Impressum Disclaimer Über Litlog Links
Händel-Festspiele ´15
Agrippina – eine Heldin?

Erneut ist die sogenannte Göttinger »Fünfte Jahreszeit« der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen angebrochen. Im Mittelpunkt des knapp zehntägigen Festivals (14.-25. Mai 2015), in diesem Jahr unter dem Motto »Heldinnen!?«, steht neben den Oratorien Theodora und Deborah eine nicht-barocke Inszenierung des ersten großen Opernerfolges Agrippina des jungen Maestro.

Von Antje Dreyer

Agrippina (1709) kann im Opus Georg Friedrich Händels (1685-1759) eine Schlüsselposition zugewiesen werden. Dieses letzte während seiner Italienreise vollendete sowie unter seiner Leitung uraufgeführte Werk (26. Dezember 1709 im Teatro San Giovanni Grisotomo in Venedig) wird gemeinhin als Meisterstück bezeichnet und stellt einen wichtigen Erfolg im Hinblick auf die sich entwickelnde künstlerische Karriere des Komponisten dar. Zwar brachte es Händel selbst in London nicht zur Wiederaufführung, jedoch gab es in den folgenden Jahren selbstständige Inszenierungen in Neapel und Hamburg, die zu Händels Bekanntheit beitrugen. Ein Meisterstück ist es nicht nur durch die hervorragende Komposition, in die Händel auch frühere Arien z. T. auch ohne musikalische Änderungen einarbeitete, sondern auch aufgrund des herausragenden Librettos von Kardinal Vincenzo Grimani (1655-1710, Vizekönig von Neapel unter den Habsburgern) und der wunderbaren Symbiose von Musik und Text, durch die erst das Gefühlsrepertoire, das in die dichte Handlung verwoben ist, sichtbar wird.

Festspiele


Die Internationalen Händel-Festspiele existieren seit 1920 und gelten als eines der ältesten Barockmusik-Festivals auf der Welt. Die Bühnenwerke Georg Friedrich Händels waren in Vergessenheit geraten, bis die Inszenierung seiner Oper Rodelinda am 26. Juni 1920 in Göttingen den Beginn der Festspiele darstellte und damit viele Aufführungen seiner Opern in ganz Deutschland auslöste. Seitdem verzaubern die Opern Händels das Göttinger Umland Jahr für Jahr aufs Neue und locken Gäste und Darsteller aus den verschiedensten Orten der Welt in die Stadt. Seit 2011 ist Laurence Cummings musikalisch-künstlerischer Leiter der Festspiele. Nach den unbekannteren Werken der letzten Jahre steht 2015 wieder einer von Händels »Greatest Hits« auf dem Programm: Agrippina (HWV 6), der erste große Opernerfolg des jungen Händel. 16 Jahre ist es her, dass die Oper in Göttingen zu hören und zu sehen war.

 

Die Oper

Georg Friedrich Händel
Agrippina
mit Libretto von Kardinal Vincenzo Grimani
Nach der Hallischen Händel-Ausgabe (Hrsg. von John E. Sawyer)
Regie: Laurence Dale
Musikalische Leitung: Laurence Cummings
Bühnenbild: Tom Schenk
Robby Duiveman: Kostüm
Weitere Aufführungstermine im DT: 22.05., 19.00 Uhr / 24.05., 16.00 Uhr / 25.05., 15.00 Uhr

 
 
Orientiert an den historischen, 15 Jahre andauernden Ereignissen aus dem alten Rom um Agrippina, Nero und Claudius (ab 37 n.Chr.), werden diese im Libretto, mit Hinblick auf die traditionelle Einheit der Zeit, auf wenige Tage gekürzt und durch fiktive Begebenheiten erweitert. Im Zentrum der Handlung steht das Ziel Agrippinas, ihren aus erster Ehe stammenden Sohn Nero durch die zweite Ehe mit dem Kaiser Claudius auf den Thron zu heben. Die damit zusammenhängenden Intrigen werden im ersten Akt der Oper detailliert dargestellt, bis im zweiten Akt Poppea, die bis dato von Agrippina für ihre Pläne instrumentalisiert wurde, die Hinterlist erkennt und sich für das Unrecht, das dadurch ihrem Geliebten Ottone wiederfährt, rächen will. Im dritten Akt deckt besagte Poppea die Missverhältnisse auf; Claudius Entscheidungen führen schließlich zu einem glücklichen Ende für alle Beteiligten.

