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Pop! Pop! Pop!
Pop II – Only death is real

Im zweiten Teil unserer Pop-Reihe skizziert Niels Penke die wohl morbidesten Authentifizierungstechniken populärer Musikstars: Der norwegische Black Metal hat Anfang der 1990er Jahre ‚Realness‘ und ‚Trueness‘ für sich reklamiert. Er grenzte sich radikal gegenüber der ersten Black Metal-Welle und dem Death Metal ab, indem er seine Worte ernst meinte und durch Taten beglaubigte.

Von Niels Penke

True, real, echt, wahr und authentisch. Attribute wie diese werden seit Jahrzehnten im Metal zur identitären Selbstbeschreibung benutzt und sind heute in nahezu all seinen Spielarten von Bedeutung. Auf ihrer Grundlage haben sich im Zuge der Genre- und Szenen-Radiation Selbstbehauptungs- und Delegitimierungsstrategien als erfolgreich erwiesen, die das Eigene über die positive Identifizierung als einzig true und wahr setzen und dem Anderen Qualitäten des Unechten, Falschen, Verräterischen und Schlechten zuschreiben. Erstaunlicherweise haben sich diese Strategien sowohl als traditionalistische Behauptung gegenüber im Verdacht des kommerziellen Ausverkaufs und damit des ‚Verrats‘ stehender Entwicklungen ebenso erfolgreich erwiesen wie bei avantgardistischen Bestrebungen, die sich damit gegenüber dem Etablierten positionieren. Die New Wave of British Heavy Metal hat sich auf diese Weise Ende der 1970er Jahre in Opposition zu Black Sabbath und Kiss gestellt, die in Disco-taugliche Beliebigkeit abzudriften drohten, wie sich in den 1990ern die ‚traditionellen‘ Metal-Genres gegenüber Crossover und Nu Metal als true zu behaupten versuchten. Mit dem Vorwurf der Falschheit ging zumeist auch jener einher, Trend zu sein und sich dem von Hütern der Trueness vehement befehdeten, aber unspezifischen Phantom Pop anzudienen.

Dabei scheinen die Komplexität und Drastik dieser Narrative, also der Distinktions- und Abgrenzungserzählungen, über die Trueness reklamiert wird, mit der Differenzierung von Genres und Szenen zuzunehmen.

Autor

Dr. Niels Penke studierte und promovierte an der Georg-August-Universität Göttingen. Seit 2015 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Siegen Koordinator der Forschungsstelle Populäre Kulturen.

 

Pop Pop Pop!

Pop als Feld permanenter Aushandlungsprozesse braucht Authentizität. Der Verweis auf realness und fake, street credibility und wahre Identität dient in der populären Musik dazu, sich nach außen und innen zu vergewissern. Gleichzeitig ist Authentizität immer dann vorbei, wenn man sie als solche begrifflich zu fassen beginnt. Nach der Ringvorlesung des Wintersemesters 2014/15 an der Universität Göttingen hat sich im September 2015 auch ein komparatistischer Workshop in intensiven Diskussionen dem Thema populärer Musik gewidmet und dabei Phänomene der Authentizität und Artifizialität in den Fokus gerückt. In der Reihe Pop! Pop! Pop! präsentieren die VeranstalterInnen Julia Benner, Anna Bers und Niels Penke auf Litlog die einzelnen Beiträge des Workshops.

 
 
Besonders deutlich lässt sich dies in der Herausbildung des Black Metals in seiner zweiten Phase im Norwegen der frühen 1990er Jahre nachvollziehen. Denn dieser neue Black Metal tritt nicht zu einem unspezifischen Pop in Opposition, zu Hip Hop, Techno und Hardcore, sondern auch in Konkurrenz zu verwandten Genres, vor allem dem Death Metal, als dessen Überwindung und eigentliche Erfüllung die Protagonisten Black Metal verstehen. Es geht primär um neue konzeptionelle Selbstentwürfe – oder um mit Pierre Bourdieu zu sprechen – einen veränderten Habitus und die gegenüber anderen Metal-Spielarten und -Szenen oft nur ‚feinen‘ Unterschiede einer männlichen, antimodernistischen und vor allem elitären Distinktion. Dieser spezifische Black Metal-Habitus, für den das ‚Echte‘ und ‚Wahre‘ von zentraler Bedeutung sind, lässt sich an drei (im Hinblick auf ihre Stellung im Feld) zentralen Figuren des norwegischen Black Metals und ihren Inszenierungsformen exemplifizieren.

