Leitmotiv des Filmes sei der Zusammenstoß zweier Kulturen. Auf der einen Seite stehe das moderne antike Griechenland und auf der anderen Seite die barbarische Provinz Kolches, deren Bewohner auch Menschenopfer nicht fremd wären. Alles in allem sei der Film, wenn auch an einigen Stellen etwas eigenartig, eine großartige Visualisierung mit eindrucksvollen Landschaften und der großen Maria Callas in ihrer einzigen Filmrolle.

Vom Zusammenstoß zweier Kulturen

Schon die erste Filmszene wirkte verwirrend, poetisch und sarkastisch zugleich. Ein kleiner nackter Junge, der einem Zentaur bei seinem Monolog über die Frage nach dem Sinn des Seins zuhören muss. In seiner ausschweifenden Rede verliert sich die mystische Gestalt zunehmend in Metaphern und den eigenen – wie es scheint – ungeordneten Gedanken. Der kleine Junge ist Jason, wie sich nach einer gefühlten Viertelstunde herausstellt. Er wird nach Jolkos zu seinem Onkel geschickt.

Der Film

Pier Poalo Pasolini gelang es in seinem 1969 erschienenen Film Medea, die Opernsängerin Maria Callas in ihrer ersten und einzigen Hauptrolle zu engagieren. Trotz seiner eigensinnigen, schwer zu durchdringenden Filmsprache waren Kritiker begeistert, auch wenn der kommerzielle Großerlog ausblieb. Hier geht es zum Film in voller Länge und mit Untertiteln.

 

Zum Projekt

Sarah Schädler besuchte für Litlog eine Reihe von Veranstaltungen der Händel-Festspiele 2011 und berichtete in vier Artikeln über ihre Eindrücke. Der Artikel Im Zeichen der Medea bildet den Abschluss der Reihe.

 
 
In der Zwischenzeit wird das Leben der Menschen in Kolchos gezeigt. Mit den Mitteln, die einem Filmemacher in den 60er Jahren zur Verfügung standen, präsentieren die Filmemacher eine barbarische Gesellschaft, die im Stile von Urmenschdarstellungen in Höhlen lebt und indianerähnlichen Kopfschmuck mit Hörnern trägt. Hinzu kommen seltsame Masken in der Form von Affen und Eselsköpfen. Gleich darauf wird das erste Menschenopfer am Marterpfahl serviert. Klingt ekelhaft? Das ist es auch, oder zumindest soll der Zuschauer eine gewisse Abscheu gegen diese Menschen entwickeln. Bevor dem armen Opfer buchstäblich die Haut vom Leibe gerissen wird, sieht man ihn bunt bemalt und geschmückt mit einem Kranz auf dem Kopf. Gewollt oder nicht, das Bild erinnert deutlich an die Hinrichtung Jesu Christi auf dem Hügel Golgota.

Auffällig war außerdem, auf welche arrogante und überhebliche Art und Weise die Griechen bei ihren Plünderungen auf dem Feldzug nach Kolchos vorgehen. Ohne einen Hauch von Mitgefühl brechen sie in Klöster ein, ermorden die Priester und lassen alles Gold mitgehen. In diesem Kontrast wird das Leitmotiv des Kolonialismus deutlich. Die erbarmungslosen Eroberer vernichten all das, was ihnen fremd und götzenhaft erscheint. Sie treten der fremden Kultur mit voller Wucht entgegen und versuchen, sie zu zerstören. Es mangelt ihnen an Respekt. Es prallen im wahrsten Sinne des Wortes zwei Weltbilder aufeinander.

Verschärft wird dieser Gegensatz in dem Verhältnis zwischen Jason und Medea. Daheim in Kolchos umgibt sie eine leicht melancholische und übersinnliche Aura. Sie wirkt, als sei sie nicht von dieser Welt. Doch sobald sie die Küste Griechenlands betritt, bricht Medea in Geschrei und Entsetzen aus. Sie versucht, die Stimmen der Natur zu hören, aber diese Erde hat die Verbindung zur Sonne bzw. ihrem Großvater, dem Sonnengott, verloren.

