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Karneval der Stimmen

Empfindsamkeit ist Trumpf. Mit dem Roman Hinterland erweitert Feridun Zaimoglu seinen romantischen Radius und erzählt mit tückischen Perspektivwechseln von Zwergen, Gnomen und hochromantischen Gefühlen. Catharina Koller begibt sich als Lektüre-Touristin in Feridun Zaimoglus Hinterland und fremdelt.

Von Catharina Koller

Wer verbirgt sich hinter dem Namen Feridun Zaimoglu? Ein deutscher Autor? Deutsch-türkisch oder türkisch-deutsch? Und wie passen die beiden Kulturkreise, in und mit denen er groß geworden ist, zusammen? Seit seinen ersten zornig-wilden Büchern Kanak Sprak oder auch German Amok muss sich Zaimoglu immer wieder diesen Fragen stellen. Nun, mit Hinterland, (obwohl das sicher nicht Antriebsfeder des Romanprojektes war) wischt er den Fragern eins aus: Es gibt nicht nur einen Wanderer zwischen zwei Kulturen, sondern das gesamte Romanpersonal wird auf Reisen geschickt: Der Prag-Tourist Ferda hat sich heillos in Aneschka, die Komponistentochter verliebt. Nach einer Weile flieht sie vor seiner Liebe nach Berlin zu ihrer Brieffreundin, der Fotografentochter. Die Kellnerin eben jener Rockerkneipe, in der Aneschka auf ihre Freundin wartet, verreist wiederum nach Föhr, zusammen mit ausgerechnet dem Mann, der in ihre Wohnung einbrach. Auf solch umständliche und kuriose Weise sind alle Figuren des reichlich bevölkerten Romans miteinander verbunden, allesamt angetrieben von romantischen Gefühlen. Und auch sonst scheint es, als sei Hinterland gründlich durchromantisiert worden: Empfindsamkeit ist Trumpf, Zwerge und Gnome tauchen auf, immer wieder säumen Ruinen den Weg…

Auch die Erzählperspektive ist gleichsam zertrümmert, andauernd wechseln die Blickwinkel: Einmal berichtet Ferda, ein anderes Mal wird über ihn berichtet, dann driftet die Stimme ab, völlig andere Figuren kommen zu Wort – in beeindruckendster Vielfalt: Plattdeutsch-nüchterne Friesen erscheinen allein durch ihre Sprache genau so lebendig wie alte weise Männer in Istanbul, likörselige Damen ebenso wie mittelschwere Jungs. In einer kurzen Szene am Waldrand mit Leiche klingt die Erzählstimme auf einmal als wäre sie schwarzweiß und trüge Trenchcoat und Hut, andernorts gleitet sie wieder ins traumgleich-wirre ab: »Ich sagte: Hast du wild geschlafen? Eine Locke steht dir hinten ab. Es gefiel ihm überhaupt nicht, wie ich mich verhielt, denn den Nebel konnte man nicht narren, wenn man im Nebel stand, mußte man der Tollheit entsagen, soviel stand für ihn fest.« So, wie die Fabulierschwaden über weite Strecken wabern, verleiten sie dazu, es dem Juwelendieb Franz gleichzutun: »Er lauschte ihrer Stimme mehr, als dass er der Geschichte folgte.«

Buch-Info


Feridun Zaimoglu
Hinterland
Kiepenheuer & Witsch: Köln 2009
448 Seiten, 19,95 €
 
 

Doch im Erzählstrom lauern tückische Perspektivwechsel-Klippen: Geradezu vorsätzlich werden am Anfang eines jeden neuen Abschnittes Orts- und Personennamen verschwiegen. Kleinste Indizien werden anstatt dessen gestreut und es vergehen Seiten, bis das neue Setting sich einordnen lässt. Bis zum letzten Kapitel des Romans werden unvermittelt und immer wieder neue Handlungsstränge eingeflochten, so dass sich in Hinterland sozusagen mindestens zehn Romananfänge verbergen – was eine geradezu detektivische Lektüre verlangt. Bei aller Hineingabe in den Lese- und Sprachfluss bleibt der Leser auf diese Art doch fremd im Roman, ein Lektüre-Tourist.