Dead – Euronymous – Varg: True Norwegian Black Metal

Im Frühjahr 1988 siedelte der neunzehnjährige Per Ohlin, der sich Dead nannte und bereits mit der Death Metal-Band Morbid zu einiger Underground-Prominenz gekommen war, aus Stockholm nach Oslo über, um den vakanten Sänger-Posten bei Mayhem einzunehmen, einer Band, die bereits seit 1984 bestand und sich in Abgrenzung zu zahlreichen gleichnamigen Bands der aus Deutschland, Finnland, Italien, Ungarn oder den USA the true nannte.

Zwei Demo-Tapes standen bis dato auf der Veröffentlichungsliste, die zwar in Fachkreisen registriert wurden, aber Mayhem keine internationale Bedeutung verschafft hatten. Mit dem Besetzungswechsel änderte sich vieles. Es scheint rückblickend nicht übertrieben, an seiner Person die entscheidende Wende nicht nur der Band, sondern des ganzen Genres festzumachen. Zwar war manches von dem, was zur Modifizierung Mayhems beitrug, bereits bei seiner alten Band vorhanden gewesen, doch die Zusammenarbeit mit Euronymous (Oystein Aarseth), Gitarrist und Songwriter der Band, brachte den entscheidenden Mehrwert: nicht nur die Texte erfuhren durch Ohlin eine Neuausrichtung, sondern auch der Sound wurde ein anderer. An die Stelle der zuvor Horrorfilm-inspirierten Mord- und Zerstörungsphantasien traten Stimmungsbilder, die in schwarzromantischer Tradition Friedhöfe, den Mond und transilvanische Landschaften (Funeral Fog, Buried by Time and Dust, The Freezing Moon) beschworen.

Ihnen verlieh Dead durch seinen kehligen Gesang mehr Nachdruck und Tiefe, als es seine Vorgänger vermocht hatten. Zudem wurden die Songs länger, die Gitarren gegenüber dem Death Metal-Tuning höher gestimmt und stärker verzerrt, auch Soli gewannen an Bedeutung. Insgesamt wurde die frühere Brachialgewalt zugunsten spezifischer ‚Stimmungen‘ gemildert. Diese Anklänge spiegeln sich auch in den Lyrics, die zahlreiche Sehnsuchtsmotive aufweisen und in verschiedenen Rollen aus der Perspektive von Vampiren, Dämonen und allgemein Lebensmüden formuliert sind. Sie korrelieren zudem mit den Selbstdarstellungen auf Photos. Dabei sollte die Schminke mehr sein als das bei Kiss oder Alice Cooper karnevalesk-maskierende Facepaint, nämlich bedeutungstragendes Corpsepaint – um der textlich beschworenen Leichenartigkeit näher zu kommen.

Eine auf reale Effekte1 gegründete Inszenierungspraxis, die noch dadurch verstärkt wurde – so zumindest behaupten es Zeitzeugen – dass Ohlin seine Kleidung vergraben und gehungert habe, um seinem Namen gerecht zu werden. Bei den Live-Auftritten des Jahres 1990 kam dieser Formwille zum Ausdruck, indem die Leichenhaftigkeit durch ebenfalls wirkmächtiges2 selbstverletzendes Verhalten mit Glasscherben und Messern ergänzt wurde. Vor allem diese autoaggressiven Praktiken trugen zur Beglaubigung des Anspruchs bei, etwas radikal anderes zu sein als all die Death Metal-Bands, die den Tod lediglich im Namen führten, ihn eifrig besangen oder in Covermotiven abbildeten, ihm aber nicht näher zu kommen, ihn nicht ‚leben‘ wollten.

