Drei junge deutsche Nachwuchsautoren lasen im Literarischen Zentrum. Nachdem dort Anfang des Jahres zum »Debütantinnenball« geladen wurde und drei junge Autorinnen und ihre Erstlinge vorgestellt wurden (Litlog berichtete am 03.03.14) folgte nun die Fortsetzungsveranstaltung mit der Vorstellung der männlichen Kollegen.
Von Lilo Ruther
In den letzten Monaten wurde in den Feuilletons der überregionalen Zeitungen und auch hier bei Litlog viel über den Zustand der jungen deutschen Literatur gesprochen (»Kessler-Debatte«) – und viel über den Konformismus der neuen Autoren und Autorinnen geklagt. Die Planer vom Literarischen Zentrum trafen mit ihren zwei Erstlings-Veranstaltungen also den Nerv der Zeit. Mit Roman Ehrlich, David Finck und Jan Skudlarek (allesamt aus Berlin) traten zwei Romanautoren und ein Lyriker am 19. Juni im Literarischen Zentrum auf, die bereits auf Auszeichnungen, Preise und öffentliche Lesungen verweisen können.
Dabei hatten es die Beteiligten nicht leicht an diesem Donnerstagabend; es regnete in Strömen, und zeitgleich lief die Vorrunde der Fußball-WM im Fernsehen. Umso interessierter waren die, die den Weg ins Zentrum gefunden hatten: Studierende der philologischen Fächer, vereinzelt auch Nicht-mehr-Studierende und Noch-nie-Studierende aller Altersgruppen. Gesa Husemann, stellvertretende Leiterin des Literarischen Zentrums, führte das Gespräch und in den Abend ein. Zur Einstimmung auf die Gäste wurde je ein von ihnen gewähltes Musikstück als Eingangslied eingespielt. Nach der Veranstaltung bestand bei Quiche und Wein die Gelegenheit, mit den Autoren ins Gespräch zu kommen.
Die Welt ist eingeschneitDer erste Autor auf der Bühne ist Roman Ehrlich, der sich das Stück Alviverde von Jun Miyake ausgesucht hatte. Eine Auswahl mit besonderer Motivation: Miyake ist ein japanischer Komponist und Musiker, der unter anderem für Pina Bausch, 2009 verstorbene Revolutionärin des Tanztheaters, gearbeitet hat, deren Choreographien von Ehrlich besonders geschätzt werden. Alviverde ist ein beschwingtes und gleichzeitig melancholisches Stück, ganz und gar andächtig, das den Charakter eines Tanzes hat und daher das Motto des Abends passend aufgriff.
Als der Autor in den Roman einführt, wird schnell klar, dass es sich hier um ein ungewöhnliches Buch handelt. Der namenlose Ich-Erzähler geht »zur kältesten Zeit des Jahres« zurück in sein Elternhaus, wo er anstelle seiner Eltern einen kleinen Jungen antrifft (Richard), der das frühere Zimmer des Erzählers bewohnt. Richard erweist sich als sehr seltsam; er geht nicht zur Schule, ist am liebsten für sich allein und hat eine große Affinität zum Basteln. Unterbrochen wird der Fluss des Erzählens immer wieder durch Geschichten die der Protagonist Richard erzählt.
Eine dieser Geschichten, die auf den Titel des Buches anspielt, handelt von einem Vulkanausbruch in Indonesien im Jahre 1815, infolgedessen es auf der nördlichen Erdhalbkugel kurzfristig Winter wurde. Analog dazu ist es auch am Ort der Eltern immer dunkel und kalt und es schneit fortwährend, sodass das Leben mehr und mehr zum Erliegen kommt und die vergehende Zeit kaum noch eine Rolle spielt. Gleichwohl entdeckt der Erzähler eines Tages inmitten der Schneelandschaft den Spross einer Pflanze. Mit der Verwunderung des Erzählers über diese Entdeckung beginnt die Textpassage, die Ehrlich vorliest: »Ich hatte wahrscheinlich auf meine Füße geschaut oder auf die Fußspuren von Richard oder einem anderen Bewohner des Ortes, vielleicht hatte ich auch einfach vorsorglich meinen Kopf hängen lassen, falls alles nicht so laufen würde, wie ich mir das vorstellte. Dass ich aber das kleine Ding überhaupt gesehen habe, kommt mir im Nachhinein sehr unwahrscheinlich vor. Ich blieb augenblicklich stehen, zeigte mit meinem Finger darauf, eine heiße Welle schlug durch mich hindurch, in meinem Kopf gab es abermals keine Worte, ich dachte nicht in Form von Sprache, sondern in purer heller Aufregung.«
Die Personen im Roman, so viel sei hier vorweggenommen, finden nicht zueinander. Es gibt zwar immer wieder Versuche, aber letztendlich bleibt jeder allein. Die bedrohliche Stimmung und die Einsamkeit der Figuren lassen uns allenfalls erahnen, was genau zwischen den Figuren vor sich geht, woraus eine eigentümliche Sogkraft bei der Lektüre entsteht.
