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Politisch engagiert?

Mischt sich die deutsche Literaturszene in den gesellschaftlichen Diskurs ein oder sind politische Autor*innen heute nur noch Eintagsfliegen? Lilly Günthner und Tobias Tegethoff untersuchen in ihrem Essay aktuelle Formen politischer Literatur und Autorschaft von Günter Grass bis Juli Zeh.

Von Lilly Günthner und Tobias Tegethoff

Ein Gedicht in der SZ? Es war schon ungewöhnlich, als im April 2012 das Gedicht Was gesagt werden muss auf der Titelseite der Süddeutschen Zeitung prangte – und dann auch noch von Grass! Natürlich lässt sich, wie die nach der Veröffentlichung losgetretene Debatte zeigt, vortrefflich über den Inhalt des Gedichts streiten. Doch schon allein die Tatsache, dass ein politisches Gedicht an einer solch hervorgehobenen Stelle abgedruckt wird, ist bemerkenswert. In der deutschen Literatur – und Feuilletonlandschaft ist Literatur mit einem so expliziten politischen Anspruch unserer Beobachtung nach etwas höchst Seltenes.

Aus diesem eher gefühlten Seltenheitswert ergibt sich die Frage, ob es sich bei dem Gedicht von Grass nur um eine Eintagsfliege handelt oder ob noch weitere Gegenwartsautor*innen politische Texte schreiben, sich in den politischen Diskurs einmischen wollen, und welche Bedeutung man ihnen beimisst. Dazu wird im Folgenden, nach einem kurzen historischen Überblick, Juli Zeh als politische Autorin der Gegenwart und das jüngste Projekt zur politischen Lyrik in der Wochenzeitung DIE ZEIT vorgestellt.

Unter politischer Autorschaft wird hier Zweierlei verstanden. Zum einen politische Literatur, sprich Werke, die einen politischen Anspruch besitzen und so auf den gesellschaftlichen Diskurs Einfluss nehmen wollen. Zum anderen Autor*innen, die sich offen politisch äußern und Stellung beziehen. Diesen Anspruch vertraten beispielsweise Autor*innen der auf Jean-Paul Sartre zurückgehenden littérature engagée, oder auch die Gruppe 47 um Hans Werner Richter.

Von Günter Grass bis Juli Zeh

Ein dezidiert politisches Konzept von Autorschaft, wie es Günter Grass noch heute vertritt, scheint in der jüngeren Autor*innengeneration eher selten zu sein. Das Selbstverständnis, mit dem sich Autor*innen noch vor einigen Jahrzehnten in den politischen Diskurs einmischten und sich klar positionierten, scheint heute weitestgehend verloren gegangen zu sein. Zu den wenigen politischen Autor*innen der Gegenwart zählt zweifelsohne die 1974 geborene Juli Zeh. Sie setzt sich nicht nur in vielen ihrer literarischen Werke mit gegenwartspolitischen Themen auseinander, sondern bezieht auch klar politisch Stellung und mischt sich in aktuelle Diskussionen des politischen Zeitgeschehens ein. Die promovierte Juristin äußert sich in Essays zu Themen wie der zunehmenden staatlichen Überwachung, der Europolitik oder der allgemeinen gesellschaftlichen Stimmungslage in Deutschland. In dem gemeinsam mit Ilija Trojanow verfassten Buch Angriff auf die Freiheit (Hanser 2009) setzt Juli Zeh sich mit sicherheitspolitischen Maßnahmen und Überwachung auseinander und prangert den zunehmenden Abbau bürgerlicher Rechte an.

