Der Streit zwischen dem Internetportal Perlentaucher und den Zeitungen FAZ und SZ wurde durch die Instanzen gereicht und ein Ende ist nicht in Sicht. Der Blick hinter die Kulisse zeigt, wie problematisch Texte über Texte über Texte sein können.
Von Helge Ernst
Formen des Abschreibens gibt es viele. Manche sind vertretbar und im richtigen Kontext sogar angebracht, wie Paraphrase oder Zitat, andere wiederum sind strafbar und verpönt, wie Plagiat oder
›copy&paste‹-Journalismus. Abgeschrieben wird schon lange. Vor Aufkommen des Buchdrucks noch als Profession angesehen, ist es heute durch das Internet verfolgt und nachprüfbar, egal, ob Dozenten zweifelhafte Hausarbeiten durch die Textsuche jagen oder Herrschaften des öffentlichen Lebens meinen, sich fröhlich in Richtung Doktortitel plagiieren zu können. Es gibt Mittel und Wege und oft genug auch juristischen Folgen.
Verwirrend wird es, wenn sich das Abschreiben im juristischen Zwielicht bewegt, insbesondere, wenn Geld mit im Spiel ist. So geschehen im Rechtsstreit von Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung gegen die Internetseite Perlentaucher.de. Letztere bietet eine tägliche Übersicht über die Feuilletons aus FAZ und SZ, sowie Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zeitung, Tageszeitung und Die Zeit. Erstere sehen ihre Urheberrechte verletzt und fordern Schadensersatz und Unterlassung. Doch warum das ganze?
Der Perlentaucher versteht sich selbst als »das führende und unabhängige Kultur- und Literaturmagazin im deutschsprachigen Internet«.1 Die Seite wurde 2000 von den Kulturjournalisten Anja Seeliger und Thierry Chervel in Zusammenarbeit mit Adam Cwientzek und Niclas Seeliger gegründet. Die Feuilletonschau ist nur eine ihrer Kategorien neben weiteren, die auch gänzlich eigene Artikel enthalten. Aus den Feuilletons werden nun aber neben kurzen Zusammenfassungen auch Abstracts und zitathafte Passagen der erwähnten Zeitungen angeboten.
Komprimierung ist KunstEben darin sehen FAZ und SZ ihre Urheberrechte verletzt, insbesondere, weil der Perlentaucher mit den Abstracts Geld verdient, indem er Lizenzen zur Weiterverbreitung u.a. an Amazon.de und Buecher.de verkauft. Anklage wurde bereits im November 2006 erhoben und – im gewohnt judikativen Tempo – im Dezember 2007 vom Landgericht Frankfurt am Main zurückgewiesen. Es handle sich bei den Abstracts von Perlentaucher prinzipiell um eine zulässige »öffentliche Beschreibung des Inhalts«, so heißt es in einer Pressemitteilung des OLG Frankfurt a.M. vom 11. Dezember 2007. »Gerade in der Komprimierung könne aber eine eigenständige schöpferische Leistung liegen. Dabei werde die Individualität umso größer sein, je weiter sich der Abstract vom Aufbau des Originalwerkes entferne«.2 Zwar müsse man berücksichtigen, in welchem Umfang (nahezu) wörtlich aus den Originalen übernommen werde, dies gelte aber nicht auf der Ebene »rein deskriptiver Begriffe«3 aufgrund mangelnden »Gestaltungsspielraums«4. Auch wenn mit dieser Art des Schreibens kommerzielle Ziele verfolgt würden, sei es dennoch eine legitime Form der Berichterstattung.
Der erneute Versuch beim BGH zielte wieder auf »Unterlassung, Auskunftserteilung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht«8, so die Pressemitteilung des BGH vom 1. Dezember 2010. »Nach Ansicht des BGH hat das Berufungsgericht bei seiner Prüfung, ob die von der Klägerin beanstandeten Abstracts diese Voraussetzung erfüllen, aber nicht die richtigen rechtlichen Maßstäbe angelegt und zudem nicht alle relevanten tatsächlichen Umstände berücksichtigt.«9 Bei einer erneuten Prüfung sei »es von besonderer Bedeutung, in welchem Ausmaß die Abstracts originelle Formulierungen der Originalrezensionen übernommen haben«. Zwar sei die Ausdrucksweise durch das Urheberrecht geschützt, aber nicht per se der Inhalt des Textes.10
Gleiches Spiel also wie vorher, nur dass noch ein bisschen genauer hingeguckt werden soll, vielleicht in der Hoffnung, nun doch eine unzulässige Passage zu finden, mit der man das Urheberrecht noch bemühen kann. Und seitdem hört man von der Sache nichts mehr.
Schuld des LesersWas also haben wir hier? FAZ und SZ scheint es zu missfallen, dass der Perlentaucher schneller war und eine zugängliche Übersicht bietet, die er kommerziell veräußert. Er profitiert von den Texten der Zeitungen ebenso wie von seiner Idee, diese zusammenzufassen und teils weiter zu verkaufen. Daran zeigt sich zum einen die Trägheit der Zeitungen bzw. ihrer Verlage, zum anderen die Trägheit der Leser. Der Vorwurf, die Perlentauchertexte lenkten von den Originaltexten ab, ist gleichermaßen ein Vorwurf an die Leser, die diese nicht als Leseanreiz verstehen, sondern sich auf der Kürze der Abstracts ausruhen und nicht mehr um die eigentlichen, dezidierteren Texte bemühen.
Hier wird Geld gemacht mit einer Leistung, die stark auf der Leistung anderer aufbaut. Ob das nun rechtens ist oder nicht, kann wohl tatsächlich nur an einzelnen Fällen festgemacht werden. Die Verwirrung scheint in der Sache zu liegen. Wenn man, wie in vielen der Fälle, Buchrezensionen zusammenfasst, hat man Texte über Texte über Texte; da mag es langsam aber sicher unübersichtlich werden. Klar ist allerdings immer, woher Perlentaucher seine Texte hat. Die Feuilletonrundschau ist ausdrücklich als solche gekennzeichnet und wer sie liest – davon ist auszugehen – weiß in aller Regel, worum es sich handelt. Ahängig von Zeit und Interesse kann man dann immer noch die Originale lesen. Ob diese lesenswert erscheinen oder nicht, mag nur zu einem Teil von den Abstracts abhängen, aber es sollte wohl auch nicht die Aufgabe sein, die Originale zu bewerben oder in irgendeiner Weise zu beurteilen. Dass dennoch teilweise kommentiert wird, ist nicht von der Hand zu weisen.
Ob sich Einzelfälle in den Archiven des Perlentauchers finden werden, die einen Verstoß gegen das Urheberrecht darstellen, bleibt abzuwarten, ebenso wie die daraus folgenden Konsequenzen. Schadensersatz wäre unspektakulär. Der Perlentaucher als Präzedenzfall hingegen schlüge sicher einige Wellen.
Lesen Sie auch den Bericht über die Diskussion zur Literaturvermittlung im Netz und das Interview mit Thierry Chervel.