Eine Familie trifft nach langer Zeit wieder aufeinander und liefert sich garstig amüsante Schlagabtausche in fließendem Sarkasmus unterbrochen von gegenseitiger gestammelter Anteilnahme am Familienunglück bei Nusskuchen und selbstgemachtem Bohnenauflauf – Johanna Scholz war bei der Premiere von Eine Familie im DT.
Von Johanna Scholz
»Das Leben ist sehr lang.«, sagte einst T.S. Eliot. Wer sich diesen Satz zum Motto seines Lebens macht, hat ganz offensichtlich keine wirklichen Ambitionen mehr, dieses weiter fortzusetzen. Und deshalb setzt Beverly Weston, ein alter absonderlicher Mann mit Alkoholsucht, seinem Leben ein Ende. Das plötzliche Verschwinden des ehemals erfolgreichen Schriftstellers nimmt seine tablettenabhängige labile Frau Violet zum Anlass, ihre gesamte Sippschaft nach Jahren des Fernbleibens in das heruntergekommene Landhaus zu beordern und im Nirgendwo von Oklahoma Krisenrat abzuhalten. Dabei steckt jeder der Beteiligten gerade in seiner ganz persönlichen Lebenskrise, sodass Beverly schnell zum Nebenthema und das gutgemeinte Familientreffen zum Familienchaos avanciert.
Da wären die drei Töchter, Ivy, die noch die Beziehung zu ihrem missliebigen Cousin gestehen muss, Karen, die einen notorischen Fremdgänger zum Verlobten hat, der sich auch gern mal an der Hasch rauchenden 14-Jährigen Tochter der dritten und ältesten Schwester, Barbara, versucht. Die wiederum hat selbst zumindest noch einen Mann, auch wenn der gerade seine »5. Pubertät« durchlebt und ihr jetzt eine seiner Studentinnen namens Sindy vorzieht. Auch die übrigen Verwandten, die Schwester der Witwe und deren Gefolgschaft, stehen dem engen Kreis der Familie krisentechnisch in nichts nach.
Eine nachmittägliche SeifenoperDurch die Vielzahl vorgeführter Klischeeprobleme kann sich beinahe jeder Zuschauer in Eine Familie wiederfinden: von Neid und Eifersucht, über Verlustängste und Hass-Liebe, bis hin zu den alltäglichen Kommunikations- und Generationskonflikten des zwischenmenschlichen Miteinanders wird in der Tragik-Komödie von Tracy Letts wirklich fast kein Drama ausgelassen.
Das Stück, das einer nachmittäglichen Fernseh-Seifenoper verdächtig nahe kommt, wurde 2007 unter dem Titel August: Osage County in Chicago erstaufgeführt. Nachdem es 2008 als Broadway Debüt herausgebracht und kurz darauf auch im London National Theatre gespielt wurde, feierte die Inszenierung am 15.01.2011 unter der Regie von Antje Thoms nun seine Premiere im gut besuchten Deutschen Theater in Göttingen.
Gitarren-Country-Klänge und vereinzelte Kommentare eines einsamen Präriehundes (gespielt von Fred Kerkmann), der in der Ecke lungert, versetzen von Beginn an in eine träge Südstaaten-Stimmung. Man wird Teil der gottverlassenen Einöde in Oklahoma und bekommt zunächst einen kurzen Einblick in das Zusammenleben des eigenwilligen zurückgezogenen Paares Violet und Beverly, die sich im Laufe der Jahrzehnte mit Ehe, Haus, Alkohol- und Tablettensucht schon irgendwie arrangiert zu haben scheinen. Beverly verlässt dann aber rasch die Bühne und räumt den Platz für seine Hinterbliebenen, die sich nach und nach und eher verhalten betroffen vom Verschwinden ihres Lieben, in der Wüstenei und ihren zurückgelassenen Erinnerungen einfinden.