Nahezu folgerichtig beging Ohlin Suizid und erschoss sich im April 1991. »To me, only Black is true and only death is real !!!«3 hatte er kurz vor seinem Tod in einem Interview gesagt. Der Akt der Selbsttötung erscheint so als ein weiterer Akt der Beglaubigung, als schaurigste Form von Authentizität. Und im ‚Inner Circle‘ des norwegischen Black Metals wurde dies genauso interpretiert: Bard ‚Faust‘ Eithun, Schlagzeuger der Band Emperor, betonte »the old bands just sang about it – today‘s bands do it!«4 – und deutet den Suizid Ohlins als Fortschreibung aller ‚Aktionen‘ und nicht weiter steigerungsfähige Tat (Ohlin sollte auch nicht der einzige Black Metal-Musiker bleiben, der freiwillig aus dem Leben schied). Das in einigen seiner Texte artikulierte Gefühl, kein Mensch und auf einem fremden Planeten gelandet zu sein (Parallelen zu Gedichten Stagnelius‘, Baudelaires oder Obstfelders sind nicht von der Hand zu weisen), erschöpft sich also nicht in der lyrischen Geste, sondern wird praktisch eingelöst, von seinen Mitmusikern euphorisch aufgenommen und strategisch zur Inszenierung genutzt. Ohlins Bandkollege Aarseth kommentierte lakonisch: »When Dead blew his brains off it was the greatest act of promotion he ever did for us…It’s always great when someone dies – it doesn’t matter who.«5

Bezeichnend ist vor allem die Konsequenz und ‚Professionalität‘ der Inszenierung, die in einem totalen Übergewicht der Rolle als Black Metal-Persönlichkeit besteht, hinter dem die reale Person zum Verschwinden gebracht wird. Pseudonyme und Schminke zeigen jene totale Verwandlung an, in deren Konzeption kein Platz für Alltägliches und menschliche Regungen ist. Black Metal kennt in seiner ‚wahren‘ Ausformulierung nur die Selbstreferenz. Dass diese Praxis, Leben in Kunst zu verwandeln, als Strategie künstlerischer Selbstinszenierung gar nicht so neu und auch von einer unleugbaren Künstlichkeit, also brüchig ist, taucht nirgends auf. Denn: das relativierende Element der Ironie fehlt.

Irony is Over

Dies wird besonders an Mayhems Gitarristen Oystein Aarseth deutlich, der über sein Label Deathlike Silence Productions ab 1990 Platten veröffentlichte, an denen sich paradigmatisch die Fokussierung auf den Ernst im neueren Black Metal ablesen lässt. Das Logo des Labels enthält die Maxime »No Mosh, No Core, No Trends, No Fun« und zeigt in Anlehnung an ein Verbotsschild unter einem Querbalken ein Foto des US-amerikanischen Death Metal-Produzenten Scott Burns (der u. a. Death, Obituary und Cannibal Corpse produzierte). Burns verkörpert für Aarseth alles, was ihn am damaligen Death Metal stört:

It’s a big trend today to look totally normal with these goddamn jogging suits and sing about ‘important matters’, and call it Death Metal. These people can die, they have betrayed the scene. Death Metal is for brutal people who are capable of killing, it’s not for idiotic children who want to have a funny hobby after school. […]. I’d like to see a scene where the music is something gruesome and evil that normal people fear, and where the people in the scene all look like Hellhammer or old Sarcofago, spikes and chains rule!6

Der zeitgenössische Death Metal besteht für Mayhem aus Spaß, der als Trendphänomen jede Exklusivität unterläuft, Charterfolge feiert und große Konzerthallen ausverkauft. Hinzu kommt die Affinität einiger Bands7 zum Hardcore und seinen eher weltlichen Themen – Umweltschutz, Tierrechte, soziale Gerechtigkeit – die nicht ins Themenspektrum des ‚wahren‘ Death oder Black Metal gehören. Zudem wird das Moshen, also das ‚Tanzen‘ zu Metal bzw. Hardcore, abgelehnt und öffentliche Spaßbezeugungen endgültig aus dem Spektrum des ‚wahren‘ Black Metals verbannt. Auch im Paratext der Katalognummer wird dies angezeigt: statt eines Labelkürzels lautet die Produktkennzeichnung auf »Anti-Mosh«.

