In der Reihe »Das Alter in der Literatur« las Peter Farkas Anfang des Jahres aus seinem Roman Acht Minuten im Literarischen Zentrum. Ein Buch über zwei alte Menschen, die dem Ende ihres Lebens entgegengehen und denen es dabei nicht immer leicht gemacht wird.
Von Xenia Buchwald
Es ist ein verschneiter Winterabend im Januar. Die weißen Flocken nieseln sanft auf Göttingens Straßen und Häuser herab. Ab und an verfangen sie sich in den Kapuzen und Mützen der hin und her eilenden Menschen. Das Literarische Zentrum mit seinen knorrigen Holzbalken und der warmen Beleuchtung sieht von außen einladend und gemütlich aus. Heute soll die erste Lesung im Jahr 2013 stattfinden. Während nun das neue Jahr, das erst beschauliche elf Tage zählt, den Kinderschuhen kaum entwachsen ist, gehört die Lesung zu der Reihe »Das Alter in der Literatur«. Diese widmet sich der literarischen Auseinandersetzung mit dem Altern.
An diesem Abend ist Peter Farkas mit seinem neuen Roman Acht Minuten eingeladen. Darin geht es um eine Frau und einen Mann, die dem Leser namentlich nicht näher bekannt sind, deren hervorstechende Eigenschaft jedoch ihr Altsein darstellt. Die beiden leben zusammen in einer Wohnung und kommen eigentlich ganz wunderbar miteinander zurecht. Auch der Umstand, dass der alten Frau »die Erinnerung einfach weggeblieben« war, ändert daran nichts. Aber das sieht die Außenwelt offenbar anders: Angeblich nützliche Gegenstände, die den Alltag erleichtern sollen, werden in ihre Wohnung gebracht. Wenn der alte Mann diese Dinge aber aufgrund ihrer für ihn absolut offensichtlichen Sinnlosigkeit auf die Straße hinausstellt, erntet er Unverständnis und sogar Feindseligkeit. Einmal endet ein weiterer solcher gutgemeinter Besuch sogar in der völligen Umstellung des Zimmers.
Die Besucher entpuppen sich dabei als die Kinder des alten Paares. Aber sie sind gänzlich erfolglos: Haben sie die Betten der beiden alten Menschen auseinandergestellt, behelfen ebenjene sich jetzt damit, dass sie zu zweit in einem Bett schlafen. Und so verbringen sie ihre Tage mit seichtem Dahinschlummern, gelegentlichem Luftschnappen auf dem Balkon und Vorlesen. Es ist eine begrenzte und beschauliche Welt, in der der Roman spielt, und der Alltag und die Empfindungen des alten Mannes stehen klar im Vordergrund.
Warten auf den Einbruch der Nacht
Das Literarische Zentrum ist gut gefüllt und während der Lesung ertönt ab und zu ein Husten. Hinter den Fensterscheiben wirbelt der Wind den Schnee durcheinander, und immer wieder mal wird eine Flocke gegen das kalte Glas geweht, wo sie schmilzt und als Regentropfen eine nasse Spur hinterlässt.
Im Interview erzählt Peter Farkas, dass es in dem Buch nicht in erster Linie um Demenz, sondern um das Sterben und die Liebe gehe. So sollte das Buch auch ursprünglich »Todesübungen« heißen. Aber der endgültige Titel spielt darauf an, dass es acht Minuten dauert, bis wir merken, dass die Sonne erloschen ist. Und diese Metapher lässt sich auf das Leben der beiden alten Leute übertragen, die den Mittag ihres Lebens auch schon sehr lange überschritten haben und jetzt des Abends auf den Einbruch der Nacht warten.
Aber gleichzeitig bejaht Peter Farkas, dass das Buch vor allem auch ein Buch über die Liebe sei. Während er spricht, erweckt er den Eindruck, als überlege er sich sehr genau, was er sagte. Und so formuliert er dann auch bedächtig und ruhig. Der goldene Rahmen seiner Brille schimmert dabei im schwachen Licht. Und vor ihm auf dem Tisch liegt ein rotes Brillen-Etui.
Lange kann der Leser auch über die Namenslosigkeit der Protagonisten nachdenken. Peter Farkas begründet diese damit, dass sie als allgemeingültige Figuren gesehen werden sollten und er allgemein ein Problem mit Namen habe, sodass er solche höchstens durch Abkürzungen andeute. Bei den beiden alten Menschen ist es zudem so, dass Namen längst ihre Bedeutung verloren haben. Trotzdem gab es Stellen in dem Buch, wo Namen die Einfühlung in die Lebenswelt der Protagonisten erleichtert hätten. Auf diese Weise wäre der Leser anstelle einer alten Frau und einem alten Mann zwei eben dadurch nicht mehr austauschbaren Menschen begegnet.
Der unbestimmbare Geruch des Alters
Über einen etwa in die Mitte des Buches eingefügten Brief an den alten Mann kann sich der Leser ebenfalls den Kopf zerbrechen. Der Brief ist insofern ein schöner Einfall, als dass er dem alten Mann eine Vergangenheit verleiht. Aber er scheint etwas aus dem Kontext platziert. Denn im weiteren Verlauf des Romans spielt dieses Schriftstück schlicht keine Rolle mehr, ja, der alte Mann selbst, aus dessen Perspektive Acht Minuten verfasst ist, nimmt in Gedanken nicht einmal Bezug darauf. Hier hätte eine solche, wenn auch noch so klitzekleine Verbindung zwischen Brief und altem Mann sehr gut getan.
Alles in allem ist Acht Minuten ein eindringlich geschildertes Buch. Die Sprache beschreibt klar und präzise die Empfindungen des alten Mannes. Und dabei geht es oft auch um die Unannehmlichkeiten des Alters, etwa schmerzt es den alten Mann sehr, die Lesefähigkeit verloren zu haben oder er bemerkt auch sehr deutlich den körperlichen Verfall. Sein Zahnfleisch blutet morgens immer häufiger. Eines Tages hat er dann begonnen, den unbestimmbaren Geruch des Alters an seinem Körper wahrzunehmen, den keine Seife der Welt verdecken kann. Und Treppensteigen wollen seine Knie auch schon länger nicht mehr. Aber entgegen allen Widrigkeiten trotzt er mit der alten Frau zusammen dem Leben. Und das ist einfach eine sehr schöne Geschichte, die zudem auch sehr zum Nachdenken über das Altern anregt.
Die Lesung endet mit lautem Applaus. Und über das Schneegestöber draußen hat sich mittlerweile eine dichte und schwere Dunkelheit gelegt. Die Nacht ist hereingebrochen und in ihrem Schutz streift nun ein schneidender Wind durch die Straßen.