»The disease we have to fight in any creative field: ease of use«. Der Kreativitätsfundus vom The White Stripes-Frontmann gründet auf einer Idee des struggle. Das kann schon mal zu Inszenierungskapriolen führen. In unserer sechsten Pop-Ausgabe beschäftigt sich Julia Benner mit Ideologie & Ästhetik im Werk von Jack White.
Von Julia Benner
Authentizität & Jack White: »shake this riddle off«Authentizität und Artifizialität kleben an Jack White wie ein alter Kaugummi. Egal ob sich mit Whites Identität als Künstler, als Produzent oder als Privatmensch, seinen Bands, seinen Songs, seinem Equipment, seinem Gitarrenspiel, seinen Videos oder seinen Performances auseinandergesetzt wird, in nahezu jedem Artikel, Kommentar oder Interview geht es um Authentizität. Dies wird z. B. in der wohl meist rezipierten Komponente seiner Pop-Autobiographie 1 deutlich: Mit The White Stripes kreierten Meg und Jack White eine Identitätssituation, in der die Band als eine Art ‚Hausmusik‘-Projekt von Bruder und Schwester begann. Als 2002 die Zeitschrift Entertainment Weekly enthüllte, dass Jack und Meg nicht Geschwister, sondern vielmehr Ex-Ehepartner sind, zerstörte dies für viele den Schleier einer so verstandenen Authentizität. Das Umfeld der Band betont jedoch, dass diese Erzählung der White Stripes fiktional und ihre Verwandtschaft daher noch immer ‚wahr‘ sei. Somit wird deutlich, dass White in seiner Selbstdarstellung eine fiktive Geschichte – und damit ein fiktives Ich – erzählt. Die Auseinandersetzung mit Authentizität folgt hier also dem altbekannten Streit »Lüge vs. Fiktion«, mit dem sich White auch produktiv auseinandersetzt.
Spätestens seit dieser ‚Enthüllung‘ sind Fragen nach Authentizität in Interviews, Klatschkolumnen und Rezensionen nicht mehr wegzudenken, wobei sie ganz unterschiedliche Aspekte berühren. So wurde u. a. hinterfragt, ob The White Stripes noch zur Detroiter Szene gehören und ob sie nicht zu sehr im Mainstream verhaftet seien, aber auch, ob der Einsatz digitaler Technik authentisch sein kann bzw. ob bestimmte Medialitäten authentischer seien als andere. In diversen Medien wurde unlängst sogar diskutiert, ob White als Künstler und Person noch authentisch sein kann, wenn er angeblich in einem Auftrittsvertrag eine spezielle Guacamole für die Verpflegung während der Tour fordert. 2
Authentizität funktioniert also für Jack White und sein Werk als individuell ausgehandelte, emotionalisierte Fremdbeschreibungskategorie. Dabei wird White oftmals zu einem der bedeutendsten Repräsentanten einer ästhetischen Ideologie oder ideologischen Ästhetik erhoben, die liveness und low-fi feiert 3: dem Rockismus. Es scheint daher sinnvoll, rockistische Authentizität mit Auslander als diskursiv vereinbartes ideologisches Konzept zu betrachten. 4
Die Idee von Authentizität als (im weiteren Sinne) ideologischem Konzept möchte ich nun weiterverfolgen, jedoch nicht im Kontext von Fremdbeschreibungen oder Rezeption, wie dies üblicherweise der Fall ist; vielmehr möchte ich analysieren, wie Jack White Ideen von Authentizität und Künstlichkeit selbst inszeniert, propagiert und artikuliert. Welche Authentizitäts-Konzepte verwendet er zur Beschreibung von Musik? Welche Musik-Ideologie präsentiert und repräsentiert er? Wie lässt White diese Konzepte in seinen Selbstinszenierungen wirksam werden?
