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Black Metal - Topoi des Bösen
Täter Black Metal

Black Metal unter Verdacht – Simon Inselmann ist auf der Spur des unter Generalverdacht stehenden Phantoms Black Metal und scheut sich nicht, moralische Abgründe zu beschreiten auf der Suche nach Antworten auf die Frage: Was ist eigentlich »black« am Black Metal? Artikel No. 1 der Reihe: Black Metal – Topoi des Bösen.

Von Simon Inselmann

Black Metal. Ein Verdächtiger, der den Detektiv auf Zeugensuche meist nur mit ratlosem Schulterzucken der Befragten zurücklässt. Einigen Gerüchten zufolge ist er Anhänger einer stark anti-christlichen bis misanthropischen Weltanschauung, kleidet und schminkt sich schwarz-weiß und schmückt sich mit allerlei Stacheln und verschiedensten das Böse symbolisierenden Zeichen. Dazu lässt er Musik erklingen, die häufig als das Geräusch eines bremsenden Zuges mit offenen Fenstern und schreienden Passagieren beschrieben wird. Wir werden uns trotz aller Widrigkeiten möglichst weit in die Tiefen dieses Musikgenres wagen und so auf der Spurensuche Stück für Stück ein Phantombild des Unbekannten zeichnen, das uns später eine Identifikation der Täter erlauben soll. Doch fangen wir mit dem ersten Indiz an: Metal.

Dankenswerterweise tragen die überaus erfolgreichen Metallica die Genrebezeichnung schon im Namen und so wissen wir heute alle, was wir uns unter Metal vorzustellen haben: Hohes Tempo, drückender Gitarrensound, bissige Texte und eine energetische Grundaggressivität, mit der man die Fans begeistern und die älteren Generationen provozieren kann. Doch was ist jetzt so besonders »black« am Black Metal? Schon die europäische Herkunft fast aller Black Metal-Bands widerlegt die naheliegende These, dass es sich bei dem Gesuchten um ein Mitglied der Black Music-Familie handelt, die schon so einflussreiche und berüchtigte Clans wie Jazz oder Blues geprägt hat. Wir müssen an dieser Stelle also in eine andere Richtung forschen.

Garagensound und Eisenerz

Der erste überführte Täter stammt aus Deutschland, heißt Holy Moses und betitelt seine ersten akustischen Übergriffe 1980 mit dem verdächtigen Namen Black Metal Masters. In der Anhörung stellt sich allerdings heraus, dass wir auf eine falsche Fährte gelockt wurden, das war ja gar nicht so anders als das, was wir später auch von Metallica kennen. Hier ist »black« noch nicht als Teil einer Genrebezeichnung zu verstehen, sondern lediglich als Symbol für den rohen Garagensound, der an unbearbeitetes Eisenerz erinnern soll.

Zum Projekt

Das Projekt »Black Metal – Topoi des Bösen« wird sich in weiteren drei Artikeln den verschiedenen lyrischen Konzepten im Musikgenre Black Metal nähern.

 

Black Metal Facts


Musik: Schrei- bzw. Krächzgesang, manchmal durch gesprochene oder geflüsterte Parts ergänzt; atonale, dissonante Gitarrenriffs, die häufig wiederholt werden, kaum Soli; sehr schnelles Schlagzeugspiel, Blast Beats und Doublebass; Bass nur selten hörbar; Sound bis in die 90er undifferenziert und betont schlecht; jüngere Bands nutzen teilweise Keyboards zur Atmosphäre-Verdichtung.
Texte: anti-christlich, satanistisch, individualistisch
wichtige Bands: Pioniere: Venom (England), Bathory (Schweden)
»Inner Circle«: Mayhem, Burzum, Emperor, Immortal, Darkthrone (alle Norwegen)
 