Doppelsinn und Amüsement

Während der sechswöchigen Probenzeit ist es dem internationalen Ensemble unter musikalischer Leitung von Laurence Cummings und der Regie von Laurence Dale gelungen, die satirisch-komischen Anwandlungen Agrippinas deutlich herauszuarbeiten. Das Zusammenspiel von Musik und Libretto erfolgreich umzusetzen, ist auch der bemerkenswerten Leistung der Sänger zu verdanken, die trotz – oder aufgrund – des reduzierten, fast abstrakten Bühnenbilds allein durch ihre nackte Präsenz die Figuren und das Geschehen mit Leben zu füllen vermochten. Die wenigen vorhandenen Requisiten wurden dementsprechend vorteilhaft eingebracht: So ist es im ersten Akt der Thron, der – im Zentrum der Bühne – bildlich den Herrschaftsdrang Agrippinas symbolisiert und gleichzeitig auch durch die anderen Charaktere als erstrebenswerter Ruhm (Pallante, Narciso) oder als verachtenswerte Dominanz (Poppea) wahrgenommen wird. Auch im zugespitzten dritten Akt, in dem die drei Verehrer (Ottone, Nero und Claudio) um die Gunst Poppeas buhlen, werden etwa durch die witzig-ironische Phallusdarstellung Doppeldeutigkeiten, zum Amüsement des voll besetzten Saales, stark hervorgehoben.

Poppea (Ida Falk Winland) wird für die Intrigen Agrippinas (Ulrike Schneider) missbraucht

Bereits durch die Kostümierung, die durch die (mit der barocken musikalischen Besetzung brechenden) Kombination von Kleidern aus Jugendstil und Renaissance die Augen der Zuschauer auf sich zieht, werden die Charaktere vorgezeichnet: Agrippina (Ulrike Schneider) in ihrem schwarzen und pompösen Gewand steht als herrschsüchtige Intrigantin der gerechten, fast unschuldig wirkenden Poppea (Ida Falk Winland) im weißen Kleid gegenüber. Doch dass es sich vorrangig um Charakter- und nicht um Typenzeichnungen wie in der Commedia dell’arte handelt, wird etwa durch Agrippinas Krise »Pensieri« (Gedanken, 2. Akt, Szene 13) deutlich. Diese Arie, inhaltlich ein Bekenntnis Agrippinas zu ihrer Herrschsucht, zeugt musikalisch von dem Wahnsinn, der sie heimsucht. Die abrupt abbrechenden Streicher und die spannungsvolle Harmonik gehen einher mit dem Auftritt der, in einem flieder-violett-verlaufenden Nachtgewand gekleideten, verstörten Sonambula, die ihren Plänen nachsinnt. Der seiden-schillernde, durchsichtige Vorhang, der den direkten Blick auf die Szenerie verdeckt, verstärkt den Eindruck der wirren, vom nebulösen Wahn geplagten Protagonistin. Sie und die anderen Charaktere kämpfen in dem Stück um ihr eigenes Schicksal, auch wenn die karikierende Darstellung Neros (Jake Arditti) zu vernehmen erlaubt, wie der Jüngling durch seine Unerfahrenheit und Triebhaftigkeit zunächst zum Werkzeug seiner Mutter und später dann bildlich als Pferd vor Poppeas Streitwagen gespannt wird.

Nero (Jake Arditti) vor dem Streitwagen Poppeas (Ida Falk Winland)

Mag der eine oder andere Zuschauer vielleicht noch nicht von dem reduzierten Bühnenbild überzeugt sein, so offenbaren doch die bedachten Einsätze von Licht und Spiegeleffekt die Vorteile dieser Gestaltung, wird durch letzteren später schon fast die Einbindung des sonst passiven Zuschauers möglich. Zunächst zieht diesen der vermeintliche Untergang des Kaisers Claudius auf See in den Bann, der mit einem Seestück von William Turner im Hintergrund, dem wehenden seidenen Vorhang sowie einschlagenden Licht-Blitzen die musikalisch vielfältige Ouvertüre versinnbildlicht. Auch setzen im zweiten Akt die melancholisch-dunklen Einfärbungen des Bühnenraums die leidenschaftlich klagende Arie Ottones (Christopher Ainslie), »Voi che udite il mio lamento«, sowie das vorangehende Accompagnato bühnenbildnerisch ausgezeichnet um: Beide Stücke sind durch zahlreiche Vorhalte und Spannungen in den Streichern gekennzeichnet und bieten mit der stimmlichen Einbindung eines herausragenden Counter-Tenors in Parallelführung zur Oboe einen Ausgleich zur langsam schreitenden Kontrabasslinie. Spätestens hier zeigt sich deutlich, dass die Mitgerissenheit des Publikums, das beizeiten zwischen den Stücken in Applaus ausbricht, nicht nur den einzelnen Sängern, sondern der Gesamtleistung des harmonierenden Ensembles im Hinblick auf alle medialen Aspekte zu verdanken ist. Eben jenes Publikum dient schließlich auch auf der Bühne durch die Reflexion auf den eingesetzten Spiegeln und die beginnende Beleuchtung des Zuschauerraums als zweites Publikum der hinterlistigen Agrippina, die – als machtvolle Herrscherin inszeniert – am Ende des ersten sowie zweiten Aktes vor dem Volke stehend allein die Bühne erfüllt.

