Von Christian Dinger
Mazedonien, wo liegt das eigentlich? Balkan, Jugoslawien, Tito, Krisenherd… Irgendwas war da. In der Inszenierung von Fremdes Haus im Deutschen Theater wird der Zuschauer hineingeworfen in ein politisches Spannungsfeld, das längst aus der tagesaktuellen Öffentlichkeitswahrnehmung entschwunden ist. Zwanzig Jahre sind immerhin schon vergangen, seit das Stück der begnadeten Theaterautorin Dea Loher am Staatstheater Hannover uraufgeführt wurde. Damals war der Zusammenbruch Jugoslawiens von 1991 noch allseits präsent.
Florian Eppinger als zerrissener Risto, Rahel Weiss als kindlich-naive Agnes
Um den Unterhalt der Familie zu sichern, prostituiert sich Ristos Frau im alten Zimmer der Tochter, in das nun Jane einquartiert wird – ein offenes Geheimnis, an das aber niemand in der Familie rühren mag. Ristos Tochter hat ein steifes Bein von einem Autounfall. Geheiratet hat sie den Unfallfahrer, den schmierigen Emporkömmling Jörg, weil er ihr zwar nicht die Kosten für eine Operation, dafür aber einen geregelten Unterhalt in Aussicht stellen konnte.
Gekaufte Vergangenheiten, verkaufte GegenwartenEs ist eine Welt, in der Geschäfte das Leben und Überleben der Figuren regeln. Risto hat seinen besten Freund und seine moralische Integrität verkauft, um Mazedonien lebendig verlassen zu können, seine Frau Terese verkauft sexuelle Dienstleistungen für das Überleben der Familie und Tochter Agnes verkauft sich an einen ungeliebten Ehemann. Nur Jane lehnt es ab, sich zu verkaufen. Nicht einmal eine Ehe mit der reizenden Bardame Nelly will er eingehen, um der Abschiebung zu entgehen. Den alten Anzug, den Jörg ihm mit herablassender Geste zu überlassen bereit ist, schlägt Jane aus. Er holt sich lieber mit Gewalt den Neuen, den Jörg gerade anhat.
Doch es ist nicht nur dieser Stolz, der Jane zum Unruhestifter im fremden Haus macht, es ist seine bloße Anwesenheit, die die übrigen Figuren zwingt, sich ihre Lebenslügen einzugestehen. Eine personifizierte Begegnung mit der Vergangenheit, alte Wunden die aufgerissen werden – alles Theaterklischees, könnte man einwenden. Doch man könnte ebenso gut sagen, dass hier die alten, großen Themen des Theaters verhandelt werden: Schuld, Verrat, Selbstbetrug und Fatalismus. In diesem Sinne ist es Dea Loher gelungen, das griechische Drama in das Gewand einer modernen Migrationsgeschichte zu kleiden.
Facettenreiches Spiel: Elisabeth Hoppe, Bardo Böhlefeld, Florian Eppinger
Im DT entfaltet sich dieses antik-moderne Trauerspiel auf einem schmalen Steg, der fluchtpunktartig auf einen Quader zuläuft, dessen Fassade schon einige Risse aufweist (Bühne: Eleonore Bircher). Trotz dieser etwas plumpen Metaphorik handelt es sich um ein gelungenes Bühnenbild, das die Szenerie in eine melancholisch-düstere Atmosphäre taucht.
Ansonsten ist die Inszenierung des ehemaligen DT-Intendanten Mark Zurmühle angenehm unaufgeregt und zurückhaltend. Sie bietet den SchauspielerInnen genügend Raum, sich zu entfalten – und diese nutzen den Raum, um das Beziehungsgeflecht des Dramas mit facettenreichem Spiel auszufüllen. Besonders Florian Eppinger als verbitterter, von Selbsthass zerfressener Risto und Rahel Weiss als kindlich-naive Tochter Agnes überzeugen mit ihrer Darstellung. Verdientermaßen gibt es eifrigen Premierenapplaus für ein bestechendes Ensemble und einen gelungenen Theaterabend. Nur empfiehlt es sich, vor Aufführungsbeginn schon einmal einen Blick in das Programmheft zu werfen. Denn bis sich einem alle Verwandtschaftsverhältnisse und politischen Hintergründe erschlossen haben, neigt sich das Stück sonst schon wieder dem Ende zu.