 
Die nächste Spur führt uns zwei Jahre später über die Nordsee nach Newcastle, England, wo eine Band namens Venom ihren zweiten Großangriff auf die Hörer Black Metal nennt. Dieselbe Band proklamierte schon ein Jahr zuvor In League with Satan zu sein und auch auf Black Metal wird reichlich der Gehörnte gepriesen und das auch auf eine musikalische Art und Weise, die sich doch spürbar von der uns bereits bekannten Spielweise des Metalsyndikats unterscheidet. Hier werden plötzlich satanistische Mottos altbekannter Rock-Größen wie Black Sabbath oder den Anfang der 70er in Amerika undercover-agierenden Coven in ein sehr ungeschliffenes, punk-inspiriertes Metal-Gewand zitiert und dieser Fusion gibt man einen eigenen Namen. Doch wirkliche Schwerverbrecher finden wir auch hier nicht. Die unter den Decknamen »Cronos«, »Mantas« und »Abaddon« firmierenden Musiker betonen im Verhör immer wieder, dass sie keine Ahnung von Satanismus hätten und sie nur mit einem Augenzwinkern provozieren wollten. Wir behalten die Verdächtigen mal in Untersuchungshaft, aber gelöst ist der Fall damit sicher noch nicht.

»Pure Fucking Armageddon«

1984 macht ein schwedischer Kollege uns auf Bathory aufmerksam. Auch sie behaupten in einem Lied auf ihrem selbstbetitelten Debüt In Conspiracy with Satan zu sein. Und hier verspricht sich eine heiße Spur zu entwickeln, denn Selbstdarstellung, Bebilderung und Texte scheinen ernsthafteren Anspruch zu haben. Besonders der 2004 verstorbene Sänger und Gitarrist »Quorthon« geht auch musikalisch mit einem Gesang zwischen Krächzen und Schreien und einer inzwischen für den Black Metal als typisch-empfundenen Gitarrenspielart, die häufig als sirrender, frostiger Wind umschrieben wird, neue Wege. Im Laufe der Jahre in Genrehaft änderte sich zwar der textliche Fokus von satanistischer Motivik hin zu Themen der nordischen Mythologie, aber dies entschärft keinen unserer Anklagepunkte und bis heute sind die von Bathory veröffentlichten Alben sicher als Beweismaterial in unseren Archiven verwahrt. Dies ist der erste große Coup in unserer Statistik.

Weitere Verhaftungen folgen Schlag auf Schlag, 1986 offenbaren die norwegischen Mayhem mit ihrem unzweideutig-betitelten Demo Pure Fucking Armageddon in welche Richtung die lyrische Seite des Black Metal gehen soll. Musikalisch finden wir hier einen Klang, der sogar noch die betont primitiven Aufnahmen Venoms unterbietet und als ein unklares Rauschen und Scheppern erscheint, in dem die einzelnen Instrumente kaum zu unterscheiden sind und auch der Gesang unverständlich im Hintergrund bleibt. Eine interessante Beobachtung, da sich die Band doch besonders über die satanistischen Inhalte definiert, die allerdings nicht mehr über tatsächlich gehörte Texte, sondern über Ikonographie und im Booklet nachzulesende Texte vermittelt werden. Weitere überführte Täter dieser neuen, hauptsächlich in Skandinavien zu verortenden Verbrechenswelle tragen klangvolle Namen wie Marduk oder Impaled Nazarene und beschäftigen sich immer auf die eine oder andere Weise mit anti-christlicher Symbolik.

Trotz dieser ganzen Reihe an scheinbaren Teufelsanbetern finden wir unter den Gefangenen kein einziges Mitglied der (eigentlich atheistischen) Church of Satan oder eines tatsächlich praktizierenden satanistischen Ordens. Der Teufel scheint vielmehr Symbol des Widerstandes gegen eine als heuchlerisch wahrgenommene christlich-geprägte Gesellschaft zu sein. Im Gegensatz dazu beobachten wir eine Betonung der Unabhängigkeit des Individuums und der rücksichtslosen Auslebung all seiner Triebe und Wünsche. Die anerzogene Unterdrückung dieser wird als unnatürliche, christliche Moral abgelehnt, worin sich dieser philosophische Satanismus direkt auf die individualistischen und anarchistischen Strömungen im Amerika des ausgehenden 19. Jahrhunderts bezieht. Wie und was verschiedene Bands genau als verfolgenswürdiges Gegenkonzept darstellen, muss in späteren Einzelverhören ermittelt werden.

Brudermord im »Inner Circle«

Ende der 80er Jahre sinkt die Zahl der eindeutig dem Black Metal zuzurechnenden Übergriffe merklich. Eine weitere extreme Spielart des Metal, die sich »Death Metal« nennt, wird aktiver und rückt ins mediale Rampenlicht. Ein anderes Departement kümmert sich um diesen komplizierten Fall, während unser Aufgabenbereich zu dieser Zeit relativ überschaubar bleibt.