Neben dem ‚praktischen Vorbild‘ Ohlin fungierte Aarseth vor allem als Spiritus Rector, der neben Band und Label noch einen Plattenladen in Oslo betrieb: Helvete, Hölle, der ein zentraler Anlaufpunkt der norwegischen Black Metal-Szene war. Dadurch übte er einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die größtenteils noch jungen Musiker seines Einzugsbereichs aus, wie sich besonders deutlich an den Stiländerungen anderer Bands zeigt: Das gilt etwa für Darkthrone, die bereits als professionelle Death Metal-Band ein Album veröffentlicht hatten, aber nach einer Art Konversion durch Aarseth Spielart, Logo, Pseudonyme und den entsprechenden Habitus veränderten.

Ähnliches lässt sich an vielen norwegischen Black Metal-Bands feststellen: Immortal gingen aus Amputation hervor, Emperor aus Embrionic bzw. Thou Shalt Suffer, Enslaved aus Phobia und Varg Vikernes gründete Uruk-Hai bzw. Burzum nach seinem Ausstieg bei Old Funeral. Sie alle orientierten sich an einer neuen Ästhetik und größtenteils auch veränderten Programmatik. In dieser stellte neben dem Anspruch auf Echtheit Ernst eine zentrale Kategorie dar, über die Anerkennung und Standing innerhalb der Szene verhandelt wurden. Gerade durch dieses Machtverhältnis ist es zutreffend, von einer vorherrschenden »Humorlosigkeit als Ideologie«8 zu sprechen, wie Roman Seidl vorgeschlagen hat, weil sie nicht nur für die frühen norwegischen Bands, sondern für viele Inszenierungsstrategien im Black Metal zutreffend erscheint.

Spaßfeindlich Ernst machen

Ironiefrei und ernst war auch Varg Vikernes, der ab 1991 mit seinem Solo-Projekt Burzum musikalisch ebenso richtungsweisend werden sollte wie mit seinem Aktionismus. Sein Ernst war nicht zerstörerisch gegen sich selbst gewendet und auch seine martialischen Inszenierungen erschöpften sich nicht in effektvollen Photographien, sondern erweiterten den Black Metal um eine für seine weitere Popularisierung entscheidende Komponente: die militante Tat. Das Cover der zweiten Burzum-Veröffentlichung auf DSP, die Mini-CD Aske, deren Erstauflage zudem noch ein Feuerzeug beilag, zeigt die niedergebrannte Fantoft-Stabkirche, die am 6.6.1992 durch Brandstiftung zerstört wurde. Mit einiger Wahrscheinlichkeit war Vikernes Initiator und (Mit-)Ausführender dieses durchaus terroristisch zu nennenden Auftakts einer Serie von insgesamt 50 Brandanschlägen in den Jahren bis 1996, der nicht nur zahlreiche bedeutende Sakralbauten zum Opfer fielen, sondern die auch Menschenleben forderte. Aufgrund seiner eigentümlichen Musik, die sich durch den Gesang und eine hypnotische Monotonie von allen bisherigen Black Metal-Bands deutlich unterschied, und der aktionistischen ‚Erfolge‘, beanspruchte Vikernes eine Führungsrolle innerhalb der norwegischen Szene. Eine Rolle, die er jedoch nicht lange ausüben sollte, da er mit seinem Label-Chef Aarseth in Streit geriet und diesen im August 1993 mit zwei Dutzend Messerstichen tötete. 1994 wurde Vikernes für diese und andere Taten für 16 Jahre inhaftiert. Dennoch gelang es ihm trotz Isolationshaft, seine Medienpräsenz weiterhin hoch zu halten. Besonders die bis heute andauernden Kontroversen, ob und wie zwischen Musik und Mensch zu trennen sei, haben Vikernes als »the most notorious metal musician of all time« stets in Erinnerung gehalten, zumal der ideale Repräsentant des ‚wahren‘ Black Metal seinen Kampf gegen die ‚judeo-christliche‘ Fremdherrschaft in der Haft publizistisch weiterführte und zu einem weltweit bedeutenden Neonazi wurde, der dem Black Metal in Form des National Socialist Black Metal eine radikale völkische Idee geben sollte – um sich einige Jahre später vorübergehend vom Metal abzuwenden.

