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Verkaufte Gegenwart
In Fremdes Haus im DT wird der Zuschauer in ein politisches Spannungsfeld zwischen Mazedonien, Tito und Krisenherd hineingeworfen, das längst aus der Öffentlichkeitswahrnehmung entschwunden ist. Trotz düsterem Hintergrund ist die Inszenierung des ehemaligen DT-Intendanten Mark Zurmühle angenehm unaufgeregt und zurückhaltend.

Von Christian Dinger

Mazedonien, wo liegt das eigentlich? Balkan, Jugoslawien, Tito, Krisenherd… Irgendwas war da. In der Inszenierung von Fremdes Haus im Deutschen Theater wird der Zuschauer hineingeworfen in ein politisches Spannungsfeld, das längst aus der tagesaktuellen Öffentlichkeitswahrnehmung entschwunden ist. Zwanzig Jahre sind immerhin schon vergangen, seit das Stück der begnadeten Theaterautorin Dea Loher am Staatstheater Hannover uraufgeführt wurde. Damals war der Zusammenbruch Jugoslawiens von 1991 noch allseits präsent.

Das Stück

Von Dea Loher
Regie: Mark Zurmühle
Dramaturgie: Sarah Örtel
Premiere: 27. Juni 2015
Nächste Aufführungen:
10. + 16. Juli 2015

 

DT

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Das Deutsche Theater in Göttingen zeigt als größtes Theater der Stadt ein umfangreiches Repertoire auf drei Bühnen. Bereits seit den 1950er Jahren errang das DT unter Leitung des Theaterregisseurs Heinz Hilpert den Ruf einer hervorragenden Bühne. Seit der Spielzeit 2014/15 ist der Schweizer Erich Sidler die künstlerische Leitung des Hauses.
 
 
FluchtklugheitHineingeworfen wird auch Jane Sokolow, der vor dem drohenden Krieg in seiner mazedonischen Heimat nach Deutschland geflüchtet ist. Hineingeworfen in eine ihm fremde Welt aus Zigarettenschmugglern und Parvenüs, die nichts wissen will vom Balkan und für die er ein Störenfried und ein Schmarotzer ist. Er sucht nach Hilfe bei Risto Mihaijlov, einem alten Freund der Familie, der bereits vor vielen Jahren ebenfalls von Mazedonien nach Deutschland geflüchtet ist. Damals hatte sich Titos Herrschaft gerade gefestigt und das Leben des regimekritischen Kommunisten Risto war bedroht. Dass er damals klug genug war, rechtzeitig die Flucht zu wagen, dafür werde er in der alten Heimat noch immer bewundert, weiß Jane zu berichten. Doch in Wirklichkeit ist Jane für Risto nur eine quälende Erinnerung an sein moralisches Versagen, an die Tatsache, dass seine Flucht nicht so heldenhaft war, wie die anderen glauben, sondern mit Verrat erkauft wurde.

Florian Eppinger als zerrissener Risto, Rahel Weiss als kindlich-naive Agnes

Um den Unterhalt der Familie zu sichern, prostituiert sich Ristos Frau im alten Zimmer der Tochter, in das nun Jane einquartiert wird – ein offenes Geheimnis, an das aber niemand in der Familie rühren mag. Ristos Tochter hat ein steifes Bein von einem Autounfall. Geheiratet hat sie den Unfallfahrer, den schmierigen Emporkömmling Jörg, weil er ihr zwar nicht die Kosten für eine Operation, dafür aber einen geregelten Unterhalt in Aussicht stellen konnte.

Gekaufte Vergangenheiten, verkaufte Gegenwarten

Es ist eine Welt, in der Geschäfte das Leben und Überleben der Figuren regeln. Risto hat seinen besten Freund und seine moralische Integrität verkauft, um Mazedonien lebendig verlassen zu können, seine Frau Terese verkauft sexuelle Dienstleistungen für das Überleben der Familie und Tochter Agnes verkauft sich an einen ungeliebten Ehemann. Nur Jane lehnt es ab, sich zu verkaufen. Nicht einmal eine Ehe mit der reizenden Bardame Nelly will er eingehen, um der Abschiebung zu entgehen. Den alten Anzug, den Jörg ihm mit herablassender Geste zu überlassen bereit ist, schlägt Jane aus. Er holt sich lieber mit Gewalt den Neuen, den Jörg gerade anhat.

Doch es ist nicht nur dieser Stolz, der Jane zum Unruhestifter im fremden Haus macht, es ist seine bloße Anwesenheit, die die übrigen Figuren zwingt, sich ihre Lebenslügen einzugestehen. Eine personifizierte Begegnung mit der Vergangenheit, alte Wunden die aufgerissen werden – alles Theaterklischees, könnte man einwenden. Doch man könnte ebenso gut sagen, dass hier die alten, großen Themen des Theaters verhandelt werden: Schuld, Verrat, Selbstbetrug und Fatalismus. In diesem Sinne ist es Dea Loher gelungen, das griechische Drama in das Gewand einer modernen Migrationsgeschichte zu kleiden.

Facettenreiches Spiel: Elisabeth Hoppe, Bardo Böhlefeld, Florian Eppinger

Im DT entfaltet sich dieses antik-moderne Trauerspiel auf einem schmalen Steg, der fluchtpunktartig auf einen Quader zuläuft, dessen Fassade schon einige Risse aufweist (Bühne: Eleonore Bircher). Trotz dieser etwas plumpen Metaphorik handelt es sich um ein gelungenes Bühnenbild, das die Szenerie in eine melancholisch-düstere Atmosphäre taucht.

Ansonsten ist die Inszenierung des ehemaligen DT-Intendanten Mark Zurmühle angenehm unaufgeregt und zurückhaltend. Sie bietet den SchauspielerInnen genügend Raum, sich zu entfalten – und diese nutzen den Raum, um das Beziehungsgeflecht des Dramas mit facettenreichem Spiel auszufüllen. Besonders Florian Eppinger als verbitterter, von Selbsthass zerfressener Risto und Rahel Weiss als kindlich-naive Tochter Agnes überzeugen mit ihrer Darstellung. Verdientermaßen gibt es eifrigen Premierenapplaus für ein bestechendes Ensemble und einen gelungenen Theaterabend. Nur empfiehlt es sich, vor Aufführungsbeginn schon einmal einen Blick in das Programmheft zu werfen. Denn bis sich einem alle Verwandtschaftsverhältnisse und politischen Hintergründe erschlossen haben, neigt sich das Stück sonst schon wieder dem Ende zu.



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 Veröffentlicht am 7. Juli 2015
 Fotos Georges Pauly, mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Theaters
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