Faking It: »The truth is the blues«Zunächst gilt es zu ergründen, was White selbst für ein Verständnis von Authentizität hat. Dabei fällt auf, dass bestimmte Begriffe in seinen Selbstäußerungen immer wieder auftauchen: the authentic und the real sowie the truth. So äußert sich White im Interview mit Dan Rather zur letzten Kategorie:
If I was […] proud enough of it to explain it I would feel like what I aiming for is the truth because the blues is the truth to me. […] And the truth doesn’t mean you know that that story happened to me and I’m telling you about it. […] the founding fathers said the pursuit of happiness. They didn’t say life, liberty and happiness, they said life, liberty and the pursuit of happiness and I think that the same thing how I’m thinking about truth in music: the pursuit of the truth. I’m at least trying to get there and maybe you might get something out of it, too, if you’re listing to it and you can relate to it in your own way. But I’m not talking any about myself […] I’m just saying this is a story and this is a character and he’s doing something or she is doing something and we are trying to get to something truthful that makes sense. It’s very hard because: Even as a preacher you would have to sneak the medicine in the mashed potatoes. 5
The truth ist demnach das innere Wesen der Musik, die sich für White im Blues am ehesten ausdrückt. 6 Zudem ist Musik für ihn notwendigerweise mit harter Arbeit verbunden, denn nur so könne man wirklich versuchen, the truth zu erreichen 7. Diese harte Arbeit beschreibt White wiederholt als schmerzreichen »struggle«, wenn er z. B. im oben zitierten Interview sagt: »art always comes from pain and from struggle« 8 und »I always find myself in places that are tougher then they need to be all the time. […] I have to make it difficult for myself« 9. So betont White auch fortwährend, dass er sich bewusst Steine in den Weg lege, wenn er ein Album unter Zeitdruck aufnimmt, sich zwinge, weite Strecken auf der Bühne zurückzulegen, mit seinen Gitarren kämpfe, usw. Dabei wird erneut evident, dass White seine Popidentität als Erzählung begreift, denn diese Idee stammt laut Selbstaussage maßgeblich aus dem Literaturunterricht, in dem er lernte, dass sich Geschichten aus der Spannung zwischen Protagonist und Antagonist speisen: »It’s all about struggle. If you don’t have a problem there is no story. That goes on to songwriting from there.« 10
Im Gegensatz zu the truth ist the real im Rock bzw. Pop für White eine Verpackung, eine Attitüde. Authentizität wird bestenfalls fingiert:
»When you go on stage in just a jeans and t-shirt you are making a choice. You’ re choosing to sort of be what I think a lot of the punkrockers and rock ’n rollers thought was real […] But to me The Ramones, a punk band, they all wore leather jackets and keds. It was a uniform they wore. […] they were really completely dressed to impress and dressed to exemplify that.« 12
The real ist also eine vom Publikum angenommene Kongruenz von Künstler-Identität und persönlicher Identität, die sich wie eine Folie über die offensichtliche Künstlichkeit der Kunst legt und oftmals als ‚authentisch‘ rezipiert wird. Anders gesagt bezeichnet the real den Versuch, eine größtmögliche Übereinstimmung von Popmusik-Erzählung und Nicht-Bühnenautobiographie zu inszenieren, die mit einer bestimmten Gruppe bzw. einem Genre abgeglichen wird. Folglich sind für White the authentic und the real eigentlich artifiziell.
Wichtig ist außerdem, dass White im Kontext seines truth-Konzeptes darauf verweist, dass er etwas propagieren will: »Even as a preacher you would have to sneak the medicine in the mashed potatoes.« Er möchte also seine RezipientInnen dazu animieren, sich mit ihm auf die Suche nach der truth zu begeben. In einem Interview führt White aus, dass die Künstlichkeit, die Inszenierung, gebraucht werde, um viele Menschen anzusprechen und mit der Bedeutung von Musik, also mit the truth, vertraut machen zu können. Gerechtfertigt sei daher: »Anything that draws you in and has meaning behind it […] it has to have a deeper story« 13.
White gebraucht Inszenierungsstrategien, um die Musik und die Musik-Ideologie, die er vermitteln möchte, zu camouflieren. Künstlichkeit ist dementsprechend die List, »die Wahrheit unter vielen zu verbreiten«, wie es Brecht sagen würde – oder eben die White’sche Kartoffel, mithilfe derer die bittere truth verdeckt wird.
Wie propagiert White nun aber in seinem eigenen Werk the truth? Essentiell hierfür ist die intermediale Erzählung, in der mit (rockistischer) authenticity und (Meta-)Fiktionalität gespielt wird: Wo hört John Anthony Gillies (so der bürgerliche Name) auf, wo fängt Jack White an?
Zentral für die Erzählung »Jack White« ist seine Stilisierung als Workaholic, der versucht, alles ästhetisch aufeinander abzustimmen. 14 So soll er möglichst viel selbst dirigieren und gestalten, was dazu geführt hat, dass er in der Presse häufig als Willy Wonka beschrieben wird.
