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Wissenschaftliche Rezension
Pop theoretisch

Konzepte, Philosophie und Ästhetik des Pop-Phänomens zwischen Postmoderne, Tradition, Medien und Massenkultur erörtert Christoph Rauen in seiner umfassenden, akribisch recherchierten Studie Pop und Ironie. Popdiskurs und Popliteratur um 1980 und 2000.

Von Sabrina Wagner

In den späten 1990er bis in die 2000er Jahre schwemmte eine Flut junger Autoren der sogenannten Popliteratur die Sparten der deutschen Literaturkritik und Feuilletons. Bis auf einige schnell verfasste ambitionierte Studien tat sich die Literaturwissenschaft zunächst schwer, dem Phänomen einen akademisch begründeten Platz in der Forschung einzuräumen. Inzwischen belegt eine Vielzahl fundierter und interessanter Arbeiten, dass es sich auch bei der Popliteratur der letzten 15 Jahre um eine theoretisch ernst zu nehmende und zu begründende Erscheinung der jüngsten Gegenwartsliteratur handelt.

Christoph Rauen zeigt in seiner kulturgeschichtlichen und literatursoziologischen Studie Pop und Ironie. Popdiskurs und Popliteratur um 1980 und 2000, auf welche komplexen theoretischen Überlegungen die jüngste Popliteratur gelesen werden kann, indem er das rezeptive Verhältnis der »Neo-Popliteratur« (S. 1) der späten 1990er und 2000er Jahre zu den Pop- und Ironiekonzepten der 1980er Jahre analysiert. Die »entscheidende Referenzgröße der ›Neo-Popliteratur‹« sieht Rauen im »postmoderne[n] Pop-Begriff, den Musik- und Zeitgeistmagazine wie Sounds, Spex und Tempo […] seit den ausgehenden 70er Jahren prägen« (S. 1). Mit beispielhaft ausgewählten literarischen Antworten auf die (scheinbar) alternativlose, allumfassende Ironisierung der Welt bietet Rauens sehr genaue und fundierte Arbeit einen hervorragenden Überblick über die Popkonzepte der 80er Jahre und eine vor diesem Hintergrund erarbeitete gründliche Analyse jüngerer popliterarischer Texte.

Kulturgeschichtlicher Abriss

Zur Einführung werden in sehr einleuchtender Weise drei Ironiekonzepte vorgestellt, auf die die Arbeit Bezug nimmt und denen im folgenden die unterschiedlichen Pop-Programme zugeordnet werden sollen: Das aufgezeigte Bedeutungsspektrum des Ironiebegriffs gliedert Rauen in »Entpflichtung«, Inversion und Relativierung.

Buch-Info

Christoph Rauen

Pop und Ironie. Popdiskurs und Popliteratur um 1980 und 2000.

Berlin, New York: de Gruyter 2010

242 Seiten, 89, 95 €

 
 

Darauf folgt der in diesem Zusammenhang äußerst verdienstvolle kulturgeschichtliche Rückgriff auf die späten 1950er und 1960er Jahre. Rauen macht überzeugend die Unverzichtbarkeit dieses Rekurses für das Verständnis des Popdiskurses der 1970er und 80er Jahre klar. Neben der historischen und soziokulturellen Einordnung des Untersuchungsgegenstandes bietet das Kapitel eine differenzierte wie kritische Auseinandersetzung mit der einschlägigen kulturhistorischen wie
-soziologischen Fachliteratur.

Der in diesem Kapitel als »Folge soziokultureller Nivellierung und Liberalisierung« (S. 215) gezeichnete Gesellschaftswandel wird zur Erklärungsgrundlage für Studentenbewegung und Gegenkultur der 60er und 70er Jahre. Eine auf Massen abzielende Vergesellschaftung zur »Normalkultur« birgt, wie deutlich wird, für Gegenbewegungen, Jugendbewegungen und Underground stets die Gefahr der mangelnden Rechtfertigung des eigenen Differenzanspruchs. Die damit einhergehende Kritik des Mitläufertums greift der avancierte Musikjournalismus der 80er Jahre auf.

Diedrich Diederichsens Popkonzepte

Als zentralen Begriff der Pop- und Ironieprogrammatik ab den ausgehenden 70er Jahren etabliert der damalige Redakteur der Musikzeitschrift Sounds Diedrich Diederichsen die – später von ihm so bezeichnete – »Gegengenkultur«,1 die die »Kritik an der Neutralisierung transnormalistischer Bestrebungen in einer permissiven Gesellschaft« (S. 37) übernimmt. In diesem Zuge entwirft Diederichsen sein Konzept einer »Sprache des Pop«,2 auf das nicht nur Autoren wie Rainald Goetz, Thomas Meinecke und Botho Strauß reagieren, sondern das bis heute seine nachhaltige Wirkung unter Beweis stellt. Rauen macht dabei deutlich, dass Diederichsens ästhetische Programme bis in seine Selbstreflexionen nach der Jahrtausendwende stets politische implizieren.