Erst ab 1991 spielt unsere gesamte Abteilung verrückt und die Geschehnisse überschlagen sich. »Dead«, der Sänger der bereits genannten Mayhem, begeht Selbstmord und sein Bandkollege »Euronymous« schießt Fotos von seiner Leiche, um die Bilder als Cover für ein späteres Album zu verwenden, ehe er es der Polizei meldet. Derselbse »Euronymous« wird als Gründer des Osloer Plattenladens Helvete (deutsch: Hölle) zu einer zentralen Figur in der Geschichte des Black Metal. Im Keller dieses Ladens trifft sich eine Gruppe Personen, die sich selbst als »Inner Circle« bezeichnet und deren angebliche Erhabenheit sich hauptsächlich in einer ganzen Reihe an Verbrechen äußert, tätlich, aber auch akustisch. Neben den Mayhem-Musikern sind die wichtigsten Mitglieder Varg Vikernes, der unter dem Pseudonym »Count Grishnackh« sein Soloprojekt Burzum gründet und später zur szenespaltenden Ikone aufsteigen soll, sowie die Besetzungen der heute anerkannten und beliebten Bands Emperor, Darkthrone und Immortal, die sich später von den Taten und Aussagen der damaligen Zeit distanzieren. Letztendlich sind die Kirchenbrandstiftungen und Grabschändungen dieses »Inner Circle« in Norwegen eine konsequente Weiterführung der in den Songtexten verherrlichten Gewalt gegen das Christentum, die damals wie heute, auch bei Bands, die nicht durch tätliche Übergriffe aufgefallen sind, eine lyrische Konstante im Genre bildet.

Eine neue Brisanz erhält der »Inner Circle« als 1992 der Schlagzeuger von Emperor, Bård »Faust« Eithun, den homosexuellen Magne Andreassen ermordet und den Mord mit einem Annäherungsversuch Andreassens rechtfertigt, wobei er eine deutliche Verachtung für Homosexuelle an den Tag legt. Gepaart mit rassistischen Interview-Aussagen ergibt sich hier ein neues ideologisches Bild, das nicht mehr nur anti-christliche Züge trägt und nicht von allen Mitgliedern getragen wird. Dies ist wahrscheinlich einer der Gründe die 1993 Varg Vikernes dazu bringen, seinen langjährigen Freund »Euronymous« zu erstechen. »Euronymous« kam ursprünglich aus der kommunistischen Jugendorganisation Rød Ungdom, während Vikernes immer stärkere nationalistische Tendenzen entwickelt. Weitere Theorien sind finanzielle Streitigkeiten oder die angebliche Homosexualität »Euronymous«. Da Vikernes auch im Polizeiverhör immer wieder andere Versionen der Ermordung erzählt, bleibt diese Frage ungeklärt.

Der Teufel im Rampenlicht

Mitte der Neunziger existiert der »Inner Circle« nicht mehr, viele der ehemaligen Mitglieder sind in Gefängnissen untergebracht oder tot und so können wir uns wieder unserer eigentlichen Arbeit widmen und musikalische Täter überführen. In anderen Ländern gibt es zwar noch Trittbrettfahrer-Zirkel wie den polnischen Temple of the Fullmoon oder die russische Blazebirth Hall, aber im Allgemeinen liegt der Fokus jetzt wieder auf akustischen Angriffen. Und auf dieser Ebene geschieht eine ganze Menge. Die Bands beginnen zu experimentieren, öffnen sich anderen Musikrichtungen gegenüber und besonders Emperor legen 1994 mit In the Nightside Eclipse ein Werk vor, das anstelle des betont räudigen Hasses der Anfangstage eine Epik und majestätische Atmosphäre setzt, die dem Diebstahl der Kronjuwelen nahekommen.