Der 1978 geborene David Finck hat sich die fieberhafte, kraftvolle Klaviermusik von Nils Frahm ausgesucht, weil sie so klingt wie die Fragen, die sich die Hauptfigur seines Romans Das Versteck stellt. Auch Finck hat am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studiert und er hat ein Leben außerhalb des literarischen Schreibens: Er fotografiert, macht Webdesign und ist auch als Drehbuchautor tätig und. 18 Jahre lang hat Finck nach eigener Auskunft am Versteck geschrieben, ein chaotischer Entstehungsprozess, aus dem der Autor keinen Hehl macht (ein Trost für alle, die noch an ihrem Erstling schreiben), und aus dem ein bis in die Details durchkomponierter Text hervorgegangen ist.
Die Suche nach seinem Bruder wirft ihn aus der Bahn; Wie ein Geist bewegt sich Bernhard durch die Welt, leidet an Schlafstörungen und findet nicht mehr zu sich zurück. Das alles wird sehr vielschichtig und komplex erzählt, wobei der Unzuverlässigkeit des Erzählers das offenkundige Sicherheitsbedürfnis der Hauptfigur gegenüber steht: »Was gestern war, ist heute auch so. Und morgen ebenfalls. Das muss so sein, damit jeder ´ich´ sagen kann und weiß, was er damit meint. Spielt man aber nur ein kleines bisschen an den Einstellungen herum, gerät alles aus den Fugen.« Der Roman besticht durch eindringliche Bilder, schnelle Wendungen und witzige Details. Das beginnt schon mit dem Einleitungssatz, den Husemann zitiert: »Wenn ein Mann halb nackt in der Küche sitzt und ein Glas Milch trinkt, weil er nicht schlafen kann, muss das noch lange nicht heißen, dass die Geschichte tragisch endet.«
Inmitten von Technik- und NaturgewaltenJan Skudlarek, 1986 geboren, lässt sich zum Einstieg vom Gurren und Flattern der Tauben begleiten, mit denen der melancholische Hip Hop-Song Gestern von Hiob & Lunte von Sichtbeton einsetzt. Hiob und Lunte erinnern sich darin an die Zeit ihrer frühen Jugend in der Stadt und an die verbotenen Dinge, mit denen sie sich die Zeit vertrieben haben.
Thematische Parallelen finden sich auch in den Gedichten aus Elektrosmog, dem Debüt des Autors. Es sind, so die Deutung von Husemann, die bedrohlichen Auswirkungen einer alltäglich erfahrbaren Lebenswelt, die von Technisierung zunehmend durchdrungen wird, für die Skudlarek eine Reihe von Elektronikmetaphern findet. Damit einher geht eine Art der Bedrohlichkeit, die nicht sichtbar und nicht wahrnehmbar ist: »Ein Bluescreen hing über der Stadt«. – Wer mit dem Bluescreen aus der Computersprache einen blauen Bildschirm mit einer weißen Fehlermeldung verbindet, wie er nach dem Computerabsturz erscheint, ahnt, um was für Bedrohungen es hier geht.
Mit Skudlareks Gedichten – vom Autor wurden einige hintereinander vorgelesen – ging ein zweistündiger Literaturabend wie im Flug vorbei. Keine Spur davon, dass die deutsche Gegenwartsliteratur langweilig, konformistisch und am Ende sei. Das Gegenteil war an diesem Abend im Literarischen Zentrum der Fall. Gerne hätte man sich noch länger bei und mit den experimentierfreudigen Autoren aufgehalten.