Überhaupt scheint sich ein ständiges Fremdeln durch den Roman zu ziehen, auch das umherreisende Personal bekommt das zu spüren: ausgerechnet zwei Großstädter landen auf der Nordseeinsel Föhr, wo sich dann Friesen und Berliner distanziert beäugen; oder zwei Brüder aus der türkischen Provinz finden sich in der Metropole Istanbul nur mit Hilfe einer ihnen fremden Frau zurecht.

Ferda hingegen, der heimliche Protagonist des Romans, scheint gegen eben dieses Fremdeln immun zu sein. Er zieht wie ein etwas melancholischer Taugenichts kreuz und quer durch die Lande. Er ist ein empfindsamer Träumer und schräger Vogel, Studienabbrecher und talentloser Schusterlehrling. Seine Eltern kommen aus der Türkei, seine Großeltern wiederum aus Tschetschenien, er selbst wird allerorts als der »Deutsche mit den braunen Augen« gesehen. Blinzelt da stellenweise nicht der Autor selbst durch die Romanzeilen?

»Identität ist Tofu für Lemminge« polterte Feridun Zaimoglu in seinen wilderen Zeiten. Und auch sein Romantik-Projekt, das bereits mit seinem letzten Roman, Liebesbrand, begann, scheint hervorragend dafür geeignet zu sein, Zugehörigkeiten aufzuweichen. Die Figur Ferda erscheint wie ein Schwamm, der alle lokalen Konventionen in sich aufsaugt: Eigentlich will er nur Tourist sein, doch überall, wohin es Ferda verschlägt, überrollen ihn die lokalen Geschehnisse geradezu, er wird mitgerissen und ein Teil von ihnen, seien es nationalistische Bandenkämpfe in Budapest oder die Suche nach hölzernen Ikonen in den Kellern von Krakau. Tief verborgen im romantischen Geraune von Hinterland werden Fremdheitsgefühle und Kulturunterschiede unentwirrbar ineinander verschlungen und dann auch noch auf den Kopf gestellt. Stadt und Land, Nord und Süd, Ost und West, Mann und Frau, Wunschtraum und Wirklichkeit, alles wird eins.

Wer verbirgt sich nun hinter dem Namen Feridun Zaimoglu? Ein empfindsamer Getriebener der Liebe? Oder gar der Visionär eines hochromantischen Großeuropas? Er selbst würde sich wohl als Geschichtenmachergesellen bezeichnen – ungleich talentvoller als sein Protagonist Ferda im Schusterhandwerk, muss man hinzufügen. Bloß dieses Mal, beim Schreiben von Hinterland, scheinen ihn die Unerschöpflichkeit der Sprache und die Allmacht des Erzählens derart überwältigt zu haben, dass ihrer geradezu absolutistischen Herrschaft im Roman alles andere unterliegt.



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 Veröffentlicht am 16. August 2010
 Kategorie: Belletristik
 Foto von clarita via morguefile
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Ein Kommentar
Kommentare
 Anton
 16. August 2010, 12:58 Uhr

Schöne Rezension. Ich mache hier einmal nebenbei Werbung zum Thema:

*10.09.2010 | FREITAG*
20:00 – 21:30 Uhr

Begrüßung: Dr. Alexander Bastek (Leiter Museum Behnhaus Drägerhaus)

*Lesung*mit Feridun Zaimoglu, Kiel, aus seinem Roman “Hinterland”.

Moderation: Dr. Jürgen Haese

Diese Veranstaltung findet an folgendem Ort statt:
Museum Behnhaus Drägerhaus
Königstraße 9-11
23552 Lübeck

Eintritt: € 9,-/6,-

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