Im Göttinger Hainberg-Gymnasium diskutiert eine Runde auf dem Podium über Cybermobbing. Eingeladen hat das Literarische Zentrum. Diskutiert wird mit großer Ernsthaftigkeit, stellenweise etwas überheblich. Zu einem unbedingt notwendigen Diskurs.
Von Anna-Lena Heckel
Cybermobbing lässt seine Opfer, mögen sie ein noch so intaktes Selbstbewusstsein haben, über kurz oder lang massiv an sich selbst zweifeln. Und irgendwann denkt man dann, die, die einen beschimpfen und erniedrigen, haben vielleicht doch recht. Vielleicht ist doch etwas dran an dem, was da über einen hereinprasselt. Es entsteht Angst und Unsicherheit daraus, was einem_einer widerfährt. Mit anderen darüber zu sprechen, ist dann eine große und schwierige Aufgabe. Dabei ist die Perspektive der Person, die Zielscheibe der Mobbingübergriffe ist, nicht die einzige in diesem komplexeren Zusammenhang sozialer Dynamiken, die es zu betrachten gilt.
Es geht um Cybermobbing, besonders im schulischen Kontext. Im Publikum sitzen Lehrer_innen, Eltern – und fast keine Schüler_innen. So wird zwar häufig im Gespräch betont, dass »wir alle« von dieser oder jener Warte aus Mobbingerfahrung hätten, und dass alle potentielle Täter_innen im Netz seien, schließlich heiße zuzusehen auch mitzumachen. Allerdings sprechen außer Eckes alle Diskutanten wiederholt in persönlicher Abgrenzung von den Beteiligten: »Was geht in diesen jungen Menschen vor?« und »Für uns ist das gar nicht denkbar«. Daraus resultieren Fragen: Wer sind denn »wir«, für die das gar nicht denkbar wäre? »Wir« Erwachsenen, in deren Welt es kein Mobbing gibt? »Wir« Aufgeklärten, die stets richtig handeln und einschätzen können, was unser Handeln beim Gegenüber auslöst, die »wir« alles richtig machen und uns wehren, wenn »wir« in eine Opferrolle gedrängt werden? Schließlich stellt Cybermobbing eine Form von Mobbing dar und es widerspräche den getätigten Aussagen zu behaupten, damit kämen einzig Schüler_innen in Berührung.
Diese Abgrenzung wirkt undifferenziert, besonders vor dem Hintergrund, dass zahlreiche Punkte in der Podiumsdiskussion herausgearbeitet werden, die im Grunde zu einem anderen Umgang mit der Praxis führen müssten: Nämlich nicht die Differenz aufzumachen zwischen »den jungen Leuten« und »uns Erwachsenen«, die »wir« nur gute Vorbilder für die Kinder sein müssten.
Es wird deutlich: Nicht einzugreifen heißt mitzumachen. Mobbing entwickelt eine rasante, nicht handhabbare Eigendynamik, die durch die schnelle und anonyme Verbreitung im Internet oder über WhatsApp noch verstärkt wird. Es besteht ein relevantes Verhältnis zwischen verschiedenen Arten der Schikane: Cybermobbing geht sehr oft mit Mobbing außerhalb neuer Medien einher, sei es im Voraus, Nachhinein, oder parallel. Und es hört nicht auf. Als Betroffene_r hat man keine Pause, denn das Internet folgt einem_einer überall hin.
Der einzige Weg ist laut Sommerhalter, sich dem zu stellen und in die Offensive zu gehen. Die Autorin Hammer berichtet von einem Fall, in dem es einer Schülerin gelungen sei, sich gegen Cybermobbing zu wehren. – Als Zeichen dafür nimmt sie, dass der Schülerin von dem ehemaligen Sozialen Netzwerk SchülerVZ Schmerzensgeld bezahlt wurde. Ist damit aber alles wieder gut?
Auf dem Podium werden aber auch konkretere Handlungsmöglichkeiten zum Umgang mit dem Phänomen gesammelt. Dazu gehört, als Betroffene_r nicht auf Cyberangriffe zu antworten, Beweise zu sichern, und sich Hilfe zu suchen. Eltern sollten dabei als Vertrauenspersonen zur Seite stehen, ihre Kinder ernst nehmen und stärken. Menschen, die von (Cyber-)Mobbing mitbekommen, sollen Zivilcourage zeigen und einschreiten. Lehrer_innen sollen einfühlsam auf persönlicher Ebene agieren, Mittäter_innen und Freund_innen ansprechen. Das Problem bei diesen Optionen ist dennoch, dass die Realität oft schwierige Bedingungen vorgibt. Das wird besonders in einem Redebeitrag aus dem Publikum deutlich, in dem eine Person von der eigenen Erfahrung erzählt: Es geschieht zu oft, dass Menschen den Mut fassen und Cybermobbing zur Anzeige bringen wollen, nur um dann von der Polizei abgefertigt zu werden – ohne Beweise könne man nichts machen. Erschwerend komme hinzu, dass »Mobbing« als Straftatbestand nicht existiere.
Als dynamische Diskussion kann man diese Runde auf dem Podium zwar weniger bezeichnen – einmal das Mikrofon in der Hand, halten die meisten Gäste lange Monologe – , doch gibt es auch kaum Kontroversen, die eine solche Dynamik ermöglicht hätten. Anders als bei anderen Debatten lassen die Anwesenden sich gegenseitig ausreden, was ein leichtes Folgen ermöglicht. Verwunderlich ist allerdings, dass Sommerhalter, vom Bündnis gegen Cybermobbing, öffentlich eine E-Mail von einer hilfesuchenden Schülerin vorliest, und die darin vorkommenden Namen scheinbar nicht ändert. Ebenso dahingestellt bleibt, weshalb Hammer, die sich sowohl in ihrem Buch als auch als Antiaggressionstrainerin intensiv mit Mobbing auseinandergesetzt hat, ein von Mobbing betroffenes Mädchen als »nicht nur moppelig, sondern richtigen Brummer« beschreibt.
Trotz der genannten kritikwürdigen Punkte ist Ich blogg dich weg ein aufschlussreicher Beitrag zu einer wichtigen Diskussion. An manchen Stellen wäre eine differenziertere Betrachtung wünschenswert gewesen. In vielen Punkten ermöglicht der Abend aber eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Cybermobbing. Durch solche Veranstaltungen Probleme zu thematisieren, ist ein guter Weg, eine Reflexion anzustoßen. Umso bedauerlicher, dass die Diskussion so wenige Schüler_innen erreicht.