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Houellebecqs Unterwerfung
Untergangsfreuden

Kaum ein Roman hat so viel Aufsehen erregt wie dieser. Bereits vor der Veröffentlichung der französischen Originalausgabe hagelte es Rezensionen in allen Tageszeitungen, am Vorabend der Publikation war Houellebecqs Unterwerfung sogar das Titelthema des heute-Journals. Wenige Stunden zuvor saß der Autor selbst zur besten Sendezeit im französischen Fernsehen – wann hat es ein fiktionaler Text schon einmal derart ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung geschafft?

Von Christian Dinger

Dann, am Tag der Buchpremiere, erfolgte der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo, dessen Titelbild damals eine Houellebecq-Karikatur zeigte. Die vermeintliche Bedrohung durch den Islam, die angeblich durch den Roman geistert, wurde nun erst recht Thema auf allen Kanälen und das Buch, das laut Klappentext der deutschen Ausgabe wie kein anderes in unsere Zeit passe, wurde durch diese traurigen Umstände auf einen dauerhaften ersten Platz auf allen Bestsellerlisten katapultiert. Eine mehr als ungewöhnliche Verschränkung von Literatur und Tagesgeschehen, von der sich auch die Feuilletonist_innen überfordert zeigten. Während die einen damit beschäftigt waren, nachzuweisen, dass es sich bei Unterwerfung keineswegs um ein islamophobes Pamphlet handle, waren andere darum bedacht, ihre eigene politische Tadellosigkeit damit zu beweisen, dass sie den Autor streng abstraften. Der Stern verstieg sich am Tag der Anschläge sogar zu dem Schlusssatz: »Für alles, was jetzt noch kommt, trägt auch er seinen Teil Verantwortung.« Wieder andere suchten sich von der eifrigen Verknüpfung von Romanhandlung und politischen Ereignissen abzugrenzen, indem sie fleißig die intertextuellen Bezüge zum Decadénce-Schriftsteller Joris-Karl Huysmans offenlegten.

Buch


Michel Houllebecq
Unterwerfung
Roman
Aus dem Französischen von Norma Cassau, Bernd Wilczek
DuMont Verlag: Köln, 2014
272 Seiten, 22,99€

 
 
Und der Autor selbst? Nach den Anschlägen zog sich Michel Houellebecq zunächst zurück und sagte alle öffentlichen Termine ab. Er war mit einem der getöteten Redaktionsmitglieder von Charlie Hebdo befreundet. Erst zur Buchpremiere in Deutschland am 16. Januar zeigte er sich wieder der Öffentlichkeit. Wieder geisterte Houellebecq durch alle Tageszeitungen, wieder las man Dutzende Interviews und Lesungsberichte, die kaum mehr als die wenig variationsreichen Gedanken zum optischen Erscheinungsbild des Autors zum Inhalt hatten. Nun, da sich die Aufregung gelegt zu haben scheint, stellt sich die berechtigte Frage: Was gibt es noch zu sagen über ein Buch, über das schon so viel gesagt wurde?

Neues zu sagen gibt es in der Tat kaum etwas. Dafür aber zusammenzufassen, zu klären und ins Verhältnis zu setzen. Ein Versuch.

histoire des unsympathischen Helden

Der Autor selbst bezeichnet seinen Roman als »politische Fiktion«. Im Jahr 2022 endet die Präsidentschaft von François Hollande. Um den Siegeszug des Front National unter Marine Le Pen zu verhindern, verhelfen die stark geschwächten Sozialisten und Konservativen der muslimischen Bruderschaft zum Wahlsieg. Nachdem in Frankreich für kurze Zeit bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, beruhigt sich die Lage recht bald wieder und das gebeutelte Land wird umgekrempelt: Durch Finanzspritzen aus Saudi-Arabien schwimmen die Universitäten in Geld, das Problem der Massenarbeitslosigkeit wird dadurch beseitigt, dass die Frauen vom Arbeitsmarkt gedrängt werden und die EU verlagert ihr Zentrum durch den Beitritt nordafrikanischer Länder und der Türkei in den Mittelmeerraum.

François, der Protagonist des Romans, ist Literaturwissenschaftler an der Sorbonne und weder politisch interessiert noch religiös. Meist zeigt er sich völlig überfordert von der Tatsache, dass im Zuge der Ereignisse Politik oder Religion irgendeine Rolle in seinem Leben einnehmen könnten. Egal mit wem er sich unterhält, ob mit einem Anhänger der Identitären, einem Ex-Geheimdienstler oder dem muslimischen Präsidenten der Sorbonne, François ist immer auf kindlich-naive Weise fasziniert von den rhetorischen Fähigkeiten seines Gegenübers und dabei selbst bis zum Äußersten meinungslos – und meist auch betrunken.

Denn François ist außerdem ein typischer Houellebecq-Held: Alkoholiker, Kettenraucher, phlegmatisch, misogyn und unfassbar einsam. Sein Leben besteht im Großen und Ganzen aus seinem einzigen Forschungsgegenstand Huysmans, indischen Mikrowellengerichten und (wenn keine Studentinnen verfügbar sind) Escort-Girls.

Adieu Populismus

Wir haben also auf der einen Seite eine zutiefst unzufriedene, gespaltene Gesellschaft, die liebend gerne ihr Ideal einer freien, säkularisierten Gesellschaft über Bord wirft, um endlich wieder zum guten, alten Patriarchat zurückzukehren – sei es nun muslimisch oder katholisch geprägt. Auf der anderen Seite ist da ein sozial verkümmertes Individuum, das kurzzeitig auf der Suche nach Erlösung ist, sich am Ende aber doch nur dafür interessiert, wie viele Ehefrauen einem die Scharia zugesteht.

Und die Muslime? Man könnte meinen, sie kommen bei diesem drastischen Gesellschaftsporträt noch am besten weg. Sie tauchen meist, wie der Uni-Präsident Rediger, als Konvertiten auf und sind polygame Politprofis und rhetorische Meister, die den geistig abgestumpften Europäern Sinnstiftung anbieten. Ist das islamophob? Möglich. Aber viel mehr als islamophob ist dieser Roman misogyn, menschenfeindlich, anti-westlich, frankophob, sorbonne-feindlich und vor allem urkomisch.

Und es kann nicht oft genug betont werden: Unterwerfung ist kein Sachbuch, kein Manifest oder Pamphlet und auch keine Dystopie a lá Orwell. Und auch wenn es einem zuweilen kalte Schauer über den Rücken jagt, denkt man bei den Anhängern der Identitären Bewegung im Roman an den deutschtümelnden Mob, der sich – wenn auch mittlerweile stark dezimiert – montags in deutschen Städten breit macht: Houellebecq selbst und seine Literatur haben nichts, aber rein gar nichts mit der dumpfen Kleinbürgerwut des völkisch aufgestachelten Pegida-Pöbels zu tun. Und auch nichts mit der Untergangsangst und dem geistigen Brandstiftertum der Greiners, Matusseks und Mosebachs, die im deutschsprachigen Feuilleton die Fahne der alten, weißen Männer hochhalten. Dort, wo diese den Untergang der westlichen Welt angsterfüllt herbeischreien, schmunzelt jener nur darüber und zeigt statt angsterfüllter Xenophobie eine nicht nur klammheimliche Freude über alles Untergehende, Verwelkende und Erbärmliche. Ein Buch zum Wohlfühlen ist Unterwerfung mit Sicherheit nicht. Aber wer will schon solche Bücher lesen?



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 Veröffentlicht am 27. Februar 2015
 Kategorie: Belletristik
 Litlog
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