Eine deutliche Parallele zu Günter Grass Selbstverständnis als politisch engagiertem Autor zeigt Juli Zeh durch Aktionen wie ihrem Mitwirken im Bundestagswahlkampf 2005. Sie unterstütze, einem Aufruf Günter Grass folgend, die rot-grüne Koalition. Besonders in dieser direkten personellen Verbindung zeigt sich die Nähe zum ›Modell Grass‹, das heute zwar eher wie ein Anachronismus wirkt, aber durch sein permanentes Praktizieren nicht an Aktualität verliert. Dass sich Zehs politisches Engagement nicht auf die Veröffentlichung von Texten beschränkt, zeigt etwa ihre 2008 getätigte Verfassungsbeschwerde gegen den biometrischen Pass. Auch in Interviews bezieht sie immer wieder politisch Stellung. Zu ihrem Konzept von Autorschaft gehört diese politische Komponente unbedingt dazu, entsprechend ist auch ihre Inszenierung als Autorin geartet. Juli Zeh inszeniert sich, wenn auch weniger auffallend als Günter Grass, als politisch engagierte und eingreifende Bürgerin und Autorin. Aber auch in ihren literarischen Werken selbst setzt sie sich mit politischen Themen auseinander und erhebt einen gesellschaftspolitischen Anspruch. 1 In ihrem 2001 erschienenen Romandebüt Adler und Engel (Schöffling 2001) behandelt sie die Europapolitik, sowie den Bosnienkrieg und seine Verbrechen.

Politische Lyrik on demand?

Einen anderen Weg, Politik und Literatur in Verbindung zu bringen, wählte die Wochenzeitung DIE ZEIT mit ihrer Reihe Politische Lyrik im Jahr 2011, indem sie Lyriker*innen ansprach und bat, für den Versuchszeitraum von einem Jahr, Gedichte zu schreiben, die mit einem politischen Anspruch verknüpft sein und im Politikteil der Zeitung gedruckt werden sollten. Ausschlaggebend für dieses Projekt schien für die ZEIT-Redaktion das eigene Vermissen von politischer Lyrik, die man bereits als passé betrachtete. Die heutige Lyrik scheint vornehmlich von »Sprache und Wahrnehmung«2 zu leben.

Trotzdem gelang es der Wochenzeitung, interessierte Autor*innen zu gewinnen, die bisher nicht als dezidiert politisch wahrgenommen wurden. Ein Jahr lang erschienen Texte von Marion Poschmann, Daniela Danz, Michael Lentz, Hendrik Rost, Ulf Stolterfoht, Nora Bossong, Ann Cotten, Herbert Hindringer, Jan Wagner, Monika Rinck und Uljana Wolf. Diese Gedichte unterscheiden sich in ihrem Stil stark von einem poetischen Leitartikel, wie etwa Was gesagt werden muss von Grass, indem sie wesentlich poetischer, dichter und verklausulierter sind. Des Weiteren scheinen sie nicht auf ein gewisses Ziel, wie die Verhinderung eines Erstschlags Israel gegen den Iran hinzuarbeiten, sondern beschreiben vielmehr soziale Phänomene, wie das Aufkommen von Smartphones, die Politikverdrossenheit oder setzen sich mit Politikerpersönlichkeiten auseinander. Es handelt sich hierbei eher um ein gesellschaftspolitisches Barometer, als um klassisch politisch engagierte Literatur mit offensichtlicher Botschaft. Bemerkenswert an dem ZEIT-Projekt sind vor allem Herangehensweise und Zustandekommen der Reihe. So waren es nicht die Autor*innen, die sich selbstständig einen politischen Stoff suchten und zu ihm schreiben wollten, sondern die Zeitung kam auf die Autor*innen zu und bat sie explizit um politische Lyrik. Ein Vorgang, der eine Wiederbelebung für politische Literatur ist und nicht selbst aus der Literaturszene stammt.

Politische Literatur ist, wie die Beispiele zeigen, noch nicht völlig passé, sie nimmt jedoch keine dominante Stellung im literarischen Diskurs ein oder, wie das das ZEIT-Projekt veranschaulicht, muss zum Teil künstlich am Leben gehalten werden. Im postmodernen Pluralismus ist die Vorherrschaft einzelner Autorschaftskonzepte einem Nebeneinander unterschiedlicher Strömungen gewichen. Das ist nicht ungewöhnlich, sondern ein allgemeiner gesellschaftlicher Prozess, dem sich auch die politische Autorschaft beugen muss.

  1. Vgl. Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Artikel über Juli Zeh von Heinz-Peter Preußler http://han.sub.unigoettingen.de/han/NachschlagenetKLGonline/www.nachschlage.net/search/klg/Juli+Zeh/737.html, 21.01.2012.
  2. Vgl. Tegzess, Bibl und Ulrich, Berd: Macht, Gedichte, http://www.zeit.de/2011/11/Gedichte-ueber-Politik, 27.1.2013.


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 Veröffentlicht am 25. Juli 2013
 Kategorie: Misc.
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