Zwar behauptet White, dass die sorgfältig gewählten Äußerlichkeiten, wie Plattencover, Kleidung etc., die als Paratexte oder Quartärkomponenten 15 verstanden werden können, für die Musik eigentlich unwichtig seien, gleichzeitig reflektiert er aber darüber, dass er als Künstler diese Dinge mitkommuniziert und sie auch fast immer mitrezipiert werden. Da er auf die Inszenierung schon aus Sichtbarkeitsgründen angewiesen ist, schenkt er ihr viel Beachtung, wobei auch sie eine »deeper story« (s.o.) haben muss. So sind Whites MitarbeiterInnen beispielsweise verpflichtet, eine Strafe zu zahlen, wenn sie in der falschen Farbe gekleidet zur Arbeit erscheinen, weil sie damit gegen Whites Farbkonzept verstoßen 16. Die ‚signature colors‘ von Third Man Records sind Gelb und Schwarz, Jack Whites Solo-Künstleridentität ist Babyblau gefärbt. Die Farben der White Stripes sind Weiß und Rot, von White auch beschrieben als »the most powerful color combination of all time, from a Coca-Cola can to a Nazi banner. Those colors strike chords with people.« 17 Diese Äußerlichkeiten geben Whites Werk einen oberflächlich künstlichen Anstrich, der mit der rockistischen Ideologie Whites im Kontrast, jedoch nicht im Widerspruch steht.
Vor seiner Musikkarriere arbeitete White als Polsterer, was er wiederholt als prägende Erfahrung beschreibt. Er stilisiert sich dadurch – erneut in rockistischer Manier – zum einen als ‚all American everyday working man‘, der sich gewissermaßen mit harter Arbeit vom Tellerwäscher zum Millionär hinaufgearbeitet hat und nun den ‚American Dream‘ lebt. Zudem vergleicht er das Produzieren von Musik mit dem Aufpolstern von Möbeln und umgekehrt. Dies wird bereits deutlich, wenn man sich die Werbeslogans seiner jeweiligen Unternehmen vor Augen führt: »Your furniture is not dead« (Third Man Upholstery) und »Your turntable is not dead« (Third Man Records).
Das Aufpolstern ist auch als Denkfigur bedeutsam für Whites Umgang mit Musik und ihrer Inszenierung. So erinnern seine Lieder in gewisser Weise an diesen handwerklichen Vorgang, unterliegt ihnen doch im Kern meist ein historischer Stil oder Code. White verwendet altes, teilweise umgearbeitetes Equipment, was zu Sounds mit hohem Wiedererkennungswert führt. Auch seine Coverpraxis, das Einkleiden eines alten Liedes in ein neues Gewand, sowie die Wiederherausgabe historischer Bluesmusik, die Inszenierung des historischen recording booth oder der Film American Epic (USA, Bernard Macmahon, 2016) können analog gelesen werden. In diesem Sinne ist Whites Musik eine Hommage an frühere KünstlerInnen.
Der handwerkliche Aspekt zieht sich nicht nur durch das gesamte Werk und seine Inszenierung, sondern wird zu einer allumfassenden Weltdeutung, was der Film Coffee and Cigarettes (2003) verdeutlicht. Hier wird White ebenfalls als Tüftler dargestellt, der Bandkollegin Meg seine Tesla-Spule präsentiert und sie dabei über Teslas und seine eigene Weltsicht informiert: »he [Tesla] percieved the earth to be a conductor of accoustical resonance« 18, was zum Leitmotiv dieser Episode wird.
Digitale Technologie steht dieser ästhetischen Ideologie im Sinne Walter Benjamins teilweise entgegen. Da für White billige Reproduzierbarkeit und Wiederholbarkeit dem Erleben entgegenwirkten, führten sie seiner Meinung nach zum Verlust einer gefühlten Aura. So stellt er z. B. nicht ohne Frustration fest: »One of the problems is people are happy with the replica« 19. Die Aura findet sich laut White eher auf einer LP als auf Youtube. Das Filmen mit dem Mobiltelefon nehme einem Konzert das Erlebnis und damit das Besondere, wobei hinzukäme, dass der/die KünstlerIn durch billige Reproduktion und unbezahlten Konsum nicht wertgeschätzt werde. In It might Get Loud (2008) nennt White Technologie daher: »[…] a big destroyer of emotion and truth.« Er führt weiter aus: »Auto-tuning doesn’t do anything for creativity. Yeah, it makes it easier… But it doesn’t make you a more creative person. That’s the disease we have to fight in any creative field: ease of use.« 20 Allerdings ist White kein ‚Technikfeind‘, was häufig kolportiert wird, und er verschließt sich auch nicht generell neuen Mediennutzungen, was an seiner Beteiligung am Musikportal Tidal deutlich wird; vielmehr manifestiert sich hier erneut die Idee des »struggles«. Darüber hinaus hat die Technikreflexion auch etwas mit Klang-Fetischen 21 zu tun.