Verschärfen und Verschwinden

Gemeinsam ist allen drei Charakteren eine performative Beglaubigung der Bestimmungen, was ‚wahrer‘ Black Metal ist. Trotz individueller Unterschiede stimmen alle Akteure in einem Punkt überein: dem des Ernstes, der keinen Platz für Relativierungen in Gestalt von Humor, Ironie oder Kritik lässt, die der totalen Konzeption des Black Metal in letzter Konsequenz zuwiderliefen – was auch bedeutet, eben nicht nur von Tod und Zerstörung zu singen oder in Bildern auszudrücken, sondern auch durch die Tat zu bestätigen.

In dieser Entschlossenheit besteht (neben stilistischen Veränderungen) der primäre Unterschied zum Black Metal der ersten Welle Anfang der 1980er Jahre, in der es durchaus Platz für Humor gegeben hatte – man denke an Venom, die Begründer des BM und Songs wie Teacher’s Pet. Die Musik stand im Fokus, während eine Kostümierung optional, die Textinhalte vielfältiger waren und Pseudonyme keine Vollidentifikation von Rolle und empirischer Person bedeuteten. Die zweite Welle in Norwegen verengte diesen Spielraum, wie sich exemplarisch an der Entwicklung Mayhems, aber auch vielen anderen Bands beobachten lässt, die eine totale Identifikation von Black Metal als Lifestyle und Ideologie betrieben. Sie zeigen eine »Verschärfung bereits vorgefundener Ausdrucksformen und Gesinnungsmerkmale« an, die in ihrer radikalsten Form »schließlich die Wendung zu ‚politischen‘ Größenwahnsepisoden vollzogen hat«9, wie Dietmar Dath zutreffend bemerkt. Neben Kirchenbrandstiftungen und Mord verfolgte Varg Vikernes den Plan, eines Tages Diktator10 von Skandinavien zu werden, und bezog sich dabei ebenfalls auf das Natürliche und Authentische: »I’m a Viking, and we’re supposed to fight«11.

Dieses ‚Authentische‘ hatte seine Zeit in den Jahren 1990 bis 1993, in denen Musik, Inszenierung, Wort und Tat für die Akteure selbstverständlich zusammen kamen. Die Interpretationskämpfe, was die Ursprünge und eigentlichen Ziele dieser norwegischen Eruption gewesen seien, kamen erst später hinzu. Die Deutungshoheit über ‚Trueness‘ hat dort ihre strategische Bedeutung bewahrt, wo die Grenzen gegenüber ‚untruen‘ Genres wie dem Gothic Metal und Bands wie Dimmu Borgir oder Cradle of Filth, die zwar aus dem Black Metal kamen, sich aber nicht zuletzt durch kommerzielle Erfolge einer Underground-Attitüde entledigten, markiert werden mussten. Diese Diskurse schlossen sich in den späten neunziger Jahren eng an die vorgestellten Ausgangsnarrative an. Sie sind unter einigen Modifikationen im sogenannten Orthodox Black Metal erhalten geblieben und bestimmen das Verständnis einiger, was true Black Metal ist, bis heute: Eine exklusive Gemeinde, die sich weiterhin als satanistische Opposition im Kampf gegen Kirche und christliche Moral, gegen Trends und Kompromisse versteht. Allerdings wird dieser Kampf primär mit ästhetischen Mitteln geführt und die Konsequenz der Tat zu umgehen versucht.

