Manche Menschen sind schlau wie ein Fuchs, essen mit Bärenhunger und sind stolz wie ein Adler. Niemand weiß, wie viele Kuckuckskinder es wirklich gibt und man kann sich tierisch aufregen, über die, die lahm sind wie eine Schnecke. Der im mairisch-Verlag erschiene Kurzgeschichtenband Sie träumt von Pferden ist eine fabelhafte grafische Groteske, die tierische Gemeinplätze aufs Interessanteste mit menschgemachten Märchenelementen verbindet, meint Denise Wullfen.
Von Denise Wullfen
Wir scheuen den Vergleich mit Tieren nicht, wie man sieht. Oft nutzen wir die animalischen Metaphern im Alltag, um unseren Worten Nachdruck zu verleihen. Dies tun auch Michael Weins und Katharina Geschwendtner in ihrem Kurzgeschichtenband Sie träumt von Pferden – Geschichten mit Tieren. Schon bevor man anfängt zu lesen, fällt einem der aufwendig gestaltete Einband auf. Man kann einige Zeit damit verbringen, sich die verschiedenen Illustrationen von Tieren, Menschen und Fantasiewesen anzusehen. Schlägt man dann endlich das Buch auf, sieht man im Inhaltsverzeichnis eine klare Aufteilung der Kurzgeschichten in drei Unterkategorien: »Tiere, die im Regen stehen«, »Tiere, die in Kreisen gehen« und »Tiere die im Dunkeln sehen«. Die Kurzgeschichten selbst tragen simple Namen wie Der Wolf, sind teilweise aber nicht sofort mit Tieren in Verbindung zu bringen (Alles ist da, wo es sein soll).
Keine Lektüre für KinderDie titelgebende Kurzgeschichte Sie träumt von Pferden handelt von einer erwachsenen Frau, die von einem weißen Hengst träumt. Die Geschichte ist nicht einmal vier Seiten lang und bleibt einem doch im Kopf. Denn anders als man es vielleicht erwarten würde, geht es nicht um den Prinzen, der auf dem weißen Pferd angeritten kommt. Viel mehr nimmt die Geschichte eine skurrile Wendung, als angedeutet wird, dass die Protagonistin nach einem Sex-Traum mit dem Pferd schwanger ist. Wie kann das sein? Fantasiert die Frau oder versucht sie etwas zu verdrängen? Wie bei Kurzgeschichten üblich, findet man keine direkte Antwort auf seine Fragen.
Genau dies macht den Erzählband so eindringlich. Laut hallen die Geschichten in den Gedanken nach, wenn man sich auf sie einzulassen vermag. Was sie verbindet, ist die atmosphärische Dichte. Sehnsucht, Trauer, Angst oder Resignation – all diese Gefühle sind beim Lesen deutlich spürbar. Teilweise setzt sich einem ob der realistischen Darstellung ein Gefühl der Beklemmung in den Nacken. Michael Weins und Kathrin Gschwendtner haben keine seichte Unterhaltungsliteratur, aber eine Sammlung an fantasievollen Kurzgeschichten geschaffen, bei denen es keine Tabus gibt.
Fein gesetzte, visuelle Höhepunkte aus der Feder der Illustratorin Gschwendtner runden das Leseerlebnis ab. Einige der in schwarz-weiß gehalten Bilder sind auf die jeweilige Geschichte bezogen, andere wollen scheinbar verblüffen und entziehen sich der Deutungsmacht des Lesers. So füllt beispielsweise ein weinender Bär, der aus dem Wasser auftaucht, zwei Seiten. Umgeben ist er von vier Menschen und einem Meerschweinchen. Sowohl die Worte, als auch die Bilder in diesem Buch bieten dem Leser einen großen Interpretationsspielraum. Die Autoren überschreiten mit den Geschichten so manche Grenze. Die tierischen Figuren mit ihren bösen, menschlichen Attributen, machen die Geschichten auf eine Art unwirklich, die dazu aufruft, sich dem Träumen, mitunter dem Albträumen, zu öffnen.
Träumer, Andersdenker oder Leser auf der Suche nach Unterhaltung, die sich vom Üblichen und Alltäglichen unterscheidet, werden in dieser Kurzgeschichtensammlung sicherlich genug zum Stöbern finden.