Pack schlägt sich, Pack verträgt sichSind zu Anfang alle noch halbwegs bemüht ihre Eigenarten und Probleme für sich zu behalten, fliegen bereits am Kaffeetisch die ersten Fetzen: Ihr kommt so selten. So kriegst du nie einen Mann. Verlass mich nicht. Lass den Jungen in Ruhe. Schau nicht so viel fern – Familientreffen eben. Es folgen garstig amüsante Schlagabtausche in fließendem Sarkasmus unterbrochen von gegenseitiger gestammelter Anteilnahme am Familienunglück bei Nusskuchen und selbstgemachtem Bohnenauflauf. Besonders Violet (Gaby Dey) und ihre älteste Tochter Barbara (Marie-Isabel Walke) sind dabei Meisterinnen ihres Faches und verstehen es vor allem hervorragend sich nicht nur gegenseitig aufzuhetzen und anzuschreien, was umso schlimmer wird, je mehr man um Beverly’s Verbleib weiß.
Obwohl man als Zuschauer nur beständig den Kopf über so viel Tyrannei und Gebrüll schütteln kann, sind diverse Parallelen zu eigenen Familienzusammenkünften nicht zu übersehen. Neben den Problemen und Zwiespältigkeiten, welche die Beteiligten mit sich herumtragen und an jeder unpassenden Stelle herausposaunen, sind es vor allem die Szenarien wie die Aufregung über den als Unfall bezeichneten Bohnenauflauf der Tante (Angelika Fornell) oder das improvisierte Tischgebet ihres Mannes (Paul Wenning), die stark an Loriot erinnern und das Publikum schmunzeln lassen.
Die Akteure haben solche Alltagssituationen fein beobachtet und auf charmant authentische Weise umgesetzt, sodass man sich durchaus mehr davon gewünscht hätte. Zwischendurch gibt es leider immer wieder Lehrläufe, in denen Lebensgeschichten erklärt und Probleme vorgetragen werden, die der Spannung Abbruch tun und das Stück etwas langatmig machen. So hätte das Familiendrama mit knapp drei Stunden Dauer durchaus doch ein wenig Kürze und dafür mehr Würze verdient, denn trotz einigermaßen überraschender Wendung kurz vor Ende, ist die Geschichte, die dahinter steckt, schnell erzählt und auch schon lang nichts Neues mehr: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Unterhaltsame GenerationsgefechteWo früher vielleicht einmal halbwegs schöne Familientreffen stattgefunden haben, bleiben später nur einsame frustrierte Witwen, deren genervte, distanzierte Kinder und über 30 Jahre lang angestaute Probleme, die bei Gelegenheiten hervorbrechen, an denen man sich zur Abwechslung mal nicht mehr aus dem Weg gehen und über Banalitäten austauschen kann. Und doch gehört man irgendwie zusammen, es ist ja die Familie und die kann man sich bekanntlich nicht aussuchen. Blut ist eben dicker als Wasser. Eine simple Wahrheit.
Dennoch bleibt Eine Familie alles in allem eine unterhaltsame Inszenierung. Und nachdem sich die Schauspieler erst einmal warm gespielt haben und die Handlung ins Rollen gekommen ist, bereitet es durchaus Amüsement der Hauptdarstellerin Gaby Dey bei ihren radikalen Rundumschlägen zuzusehen oder die Generationsgefechte zwischen der pubertären Enkelin (Paula Hans) und ihren Eltern (Marie-Isabel Walke, Florian Eppinger) zu beobachten. Wer Gefallen an ähnlich theatralischen Inszenierungen und Esstischfamilienorgien wie Das Fest oder die Kleinbürgerhochzeit von Brecht findet, wird auch dieses Abendprogramm mögen. Dazu tragen ebenso die vorsichtig musikalische Untermalung wie auch die liebevollen Bühnenbildinstallationen und -animationen bei, so dass man die Vorstellung durchaus als gelungen bezeichnen kann.
Auch wenn man sich bei dieser Thematik vielleicht mehr Tiefgang versprochen hätte, kann man Ensemble und Produktion dafür jedenfalls nicht die Schuld geben, denn sie haben den Zuschauern genau das gezeigt, was im Programm steht: Eine Familie. Nicht mehr und auch nicht weniger.
Immer wieder für einen unangenehmen Fehler gut: Name der Regie falsch schreiben.
In dem Falle Antje Thoms, ohne ‘b’.
Danke für den Hinweis, der Fehler wurde behoben.