Weitere Größen wie die ebenfalls norwegischen Satyricon oder Gorgoroth veröffentlichen ihre Erstlingswerke und auch in Griechenland bildet sich um Rotting Christ eine eigene Szene, die durch einen bass-lastigeren Klang neue Akzente setzt. Auf einmal ist sogar die Musikpresse wieder bereit, über Black Metal-Bands zu berichten und die norwegischen Dimmu Borgir und die englischen Cradle of Filth schaffen Ende der Neunziger sogar den Sprung in den kommerziellen Erfolg, vor wenigen Jahren noch undenkbar. Diese Flut an ganz ungeniert im Rampenlicht stehenden Schwerverbrechern macht unseren Job denkbar leicht. Der Verdacht, dass diese jüngeren Bands auf das radikale Äußere und die anti-christlichen Aussagen verzichten würden, ist mit einem schnellen Blick auf Albentitel wie Gorgoroths Under the Sign of Hell oder Dimmu Borgirs Devil’s Path widerlegt. Die Produktion des Sounds mag besser geworden sein, die Musik kompositorisch und spielerisch anspruchsvoller und abwechslungsreicher, aber es ist immer noch Black Metal mit all seinem Hass und all seiner Verachtung.

Verschiedenen aktuell in Genrehaft befindlichen Tätern werden wir in den nächsten Wochen schonungslos auf den Zahn fühlen und untersuchen, inwiefern noch immer satanistische Gegenkonzepte dieses inzwischen weltweite Phänomen dominieren und durch welche diese heute ergänzt werden.

Weiterführende Medien/Informationen:

Lords of Chaos: Satanischer Metal – Der blutige Aufstieg aus dem Untergrund. Port Townsend, 1998. Ein Buch mit sehr interessantem Foto- und Interviewmaterial zum »Inner Circle«, das wertvolle Hintergrundinformationen liefert und zu diesem Thema auch gut recherchiert ist. Allerdings werden in anderen Bereichen stark generalisierende Aussagen über den Black Metal insgesamt getätigt, die so nicht haltbar sind.

Aaron Aites/Audrey Ewell: Until The Light Takes Us. 2008 veröffentlichte Dokumentation, die auf beeindruckende Art und Weise die Atmosphäre des Black Metals einfängt, ohne diese wertend zu kommentieren. Empfehlenswerte 93 Minuten für Menschen, die versuchen wollen, den Black Metal zu verstehen, dabei aber ohne eine Vielzahl an bloßen Daten auskommen.

Für die Suche nach weiterführenden Informationen zu den im Text genannten Bands ist www.metal-archives.com zu empfehlen, da man dort einen schnellen Überblick über das musikalische Schaffen, die Mitglieder und die Texte einer Band bekommt.

Desweiteren ist der deutschsprachige Wikipedia-Eintrag zwar lückenhaft, aber trotzdem erstaunlich umfangreich und informativ.



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 Veröffentlicht am 16. Januar 2012
 Kategorie: Misc.
 Mit freundlicher Genehmigung von Carina Damm.
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 3 Kommentare
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3 Kommentare
Kommentare
 Graf Protzor
 16. Januar 2012, 20:10 Uhr

Ebenso amüsant wie scharfsinnig formulierter Artikel, der eine für viele fremde Welt einmal aus einem etwas anderen Blickwinkel zeigt. Man kann dem Autor nur viel Erfolg bei den weiteren investigativen Recherchen wünschen.

 Lysvarg
 17. Januar 2012, 00:38 Uhr

Es handelt sich hier um einen sehr schönen Artikel über ein Thema, das in der breiten Öffentlichkeit selten ernsthaft behandelt wird und (wie zu Beginn des Artikels geschildert) sehr stark unter Vorurteilen leidet.
Einziges Manko ist der “kriminologische” Rahmen, der Eingangs definitiv Interesse weckt und auch an anderen Stellen im Text für das ein oder andere Schmunzeln sorgt, im späteren Verlauf aber auch für ein wenig Verwirrung sorgt – gerade im Bezug auf die Verbrechen einiger Musiker. Aber im Grunde tut das der Qualität des Artikels kaum Abbruch.
Ich freue mich auf weitere Teile und detailreiche Erörterung der Thematik, gerne auch mit Textanalysen und ähnlichem. Spätestens dann wird die Reihe nicht nur für Szenefremde lesenswert!

 Stefan
 4. März 2012, 16:57 Uhr

Gut recherchiert und interessant geschrieben!
Macht auf jeden Fall Lust auf weitere Artikel von der Sorte!

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