Gewohnt bissig und polemisch: Hans Magnus Enzensbergers Prosabuch Herrn Zetts Betrachtungen. Oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern überzeugt durch einen wortwitzigen Protagonisten mit Hirn, Charme und Melone.
Von Florian Pahlke
Enzensberger ist noch immer ein Mann der klaren Worte. Seine politischen und gesellschaftlichen Ansichten vertritt er vehement, das war schon immer so. Sein Vergleich von Hussein mit Hitler brachte ihm nicht wenig Kritik ein, im Zusammenhang mit dem NSA-Skandal bezeichnete er den Zustand in der Bundesrepublik kurzerhand als »postdemokratisch« und der Held des aktuellen Jahrhunderts, so seine Schlussfolgerung, könne demnach nur Edward Snowden sein. So klar sich Enzensberger zu vielen Dingen positioniert, so häufig wechselte und revidierte er seine Ansichten jedoch auch in den vergangenen Jahrzehnten. Herr Zett, der Protagonist seines neuesten Werkes mit dem so typisch enzensbergerischen Titel Herrn Zetts Betrachtungen. Oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern, gleicht Enzensberger in diesem habituellen Zickzackkurs. Schon aus hygienischen Gründen wechselt Herr Zett seine Meinungen immer mal wieder. Wirklich festhalten solle man eh »nur an dem, was einer nicht sagt«, so sein allgemeiner Ratschlag. Von dem Zwang gelöst, sich festlegen zu müssen, gelingt es Enzensberger, mit Herrn Zett eine nonchalante Sammlung reflektierender Beobachtungen vorzulegen, denen die Etikettierung zur Aphorismensammlung, wie Herr Zett selbst zu bedenken gibt, nur zur Beleidigung gereichen würde.
Positionsverweigerung par excellanceWer dieser Herr Zett ist, erfährt der Leser auch im Laufe des Buches nicht wirklich. Nur, dass er ein Mann mittleren Alters ist, der mit seiner Melone, die er immer sorgsam neben sich auf der Bank ablegt, ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Nahezu täglich ist er in der selben Ecke eines Parks anzutreffen, um über alles Mögliche zu plaudern oder fast schon zu dozieren. Thematisch scheint er dabei so ziemlich alles für
Von Zetts Meinung unbehelligt bleibt dann letztlich fast nichts. Auch scheinbar kleine und beiläufige Beobachtungen, wie die Vielfalt und besondere Ruhe in botanischen Gärten oder begriffliche Herleitungen halten für Zett genug Gesprächsstoff bereit. Und wenn dieser doch einmal keine Lust hat, über ein Thema zu reden, sind es seine Zuhörer, die ihn mit Sicherheit in Bälde dazu drängen, wenigstens zu begründen, wieso er sich nicht äußern möchte. Mit diesem Wechselspiel zwischen Zett und seinen Zuhörern umgeht Enzensberger auch die Gefahr, Eintönigkeit in die Schilderungen einkehren zu lassen. Die anderen Personen bleiben zwar insgesamt eindimensional, stehen stellvertretend allerdings auch lediglich für unterschiedliche Geisteshaltungen, die sich an Herrn Zett abarbeiten und ihm immer wieder vehement widersprechen, um dann zumeist doch an ihren Einstellungen zu zweifeln und sie zu überdenken – oder aber auch entrüstet von dannen zu ziehen.
Bei allen Einwänden und Überlegungen, die seine Zuhörer zu äußern vermögen, auf Dauer entziehen können sie sich Herrn Zett nicht, der nicht nur viele Meinungen in sich vereint, sondern darüber hinaus auch weit gereist und sehr belesen zu sein scheint. Insbesondere in den vielfältigen Verweisen auf Literaten und Philosophen merkt man immer wieder Enzensbergers Studien der Philosophie und Literaturwissenschaft. So lässt er Zett ohne Schwierigkeiten die großen Denker der Antike ansprechen, Heidegger in die Schranken weisen oder auf Sun Tse referieren. Oftmals gibt Zett diese Bezüge auch unumwunden zu und seine Meinung über diese sogleich kund, doch wirklich wichtig zum Verstehen des Buches sind all die Bezüge zum guten Glück nicht. Denn dass Enzensbergers Büchlein überzeugt, ist nicht dem Konglomerat möglichst vieler und divergenter Geisteshaltungen zu verdanken, sondern weil es sich diese als Substrat zu eigen macht und durch die Brille des stets reflektierenden Herrn Zett präsentiert.
Am Ende bleibt eine Sammlung von Gedanken, die lose verbunden durch den Protagonisten Zett auch als Lektüre dienen können, die man jederzeit und an jeder Stelle aufschlagen kann, um sich an der Art von Zetts Betrachtungen zu erfreuen. Enzensberger legt mit diesem Spätwerk eine wesentlich positivere und weniger ich-zentrierte Version des Buches der Unruhe von Fernando Pessoa vor: ein Buch des Unverbissenen.
Ich fand vor allem die Leichtigkeit beeindruckend, mit der die Z-Gespräche vor sich hin plätschern, ohne langweilig zu werden und ohne oberflächlich zu sein. Ein ewiger (romantischer) Diskurs, der Einblick gibt in Enzensbergers wundersame “Gedankenkammer”. Das ganze Buch ist quasi eine Binnenerzählung, zu der die Welt selbst der Rahmen ist. Ich-zentriert ist es dabei allerdings doch, man verzeiht es aber gerne…
Hallo Alena,
vielen Dank für deine Rückmeldung. Ich sehe das ganz ähnlich wie du, die Leichtigkeit ist an vielen Stellen wirklich beeindruckend – ich hoffe das kam ein wenig in meiner Rezension auch zum Ausdruck. Was das Ich-zentrierte angeht, da gebe ich dir insofern Recht, dass es das auch ist, aber eben deutlich weniger als bei Pessoa, denn Enzensberger versucht wenigstens ein wenig über die Ausgestaltung der Erzählerposition diese Zenrierung abzuschwächen.