Man mag es Rauen zum Vorwurf machen, dass er sich im Wesentlichen auf die theoretischen Texte Diederichsen beschränkt – die lediglich an einzelnen Stellen von weiteren Texten einiger Kollegen umrahmt werden. Jedoch verhindert die kritische Distanz des Autors stets eine einseitige Betrachtung oder verklärende Perspektive im Sinne Diederichsens. Rauen macht gerade an den sich über die Jahrzehnte verschiebenden Positionen Diederichsens deutlich, dass es keineswegs ein über die Jahre allgemeingültiges Grundlagenkonzept des Pop gibt, sondern – und das wird gerade durch die kulturgeschichtliche Deutung in dieser Studie augenscheinlich – das Popkonzept, wie jedes Kunst- und Literaturkonzept, immer nur vor dem Hintergrund seiner soziokulturellen Rahmenbedingungen zu verstehen ist. Diese Erkenntnis allein mag profan erscheinen, wird aber von Rauen wie in kaum einer vergleichbaren wissenschaftlichen Auseinandersetzung so explizit und akribisch nachgezeichnet.

Kritik, die man – bei allem Verständnis für die theoretische Komplexität des Forschungsgegenstandes – an diesen Kapiteln äußern kann, ist, dass Rauen sich nur wenig vom – häufig beklagten – »professoralen« Sprachstil des zitierten Diederichsens lösen kann. Ein wenig Mehr an stilistischer Distanz hätte Verständlichkeit und Textfluss gut getan.

Auch wenn die Argumentation für die Bezugnahme auf den im avancierten Musikjournalismus verankerten Popdiskurs der 80er Jahre absolut überzeugend ist, wäre eine – wenigstens punktuelle – Inbezugnahme des literarischen/ popliterarischen Diskurses der 1960er und 70er Jahre wünschenswert und sicher bereichernd gewesen. Es bleibt – gerade aus literaturwissenschaftlicher Sicht – doch bis zum Ende irritierend, dass Autoren wie zum Beispiel Rolf Dieter Brinkmann, Hubert Fichte und auch Peter Handke nahezu keine Erwähnung finden, wenn den Popliteraten um 2000 unterschiedliche Traditionsrezeptionen nachgewiesen werden können.

Popliteratur um 2000

Beim Lesen des zweiten Teils der Arbeit, der sich der Popliteratur um 2000 zuwendet, kann man daher eine Diskrepanz empfinden zwischen der in diesem Teil vor allem literaturwissenschaftlichen bzw. literatursoziologischen Analyse und den vorausgegangenen Kapiteln, in denen der – ja durchaus parallel stattfindende – literarische Diskurs kaum eine Berücksichtigung findet. Doch gerade in den Textanalysen zur jüngsten Popliteratur zeigt die Arbeit eine ihrer stärksten Seiten. An ausgewählten Texten vor allem von Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre, Florian Illies und Moritz von Uslar zeigt Rauen außerordentlich schlüssig die Rezeption der unterschiedlichen Pop- und Ironiekonzepte auf.

Eindeutige Kontinuität in den Pop-Konzepten von den 80er Jahren bis in die »Neo-Popliteratur« sieht er auf konzeptueller, im weiteren Sinne inhaltlichen Ebene: »Mit ihrem programmatischen Verzicht auf direkte Adressierung gesellschaftlicher Probleme befindet sich die Neo-Popliteratur auf einer Linie mit dem Pop-Programm der 80er Jahre« (S. 184). Was die Kontinuitäten innerhalb der verschiedenen Ironiekonzepte betrifft, kann am Schluss jedoch kaum ein verallgemeinerndes Fazit stehen. So stark wie Diederichsens Konzepte mit den Jahren variierten und umgeschrieben wurden, so vielschichtig und unterschiedlich sind die Ironiekonzepte der Neo-Popliteraten. So wird zum Beispiel deutlich, wie sehr die Ironieästhetik Krachts, in dessen Roman Faserland Ironie beispielsweise als »angewandte Sozialtechniken« (S. 135) im Privaten zu erkennen ist, sich nicht nur maßgeblich von Diederichsen Ironiekonzept der 80er Jahre im öffentlichen und politischen Kontext abhebt, sondern wie wenig Krachts Ironieverwendung gleichzeitig mit der in Florian Illies’ Generation Golf gemein hat, wo Ironie nur »ein Element unter anderen« ist, »das Wiedererkennungs- und Bestätigungseffekte auslöst« (S. 179). Gerade diese Erkenntnis der Vielschichtigkeit am Ende der Textanalysen ist ein entscheidender Beitrag Rauens, der den nach wie vor allzu stark vereinheitlichenden Tendenzen der deutschen Forschung zur jüngsten Popliteratur einen begründeten Kontrapunkt setzt.

Jeder, der sich zukünftig auf theoretischer Ebene mit Popliteratur beschäftigt, sollte diese Studie zur Hand nehmen.

  1. Diedrich Diederichsen: Die Gegengegenkultur. 68 war Revolte, 77 war Punk – warum nur 68 zum Mythos wurde, in: Süddeutsche Zeitung, 24./25.02.2001.
  2. Diedrich Diederichsen: Nette Aussichten in den Schützengräben der Nebenkriegsschauplätze, in: Staccato. Musik und Leben, hrsg. von Diedrich Diederichsen, Heidelberg 1982, S. 85-101.


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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 12. März 2011
 Kategorie: Wissenschaft
 Bild von Nasos3 via flickr
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