Der italienische Comicautor Igort ist ein umtriebiger Künstler. Japan zieht ihn aber immer wieder an. Nach zwei Reiseberichten in Comicform folgt mit Kokoro. Der verborgene Klang der Dinge eine weitere zeichnerische Erkundung der japanischen Kulturlandschaft.
Eine Empfehlung von Sebastian Kipper
Nur wenigen europäischen Comiczeichner:innen ist es vergönnt, bei japanischen Manga-Verlagen zu veröffentlichen. Der italienische Künstler Igort war der Erste, dem das gelang. In den 90er Jahren – als die Begriffe »Manga« und »Anime« einem jungen westlichen Publikum immer geläufiger wurden, aber Szenen von animierten Kampfrobotern von der breiten Masse noch belächelt wurden – arbeitete Igort für den größten Literatur- und Manga-Verlag Kōdansha und veröffentlichte dort mit Yuri eine erfolgreiche Serie. Zu diesem Zeitpunkt war der Italiener in Europa bereits ein etablierter Künstler; seine Werke wurden schon in den 80er Jahren in allen wichtigen Comic-Magazinen abgedruckt. 1983 gründete er mit Gleichgesinnten die Künstlergruppe »Valvoline«, die in avantgardistischer Manier die erzählerischen Möglichkeiten des Medius Comics ausreizte. Für die Zusammenarbeit mit Kōdansha hielt sich Igort wiederholt über längere Zeiträume in Japan auf. Seine Erfahrungen im Land der aufgehenden Sonne sind in den beiden Comics Berichte aus Japan dokumentiert. Darin berichtet er voller Emphase von seiner Begegnung mit der japanischen Kultur.
Die Motive von Igorts Bilder sind ebenso vielfältig wie die zur Sprache kommenden Themen. Zu sehen sind idyllische Naturlandschaften in warmen Rottönen und graue, schmutzige Fabrikhallen; Tokyo bei Nacht, moderne Hochhäuser mit hell erleuchteten Glasfassaden, und abgelegene Dojos, abgeschirmt von der technologisierten Welt durch dichte Wälder. Igort entwirft folkloristische Szenen mit den Yokai, dämonenartigen Wesen, die in der Sphäre zwischen spiritueller und materieller Welt leben und Erzählungen zufolge Menschen zu Tode erschrecken können. Ebenfalls inszeniert er historiografische Darstellungen aus der (Kultur-)Geschichte Japans. Neben selbstangefertigten Portraits von japanischen Kulturschaffenden finden sich auch einige Filmstills in Kokoro, die der Cineast Igort nachzeichnet. So lassen sich manche der großformatigen Bilder als Hommage an die von ihm bewunderten Regisseure und ihre Werke begreifen.
Viele der Aquarelle erinnern in ihrer Komposition an japanische Farbholzschnitte. Einen stilistischen Bruch stellt der Auszug aus Igorts eigenem Comic Miraiha Yaro – Futurista dar, dessen Geschichte er zusammen mit dem japanischen Musiker Ryuichi Sakamoto schrieb. Der dynamische, disruptive Stil dieser Bilder orientiert sich auf Wunsch Sakamotos an der Malerei des Futurismus. Zu sehen sind Bildflächen, die in Streifen und andere Formen zerlegt wurden und die sich zudem durch krasse Schwarz-Weiß-Kontraste scharf voneinander abheben.
Aufzeichnungen, die Faszination vermitteln
Aus den Reiseberichten lässt sich die immense persönliche Bedeutung erahnen, die das südostasiatische Land für den italienischen Künstler hat. Kokoro stellt einen weiteren Versuch dar, die Faszination von der japanischen Kultur in Wort und Bild zu vermitteln. Die kurzen Auszüge aus seinen Erfahrungsberichten machen den Comic zu einer kurzweiligen Lektüre und die kunstvoll gestalteten Aquarelle faszinieren auch nach mehrmaligem Betrachten. Die verschiedenen anekdotenreichen Exkurse motivieren dazu, sich selbst mit den Werken der vorgestellten japanischen Kunstschaffenden auseinanderzusetzen. Wer aber noch etwas tiefer in die japanische Kultur eindringen möchte, dem sind die zweibändigen Berichte aus Japan zu empfehlen, die ebenfalls bei Reprodukt erschienen sind.