So wird Whites Werk als eine Art Kunsthandwerk beschreibbar. Es ist eine handgemachte Kunst, die nicht einfach reproduziert werden soll, sondern den Anspruch erhebt, individuell und zugleich für die Masse tauglich zu sein. Sie stellt eine Verbindung zu Traditionen her, schreibt sich in diese ein, lässt sie fortleben, ist aber bestrebt, dabei einzigartig und anders zu sein. Whites Werk lässt sich daher auch mit dem Motto bzw. der Forderung der Arts-and-Crafts-Bewegung beschreiben: der »Vereinigung von Kunst und Arbeit«. Mit Arbeit sollte wiederum (ideelle und ökonomische) Wertschätzung verbunden sein. Whites Werk unterscheidet sich vom Kunsthandwerk aber durch den kulthaften Fokus auf die Person sowie die Überhöhung der Kunst.
Worshipping it: Die heilige MusikNach einer häufig wiederholten Anekdote war White zu Beginn seiner Karriere kurz davor, Priester zu werden, hatte auch schon einen Platz im Seminar, entschied sich dann aber doch für die Musik. So verwundert es nicht, dass er seine Anstrengungen, den Menschen etwas über Musik vermitteln, mit denen eines Priesters vergleicht. Besonders den sakralen Charakter von Musik hebt White immer wieder hervor. Dies wird sehr deutlich in seinem 2015 veröffentlichten Gedicht mit dem programmatischen Titel Music is Sacred, in dem es unter anderem heißt:
tell the living and the dead
what you know in your heart to be true
and what you know your ears
will forever hear
that the melody of the human race
is a song that never ends.
music is sacred.22
Musik wird hier mit Menschlichkeit an sich gleichgesetzt und damit die Forderung nach ihrer Wertschätzung weiter untermauert. Insgesamt scheint »music is sacred« seit 2014 zur Kernagitationsphrase Whites geworden zu sein: Auf einem Festival animierte er die Menge bspw. dazu, in Call and Response-Manier auf seine Frage »say what?« mit »music is sacred« zu antworten 23. Gleichzeitig fordert White in seiner Eröffnungsrede des Nashville Music City Walk of Fame: »keep music sacred and do everything you can to preach that to the next generation. If you have children please tell them about that.« 24
Jack White stilisiert sich somit zu einem Verkünder einer Musik-Religion, einem Jesus als Zimmermann und Prediger. Jemand, der sich für die Musik aufopfert, sich totarbeitet, dabei aber von den ZuhörerInnen missverstanden und von der Presse gehetzt und an den Pranger gestellt wird.
Der dritte Mann: »[…] been Jack White«Jack White nutzt also verschiedene Inszenierungsstrategien und die Diskussionen um seine Authentizität bzw. Künstlichkeit, um das zu erzählen, was er the truth nennt. Dabei versucht er nicht nur, in seiner Musik the truth zu erzählen, sondern er erzählt auch immer wieder von the truth. Dazu bedient er sich elementarer Überzeugungsstrategien und verknüpft sie mit bzw. in seiner Musik. Er appelliert an die ZuhörerInnenschaft mit ‚glittering generalities‘, schreibt sich in die amerikanische Geschichte samt American Dream, ‚founding fathers‘ und ‚frontier spirit‘ ein, und propagiert eine geradezu spirituelle Anbetung von Musik. Die Arbeit hinter dem Produkt wird ästhetisiert und ideologisiert, um den Wert des Werks zu untermauern. Ästhetik wird so zur Ideologie und Ideologie zu Ästhetik. 25
Jack White, dem eine Obsession für die Zahl Drei nachgesagt wird, überzeichnet sich als das hybride Dritte, das sich aus dem »struggle« zwischen dem Ersten und dem Zweiten ergibt, zwischen dem Blues und dem Pop/Rock, the truth and the authentic. White will den Massen the truth erzählen und das geht am besten mit Künstlichkeit. Konsequenterweise bezeichnet White sich selbst daher als Jack White III, das Label als Third Man. The Third Man spielt wiederum auf den gleichnamigen Film (1949) von Carol Reed an 26, in dem die Frage im Mittelpunkt steht, wer dieser geheimnisvolle dritte Mann überhaupt ist.
Darum geht es auch in der Inszenierung von Jack White, die mit fluiden Identitäten und Zuschreibungen spielt. Wieviel John Anthony Gillis in Jack White III steckt, bleibt dabei bewusst immer offen. Genau das nennt Diederichsen als »konstitutiv für alle Pop Musik […] in keinem performativen Moment [darf] klar sein […], ob eine Rolle oder eine reale Person spricht.« 27 So wird eine einseitige Sicht auf Jack White III stets gebrochen. Am Ende eines Konzertes stellt der Künstler standardmäßig eine Distanz zu seiner Bühnenidentität her und relativiert realness-Effekte mit folgendem Satz: »You’ve been incredible and I’ve been Jack White«.