Ottone (Christopher Ainslie) klagt über sein Schicksal

Man kommt nicht umhin, die musikalisch-schauspielerische Leistung des Orchesters sowie der SängerInnen als herausragend zu bezeichnen. In der viereinhalb Stunden dauernden Aufführung (mit zwei Pausen) wurden sie bis an ihre Grenzen – zwischen humorvoller Ironie und leidenschaftlichem Pathos – gebracht. Zudem ist durch die enge Arbeit mit Vocalcoaches auch die Sprache nicht zu kurz gekommen: Bisweilen war der italienische Text so deutlich artikuliert, dass die Übertitel fast überflüssig wurden. Auch soll die gelungene groteske Darstellung des Claudius (João Fernandes), der im zweiten Akt nach dem gloriosen Viva in fortissimo mit Pauken und Trompeten als erbärmliche Gestalt mit einem erschöpften Siegesgesang erstmals auftritt, noch hervorgehoben werden.

»Heldinnen!?«

Einen bedeutenden Werkbruch hat sich die Inszenierung dann doch geleistet: Entgegen dem ursprünglichen Libretto spielt das Festspiel-Orchester einen Tanz zum Ende der Aufführung, der ironisch auf die Ermordung Agrippinas durch Nero anspielt, jedoch eine humorvolle Übertreibung dieser ist, sodass zuletzt der idealisierte Ottone, begleitet von seiner Poppea, als Kaiser hervorgeht. Diese gravierende Verschiebung der Figurenkonstellation durch den Tod der übrigen Charaktere stellt zwar Libretto und Historie in Frage, entlässt das begeisterte Publikum aber mit dem Gefühl der siegenden Gerechtigkeit gelungen in den Abend.

Zu diskutieren bleibt lediglich: Ist Agrippina nun eine? Das Motto der Festspiele »Heldinnen!?«, mit zwei Satzzeichen, stellt dies in Frage. Es bleibt beim Zuschauer zu beurteilen, inwiefern Agrippina eine starke Frau ist, inwiefern sie mit Recht als Heldin bezeichnet werden kann. Ganz selbstlos ist ihr Handeln ja nicht, geht es ihr denn nur um den Ruhm, ohne Rücksicht auf Verluste – auch den ihres eigenen Lebens. Doch treibt sie die Handlung an, spinnt ihre Intrigen um die anderen Charaktere, die so an ihre moralischen Grenzen stoßen, und provoziert eine weitere starke Frauenfigur, die nicht die Ehre hat, im Titel der Oper zu stehen, zu heldenhafter (?) Gerechtigkeit: Poppea.

(Unter Verwendung der Einführung von Steffi Turre im Abendprogramm/Libretto zur Inszenierung: Steffi Turre (2015): Georg Friedrich Händels Agrippina. Originalbeitrag für die Internationalen Händel-Festspiele Göttingen 2015. In: Agrippina. Dramma per musica in drei Akten von Georg Friedrich Händel. Internationale Händel-Festspiele Göttingen, S.11-15.)



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 21. Mai 2015
 Bilder von Theodoro da Silva, mit freundlicher Genehmigung der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen
 Teilen via Facebook und Twitter
 Artikel als druckbares PDF laden
 RSS oder Atom abonnieren
 Keine Kommentare
Ähnliche Artikel
  • Warum Händel?Warum Händel? Ein Hintergrundbericht zu den Göttinger Händel-Festspielen 2011. Von Sarah Schädler.
  • Vom HörensehenVom Hörensehen Händels Oratorium Athalia in der Göttinger Stadthalle - Sarah Schädler war dabei.
  • »Ethische Anarchie«»Ethische Anarchie« Verstrickt in der Sinnlichkeit – Wagners Parsifal im Brüsseler Opernhaus La Monnaie.
  • Ein Komponist im GefühlschaosEin Komponist im Gefühlschaos Über den literarischen Händel berichtet Dr. Steffen Schneider. Von Sarah Schädler.
  • Im Zeichen der MedeaIm Zeichen der Medea Pasolini und Händel bilden den Abschluss der Reihe über die Händel-Festspiele.
Keine Kommentare
Kommentar schreiben

Worum geht es?
Über Litlog
Mitmachen?