Nicht zuletzt dadurch hat der Behauptungskampf darüber, was und wer im Abgleich mit den ‚Helden‘ von einst als ‚echt‘ gelten kann, wie es scheint an Bedeutung verloren. Auch die verschiedenen Einflüsse aus anderen Szenen und darüber neu eröffnete Zugänge zum Black Metal haben die entscheidenden Parameter des ursprünglichen Habitus in weiten Teilen suspendiert. Wenn solchen Entwicklungen nun mit Blogs und Facebook-Seiten entgegengetreten wird, um den ‚echten‘ und ‚authentischen‘ Black Metal zu bewahren, dann scheint Jean Baudrillards These einmal mehr bestätigt: »Wenn man von Authentizität spricht, dann heißt dies, dass sie unwiderruflich verschwunden ist.«12

  1. Dead betonte in einem Interview dass nur diese »REAL effects« dem Black Metal angemessen seien und zielte dabei auf die härteste Form der medialen Gewaltinszenierung ab: »only snuff is real«. Interview in Battery #5 1990, zitiert nach http://deadfrommayhem.ru/pages/en/battery90.html (Abruf 26.02.2016).
  2. Über ein Jahrzehnt später sollte Dead durch seine Praktiken zum Rolemodel des Subgenres Depressive and Suicidal Black Metal (DSBM) werden.
  3. Interview mit dem Magazin Death Power, zitiert nach http://deadfrommayhem.ru/pages/en/deathPower.html (Abruf 24.02.2016)
  4. Interview mit dem Magazin Kerrang von 1992, zitiert nach http://www.burzum.com/burzum/library/articles/kerrang/ (Abruf 24.02.2016).
  5. Interview mit dem Magazin The Sepulchral Voice, zitiert nach Patterson, Dayal: Black Metal. Evolution of the Cult. Port Townsend/WA: Feral House, 2013, S. 149.
  6. Euronymous, Interview mit Slayer Magazine Nr. 8, 1991, S. 33, zitiert nach Kristiansen, Jon: Metalion. The Slayer Mag Diaries. Hg. v. Tara G. Warrior, Brooklyn: Bazillion Points, 2011.
  7. Gorefest, Carcass, Obituary und besonders Napalm Death, die ebenso wie ihr Label Earache zum erklärten Feindbild wurden, vgl. The Slayer Mag Diaries, S. 210. Allgemeiner über die missliebigen Erscheinungen im Death Metal äußerte sich Dead ebenfalls im Battery – Interview, vgl. Fußnote 1.
  8. Seidl, Roman: Ideologie im Black Metal. Eine psychologische Analyse zu Neuheidentum und rechtsextremer Gesinnung. Saarbrücken: VDM Verl. Müller, 2008, S. 84.
  9. Dath, Dietmar: Das mächtigste Feuer. Die Kriegsfantasie als Nukleus von Moderne und Gegenmoderne, in Pop oder/und Avantgarde, in: Roger Behrens / Martin Büsser / Tine Plesch / Johannes Ullmaier (Hg.): testcard #9. Pop und Krieg, Mainz, 2000, 35–46. hier: S. 37. (Kursivierung im Original).
  10. Vikernes prophezeite dies in einem Interview mit dem englischen Musik-Magazin Kerrang: »and I will become the dictator of Scandinavia myself«, online hier (Abruf 24.02.2016).
  11. Ebd.
  12. Baudrillard, Jean: Rede zur Verleihung des Siemens-Medienkunstpreises 1995, in: Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (Hrsg.): Siemens-Medienkunstpreis 1995. Karlsruhe: ZKM, 1995, online hier (Abruf 24.02.2016).


Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 18. Mai 2016
 Kategorie: Wissenschaft
 Artikelbild: Collage aus Pop Pop Pop von Julia Benner und Mayhem - Jalometalli 2008 von Cecil via Wikimedia.
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