Ich sehe die Erde mit den Augen, doch ich erkenne sie nicht

ruft die Zauberin in ihrem Wahnsinn und bricht zusammen. Medea fristet von da an ein fruchtloses und desorientiertes Dasein. Das einzige, was ihr bleibt, ist ihre Liebe zu Jason. In diesem Fall hat der Regisseur eine Medea konstruiert, die, aus ihrem natürlichen Umfeld gerissen, dem Wahnsinn verfällt. Sie findet in der Gesellschaft Griechenlands keinen Platz. Man hat als Zuschauer das Gefühl, sie sei verloren in einer Welt, die nichts von dem versteht, woran sie glaubt.

Wenn der Film auch insgesamt etwas merkwürdig und irritierend wirkte, so enthält er dennoch ein einfaches und noch immer aktuelles psychologisches Leitmotiv: Die Rache einer verstoßenen Frau. Es war schon ziemlich schwierig den Handlungssprüngen zu folgen und den Kern der Aussage des Films zu begreifen, aber trotzdem bleibt er sehenswert für jeden, der sich in der Materie auskennt. Medea ist kein Film, der den Zuschauer mit einem guten Gefühl nach Hause entlässt, sondern ihn zum Nachdenken anregt. Warum sich die Organisatoren der Göttinger Händel-Festspiele gerade für diesen Film entschieden haben, liegt auf der Hand. Meiner Meinung nach kann ein Kinofilm das Programm der Festspiele nur bereichern, da er eine willkommene Abwechslung zu Konzert, Oper und Vortrag darstellt

Ein Becher, Teseo und eine tobende Zauberin

Händels Oper Teseo, die im Rahmen der diesjährigen Händel-Festspiele aufgeführt wurde, bezieht sich, so wurde bereits gesagt, auf den zweiten Teil der Saga um die antike Zauberin. Nachdem Medea in Korinth ihre gemeinsamen Kinder mit Jason um der Liebe willen getötet hat, lebt sie am Hof von Athen, dessen König Egeo sie, so der Plan, zur Frau nehmen will. Aber alles kommt anders als erwartet. Im Dienst des Königs steht ein Feldherr mit Namen Teseo, der einer jungen Prinzessin, Agilea, das Leben gerettet hat. Die beiden verlieben sich ineinander. Allerdings hat nun auch Egeo die Absicht, Agilea zu heiraten. Ein Drama von Rache und Eifersucht bahnt sich an, denn auch Medea hat sich in Teseo verliebt.

Das Chaos ist perfekt und wie wir wissen, ist mit Medea in Sachen Liebe nicht zu spaßen. In einem Ausbruch von Wut und Rache beschwört sie die Geister der Unterwelt und ruft die Furien der Hölle herbei, um Teseo zu töten. Mitten in ihrem Rachefeldzug ändert die Zauberin ihre Strategie und versucht, Egeo für ihre Zwecke zu benutzen. Dieser soll Teseo einen Becher mit Gift überreichen, erkennt in ihm in letzter Sekunde aber seinen verloren geglaubten Sohn und schlägt ihm den Becher aus der Hand. Medea ergreift die Flucht. Als sie zum letzten Schlag ausholt, werden die Zurückgebliebenen vom Priester der Göttin Minerva gerettet und das Gute hat gesiegt.

Es sind auch in diesem Fall wieder die Motive der Medea, die zum Nachdenken anregen. Obwohl sie sich noch immer mit dem Gedanken quält, ihre unschuldigen Kinder getötet zu haben, gibt sich Medea ein zweites Mal ihrem Zorn hin und wird zum Racheengel. Was treibt sie dieses Mal? Was macht die Zauberin so rasend, dass sie jegliche Barmherzigkeit und jegliches Mitgefühl vergessen lässt? Medea gehört zweifellos zu den komplexeren Charakteren der griechischen Mythologie. Nicht ohne Grund hat ihr Mythos Kunstschaffende über Jahrhunderte fasziniert, was erklärt, warum man sie zum Mittelpunkt eines ganzen Festivals gemacht hat.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 15. August 2011
 Kategorie: Misc.
 Georg Friedrich Händel. Gemälde von Thomas Hudson (1749). Via Wikimedia Commons.
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 2 Kommentare
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2 Kommentare
Kommentare
 Roman
 15. August 2011, 23:25 Uhr

Übrigens: Es schreibt sich “Goldenes Vlies”. Vielleicht ganz interessant zu wissen.

 admin
 16. August 2011, 09:00 Uhr

Danke für den Hinweis! Und ein peinlich berührtes ›Entschuldigung‹ von der Redaktion für diese Nachlässigkeit.

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