Wir haben keine Angst! Nicht vor Freitag dem 13., nicht vor dem Herbst! Und deswegen trauen wir uns ab dem 13. Oktober alle vor die Tür, um am 26. Göttinger Literaturherbst zu partizipieren. Der Vorverkauf läuft, Litlog präsentiert einige Nonplusultras und Hintergründe des am längsten kontinuierlich ausgerichteten Literaturfestivals im deutschen Sprachraum.
Von Dorothee Emsel
Auf der Pressekonferenz sind sich Gesa Husemann, Stephan Lohr (beide verantwortlich für Veranstaltungskonzeption und Programmplanung) sowie Geschäftsführer Johannes-Peter Herberhold einig darüber, dass die diesjährigen Festival-Förderungen beispielsweise durch den Landkreis Göttingen (ausgelegt für die nächsten 3 Jahre), das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur wie auch die Klosterkammer Hannover zu einer breiten Aufstellung des Programms beigetragen haben, das über die Stadtgrenzen Göttingens hinausgeht. So halten Veranstaltungen u.a. Einzug in die Stadtbibliothek Einbeck (Sonja Markowski), in das Welfenschloss Hann. Münden (Hannelore Hoger), die Stadthalle Osterode (Arne Dahl) oder die Basilika St. Cyriakus Duderstadt (Rolando Villazón). »Über kulturelle Projekte gestaltet sich das regionale Zusammenwachsen«, so Herberhold. Ganz richtig.
Einige ausgewählte Höchstmaße:Marc-Uwe Kling hat wenig Zeit, deswegen kommt er schon am 12. Oktober, vor dem offiziellen Start des Literaturherbstes. In der Stadthalle Göttingen präsentiert er sein neues Machwerk QualityLand, das sich mit dystopischen Gesellschaftsbildern und Furcht-Visionen von digitaler Machtübernahme an seinem Känguru vorbeischleicht.
Hanns Zischler verfügt als Cineast und Kafka-Enthusiast über ein profundes Sammelsurium an Filmplakaten, Zeitungsschnipseln und Archivmaterial zu Filmen, die der in Prag geborene Franz K. einst gesehen hatte oder hätte gesehen haben können. Und mit Kafka ging er dann auch ins Kino.1 Zischler kommt nicht, dafür aber Harald Martenstein, Buchautor und ZEIT-Kolumnist; dieser befindet sich in schnofelnder Sammlermanier irgendwie auch ständig Im Kino: Der Titel gehört zur Anthologie seiner besten Kolumnen über das Business hinter dem Film und den Film per se, vielgelesen auch als Begleitmaterial zur Berlinale. Neue Schauburg Northeim, 14. Oktober.
Mit Sven Regener ist es möglich, eine langjährige Liebesbeziehung zu pflegen, ohne dass sich Enttäuschung breit macht. Als Gründer und Sänger der Band Element of Crime zecht, verreist und heult er mit uns, und das bereits seit 1985. So auf und ab geht es auch mit seinen literarischen ProtagonistInnen, die können scheitern und dürfen ab und an aber auch mal einen Blumentopf gewinnen, vor allem jedoch irgendwie immer wieder kommen. Der 29-jährige Protagonist Frank (aka Herr Lehmann) aus Berlin-Kreuzberg gab den Auftakt zur Lehmann-Trilogie, die mit den Nachfolge-Romanen Neue Vahr Süd und Der kleine Bruder formell ihren Abschluss fand. Jetzt aber gibt es ein Wiedersehen im Dazwischen, Davor und Danach: Regener präsentiert Wiener Straße im Deutschen Theater am 15. Oktober.
