Alte, eigensinnige Männer haben Konjunktur auf dem Buchmarkt. Das zeigt auch Derek B. Millers Roman Ein seltsamer Ort zum Sterben über einen 82jährigen Kriegsveteran und seine kuriose Flucht entlang des Oslofjords.
Von Silke Fuhrmann
Sheldon Horowitz ist 82 Jahre alt. Er ist Amerikaner, Jude, Uhrenreparateur und Fotograf im Ruhestand, kämpfte als Marine im Korea-Krieg und hat den Großteil der ihm nahestehenden Menschen verloren: seinen Sohn Saul, seinen besten Freund Bill und letztlich auch seine Frau Mabel. Nach ihrem Tod zieht er nur widerwillig zu seiner Enkelin Rhea und ihrem Mann Lars nach Norwegen – ein fremdes Land, in dem er viel Zeit zum Nachdenken über die Vergangenheit hat. Doch ehe er sich versieht, wird in dem neuen Domizil eine Frau umgebracht und Sheldon flüchtet mit deren kleinen Sohn vor den Verfolgern den Oslofjord hinauf.
Alles beginnt mit dem Umzug nach Oslo. So sehr sich Rhea und Lars auch bemühen, es ist nicht immer leicht mit dem alten Mann, seinem mangelhaften Integrationswillen und seinen Marotten. »Sie nennen es Demenz, Sheldon. Wir müssen das im Auge behalten«, hatte Mabel schon vor einiger Zeit gesagt, als er anfing einige Dinge zu vergessen. Doch auch, wenn Sheldons Gedächtnis nicht mehr das Beste zu sein scheint, erinnert er sich noch gut an die wichtigen Dinge, und erklärt in seiner eloquenten Art, warum er gar nicht unter Demenz leiden kann. Gegen beratende Gespräche mit seinem toten Freund Bill oder der Überzeugung, er sei seit 1952 auf dem Radar der Nordkoreaner, die ihm mit ihren kleinen Knopfaugen hinterherstarren und sofort die Koordinaten nach Pjöngjang telegraphieren, sollte demnach auch nichts einzuwenden sein.
Wenn du nur eine Möglichkeit hast, hast du bereits einen Plan!Kaum ein Tag vergeht, an dem Sheldon nicht an seinen Sohn Saul denkt. Und kaum ein Tag vergeht seit dessen Tod, an dem er sich keine Vorwürfe macht. Schließlich war er es doch, der ihn dazu überredet hat, sich für den Vietnam-Krieg zu melden, dem er letztlich zum Opfer fiel. Diese quälenden Erinnerungen, das Hängenbleiben in der Vergangenheit, werden eines Tages jäh unterbrochen: eine junge Frau mit billiger Lederjacke und noch billiger aussehendem Modeschmuck – »alles an ihr schreit: Balkan« – steht mit ihrem Sohn verängstigt im Treppenhaus. Scheinbar werden sie verfolgt. Sheldon weiß, dass es die Frau aus der Wohnung eine Etage höher ist. Zu oft hat er sie schon mit einem Mann streiten gehört. Natürlich gewährt er ihnen Einlass. Wenige Minuten später ist die Frau tot und Sheldon hat nur eine Möglichkeit: Er begibt sich mit dem Jungen auf eine abenteuerliche Flucht entlang des Oslofjords – ohne zu ahnen, dass die Verfolger bereits wissen, an welchem Ort sie ihn und den Jungen finden werden.
Auf der abenteuerlichen Odyssee hinauf in den Norden Norwegens wird deutlich, dass Sheldon den Verlust seines Sohnes Saul nie ganz verwunden hat. Zu präsent sind noch die quälenden Erinnerungen an das letzte Gespräch mit ihm und ein Zufall kann es auch nicht sein, dass er seinem kleinen stummen Begleiter den Namen Paul gibt – denn Zufälle gibt es in diesem Buch nicht. Stattdessen gibt es Erkenntnisse und zwar reichlich: über die wahren Helden des Alltags, den Verwendungszweck des republikanischen Parteiprogramms und natürlich darüber, wie man auf diesem Planeten am besten über die Runden kommt, auch wenn es dazu gehört in einer grellorangenen Jacke ein Boot direkt vor den Augen der Polizei zu klauen.
Nach einer Karriere als Spezialist für Sicherheitspolitik, arbeitet Derek B. Miller für zahlreiche Gremien der UNO und Universitäten und ist Direktor eines Forschungsinstituts. Mit Ein seltsamer Ort zum Sterben veröffentlicht der in Norwegen lebende Bostoner seinen ersten Roman, der vor allem dank eines alten Mannes zu überzeugen versteht.
Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, warum sich alte, eigensinnige Männer in der Literatur nicht erst seit Jonas Jonasson einer so großen Beliebtheit erfreuen. Ihr Leben bietet genug Handlung für einen großartigen Roman und so verhält es sich auch bei Sheldon Horowitz. Mit einer Mischung aus Altersstarsinn, schwarzem Humor, Melancholie und Herzlichkeit wirkt er so glaubwürdig, wie auch liebenswert, als sei er das Mitglied der eigenen Familie, das immer die besten Geschichten zu erzählen hat.
Einziges Manko an dieser Unterhaltungslektüre mit Krimiambitionen ist lediglich das Ende, welches leider nur teilweise dazu imstande ist zu halten, was die vorangegangene Handlung verspricht. Trotz des Wermutstropfens ist Miller mit Ein seltsamer Ort zum Sterben ein nicht zu verachtendes Debüt gelungen. Ein alter Kauz als Beschützer eines kleinen Jungen in der fremden skandinavischen Einsamkeit – lustig, bewegend, packend.