Engagiert, sexy und lokal. Das Literarische Zentrum in Göttingen stellt sein Frühlingsprogramm vor und verspricht mit 23 Veranstaltungen von Februar bis Juli 2013 ein vielfältiges Repertoire, das mit einem feierwürdigen Jubiläum im Juni seinen Höhepunkt erreicht. Litlog berichtet vom Pressekaffee.
Von Johanna Karch
»Weit gereist« sei das aktuelle Programm, obwohl der geographische Schwerpunkt in dieser Saison in Göttingen liegt: Neben dem Ausflug, den die Spedition den Programmheften versehentlich nach Rügen finanzierte, besticht es mit internationalem Flair: AutorInnen aus Odessa, New York und Port-au-Prince werden in dieser Saison in den Räumen des Zentrum willkommen geheißen.
Highlight des Hauptprogramms ist die mit Namen wie Daniel Kehlmann, Felicitas Hoppe und Adam Thirlwell aufwartende TEXT+KRITIK-Matinee am 02. Juni. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens der »schönsten Manufaktur der Literaturwelt« wird Publizist und Moderator Roger Willemsen durch die Veranstaltung führen und nicht zuletzt an den 2011 verstorbenen Heinz Ludwig Arnold erinnern, dessen Name für die Zeitschrift ebenso wenig wegzudenken wäre wie für das kulturelle Leben in Göttingen.
Eine »innere Heimat« war Göttingen von 1956-1960 auch Walter Kempowski, der mit seinen Befragungsromanen der nachkriegsdeutschen Gemütlichkeit auf den Schlips getreten ist. Seine Tagebücher dieser und der darauffolgenden Jahre bringt der Knaus Verlag 2012 (Wenn das man gut geht) auf den Markt, worüber der Kempowski-Forscher Kai Sina mit Hildegard Kempowski, der Frau des 2007 verstorbenen Schriftstellers, im März sprechen wird.
Ein weiterer Lokalbezug: Litlog veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Literarischen Zentrum einen Werkstattbericht mit dem Übersetzer aus dem Französischen Tobias Scheffel. Sein Gespür für Sprachübertragung ist ein nicht unwesentlicher Erfolgsfaktor für die Popularität Fred Vargas´ und Jacques Le Goff auf dem deutschen Belletristik-Markt.
Politisch-amourös sei das Ordnungsprinzip der Saison, wobei die Bemühung sozial-engagierter Themen vor allem zur Profilschärfung der Reihe »Literatur macht Schule« beiträgt. Jacqueline van Maarsens Zeitzeugenbericht Deine beste Freundin Anne Frank (Fischer, 2013) wird im Zusammenhang mit der noch immer grassierenden Angst vor Überfremdung ein wertvoller Beitrag zur deutschen Vergangenheitsbewältigung sein. Zu nennen sei auch der von der FAZ höchst gelobte Tatsachen-Thriller Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife (Hanser, 2012) von Elisabeth Zöller, der die Edelweißpiraten ins kulturelle Gedächtnis zurückrufen will.
Neu im Kinder- und Jugendprogramm ist eine als grober Richtwert zu verstehende Altersangabe. Kirsten Boies frühpädagogischer Beitrag (ab fünf Jahre) Der kleine Ritter Trenk (Oetinger, 2013) überzeugt die Volontärin Sophia Karimi nicht nur mit Geschichten aus dem mittelalterlichen Alltag eines Jungritters, sondern vor allem durch den glossarischen Sachbuchteil, der dem ahnungslosen Vorleser eine Handreichung für die wissbegierige Zuhörerschaft sein soll. Für die etwas Älteren: Meg Rosoffs Coming of Age Geschichte Oh. Mein. Gott. (Fischer, 2012) lobte Marit Borcherding im Tenor mit Anette Pehnt nicht zuletzt wegen seines blasphemisch-witzigen Gehalts als bestes Jugendbuch überhaupt und versteht sich demnach als Geheimtipp.
Erotisch wird es im April mit Anne Weber, der mit Im Tal der Herrlichkeiten (Fischer, 2012) die besten Sexszenen gelungen sind, die Anja Johannsen je gelesen haben will. Bodo Kirchhoff, dessen Die Liebe in groben Zügen (FVA, 2012) mittlerweile als opus magnum unter den Eheromanen gehandelt wird, soll anlässlich des 2. Göttinger Büchertages mit Gesprächspartner Thedel von Wallmoden die glamouröse Prachtaula des MPG zum Leuchten bringen.
Im Mai empfängt man vier Kierkegaard-Spezialisten, die rezeptionsästhetisches Neuland beschreiten sollen: das Publikum ist aufgefordert, Textstellen aus dem Werk des dänischen Vor-Existenzialisten auszuwählen, vorzutragen und der Expertenrunde zur Diskussion zu stellen. Ob das die Trennung von Bühne und Publikum aufzubrechen vermag und sich am Ende gar ein neues Zuschauer-Verhältnis einstellt? Vorschläge zu Textstellen sind im Voraus per Mail an das Literarische Zentrum zu richten.
Ein intermediales Wirkungsexperiment wird mit der Kombination aus Buch und Dokumentarfilm und der neuen Reihe »Krimi« gewagt. Merle Kröger wird ihren prämierten Roman Grenzfall (Argument, 2012) einen Tag vor Philip Scheffners Dokumentarfilm Revision im Zentrum vorstellen. Ersterer sei zwar aus letzterem entstanden, doch will man dieses »docu-fiction crossover« optimal genießen, müsse man erst den Roman lesen und dann die Dokumentation sehen, wie Volontär Stephan Siegert nahe legt.
Die ehemalige Litlog Koordinatorin Gesa Husemann wird der 1981 Geborenen Ukrainerin Marjana Gaponenko auf den Zahn fühlen: Was treibt eine junge Frau dazu, sich den letzten Wochen eines todkranken Greises literarisch zu widmen? Ihr mit dem Chamisso-Preis 2013 ausgezeichneter Roman Wer ist Martha? (Suhrkamp, 2012) ist der aktuelle Beitrag zur Reihe Literatur im Alter und wird nicht zuletzt wegen seiner kontroversen Aufnahme (junge Leser finden ihn traurig, ältere eher witzig) zu spannenden Diskussion führen.
Eine verheißungsvolle neue Reihe verspricht – letztlich auch durch die Teilnahme des Zentrums am Kulturticket der Universität (ab WS 13/14) – zum Publikumsmagnet zu werden: Der »Liederabend« wird eingeweiht von Heinrich Detering, der zusammen mit Gerhard Kaiser die Grenzen von Songwriting, lyrischem Gehalt und Perfomancekunst austanzen wird. Und welche Gestalt sollte man da besser umkreisen als den ewig Literaturnobelpreis-nominierten Bob Dylan? Der soll ja selbst auch eingeladen sein. Ob er kommt?