Ihm zu Ehren: Skulpturen, Plaketten, Kabarettisten-Preis, Gedenksteine. Schweinigelei und Quatschtrieb wurden dem (fiktiven) Vagabunden Till Eulenspiegel angedichtet, so manch einer treibt´s noch immer bunt unter Berufung auf den infamen Buben. Einer der großen Epiker unserer Zeit geht mit Eulenspiegel ein literarisches Bündnis ein: Daniel Kehlmann präsentiert am 20. Oktober in der Lokhalle Göttingen seinen neuen Roman Tyll. Er bringt uns die Figur des Eulenspiegel nahe, der unter den Wirren des Dreißigjährigen Krieges mit Bäckerstochter Nele umherzieht und Jedermann und Jederfrau die eigenen und gesamtgesellschaftlichen Defizite aufzeigt. Die knappe Mystifizierung des Titels lässt vermuten, dass hier eher historisiert als skizziert, eher mondän entzaubert als überspannt verhext wird.
»Bolle reiste jüngst zu Pfingsten«, Frank Schulz, Susanne Fischer und Gerhard Henschel im Oktober: Die inhaltliche Verknüpfung lässt sich just jetzt durch den Veranstaltungstitel Séance à Harry Rowohlt – »…aber dennoch hat sich Harry ganz prächtig amüsiert!« herstellen. Die drei GefährtInnen Rowohlts lassen den 2015 verstorbenen Sprachjongleur mittels Text und Bild noch einmal auf die Bühne, seine Spitzfindigkeiten Revue passieren, man verbündet sich erneut mit dem Mann mit Bart, auch wenn man das Berliner Haudraufwienix-Lied mit dessen Namen als Lückenfüller nur bedingt bereitwillig durch die Nacht trällern möchte. Am 22. Oktober im Deutschen Theater.
Reihen & Formate:Einen der zu begrüßenden Festivalschwerpunkte bildet No Limits! in Zusammenarbeit mit dem Migrationszentrum für Stadt und Landkreis Göttingen. Unter anderem leiten in diesem Rahmen die muslimischen Poetry-Slammer der Berliner Gruppe i,Slam einen zweitägigen Slam-Workshop in der Musa, dessen Abschlusspräsentation vielsprachig am 15. Oktober in der Musa stattfindet.
Darüber hinaus konfrontiert die syrische Autorin Rasha Abbas in Texten ihres Erzählbandes Die Erfindung der deutschen Grammatik das Publikum mit sprachlichen und kulturellen Eigenheiten Deutschlands; Abdoul Abbasi, seines Zeichens ortsansässiger Zahnmedizinstudent und Blogger (GermanLifeStyle), rechnet ab mit deutschen und syrischen Klischees. Am 19. Oktober in der Musa.
Maximilian Meier, in diesem Jahr in einer Reihe mit den Festivalorganisatorinnen Nina Hornig und Gesa Husemann und auch bekannt als einer der Mitherausgeber des Prisma – Zeitblatt für Text & Sprache, präsentierte auf der Pressekonferenz die diesjährigen »Jungen Formate beim Herbst«: Darunter fällt beispielsweise die Revue Lichtung #3 am 18. Oktober im Literarischen Zentrum. Der Themenkern liegt in der Präsentation junger Literaturzeitschriften, darunter die Hildesheimer Literaturzeitschrift BELLA Triste, deren HerausgeberInnen gleichzeitig alle drei Jahre das PROSANOVA-Festival für junge Literatur in Hildesheim ausrichten, sowie das Schweizer (»narrativistische«) Literaturmagazin Narr.
In das junge Programm-Format reihen sich auch die Lesungen (und Performances) von Nachwuchstalent Jakob Nolte (Alff, Schreckliche Gewalten) und Genre-Grenzgängerin Maren Kames (halb taube halb pfau) ein: Wir wollten in die Gegenwart zurück trasht sich mit Text, Installation und Sound am 13. Oktober durch die Galerie Art Supplement, und weil´s bestimmt aufwühlt, wird im Anschluss mittels musikalischer Reminiszenzen und Begleitgetränken der Nachhauseweg gesichert.
Wir geben zu bedenken: Dies war nur eine kleine Auswahl des Programms. Wer an diesem Punkt schon meint, etwas verpasst zu haben, der informiere sich über das Print-Programm oder online!