Kathleen Collins’ Erzählungen versetzen ihre Leser*innen zurück in eine Zeit, in dem das selbsterklärte »Land of the Free« dem eigenen Anspruch beinahe gerecht zu werden versprach. 30 Jahre nach dem Tod ihrer Autorin erscheinen sie nun erstmals in deutscher Übersetzung.
Von Oke-Lukas Möller
Lediglich 46 Jahre alt ist die Autorin Kathleen Collins geworden – Ihre Erzählungen blieben während ihres kurzen Lebens, bis auf eine wenig beachtete Ausnahme, unveröffentlicht. Nach ihrem frühen Tod 1988 verstaute ihre Tochter Nina den Nachlass ihrer Mutter in einer Schiffstruhe, um sie erst viele Jahre später wieder zu öffnen: Sie barg einen wahren Schatz. Neben persönlichen Erinnerungsstücken fand Nina Collins mehrere Manuskripte abgeschlossener Erzählungen. Diese erscheinen nun erstmals in einer deutschen Übersetzung (Brigitte Jakobeit und Volker Oldenburg) unter dem Titel Nur Einmal im Züricher Kampa Verlag. Ausgangspunkt der Erzählungen ist häufig die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Einige wiederkehrende Themen halten die sechzehn Short Stories dabei zusammen. Sie ziehen sich wie rote Fäden durch die Texte und bilden so ein dichtes Netz aus Hoffnung, Optimismus, Liebe, Sex und tiefgreifender Desillusionierung im Angesicht des alltäglichen Rassismus der amerikanischen Gesellschaft.
Eine zentrale Kurzgeschichte des Bandes mit dem bezeichnenden Titel Was ist nur aus der Liebe zwischen den Rassen geworden? widmet sich dem Jahr 1963, das hier als Scheidejahr erscheint. Für kurze Zeit wirkt es so, als sei ein friedvolleres Zusammenleben in den USA möglich: »Weiße Söhne machten sich auf […], um ihren Vätern zu beweisen, dass es im Schmelztiegel noch einiges zu schmelzen gab«. Der Schmelztiegel steht hier für die Hoffnung, dass sich die Unterschiede zwischen den Ethnizitäten verflüssigen. Doch schon bald macht sich Enttäuschung breit, eine Verständigung scheint unmöglich. Die Zahl der gemischten Paare, die sich ganz selbstverständlich in der Öffentlichkeit bewegen, nimmt ab, »bis man schließlich kein einziges […] Händchen halten sieht (‚Black Power! Black Power! Black Power!‛)?« Die Konfliktparteien stehen sich immer unversöhnlicher gegenüber und der Traum platzt. Collins’ Hauptaugenmerk liegt auf den Auswirkungen dieser gesellschaftlichen Entwicklungen auf das Privatleben der Menschen.
Die Vision eines Lebens in FreiheitDie Protagonistinnen der Erzählungen weisen teilweise auffällige Gemeinsamkeiten auf: Sie alle haben einen afro-amerikanischen Hintergrund, lösen sich langsam von ihren konservativen Eltern und leben in den intellektuellen Peripherien New Yorker Universitäten, wo sie mit der Bürgerrechtsbewegung in Kontakt kommen. Als Gegenpol zum liberalen
Diese Darstellung lässt sich historisch erklären, denn bereits zwischen den Weltkriegen entschieden sich viele schwarze Intellektuelle und Kunstschaffende, den Südstaaten den Rücken zuzukehren, und gingen nach New York, wo schon bald eine florierende und progressive Kulturszene entstand, die heutzutage als Harlem Renaissance bezeichnet wird. Hier begann der Schmelztiegel langsam, die Grenzen zwischen weißer und schwarzer Kultur zu verflüssigen: Bluesmusik und der Charleston-Tanz begeisterten auch die weiße Jugend. Afro-amerikanische Kunstschaffende nutzten diesen Moment der Harmonie, um die Stereotype, mit denen sie konfrontiert waren, zu durchbrechen. So ebnete die Harlem Renaissance der Bürgerrechtsbewegung den Weg: Schwarze Autorinnen wie Zora Neale Hurston adressierten bereits Themen, die Kathleen Collins dann wenige Jahrzehnte später wieder aufgreifen wird.
Was Collins’ Protagonistinnen eint, ist der Wunsch nach einer Gesellschaft, in der die Hautfarbe eines Menschen unerheblich ist. In der Kurzgeschichte Nur Einmal findet Collins ein Bild für diese ideale Gesellschaft. Die Erzählerin beschreibt ihren Freund folgendermaßen: »Als könnte er über das Leben gebieten. Mit seinen lachenden Augen. Zu allem bereit. Und seinem goldenen Körper.« Was zählt, ist nicht die Farbe der Haut, sondern allein die individuelle Wirkung eines Menschen. Doch diese Utopie ist von kurzer Dauer. Hier zeigt sich, wie sich gesellschaftliche Miseren im Privatleben wiederholen. Die Protagonistin kränkt ihren Freund durch eine unachtsame Bemerkung und »seine goldene Haut [wird] schwarz«.
Die Folgen des RassismusDie Darstellung von Ethnizität als einer dynamischen und graduellen Eigenschaft zieht sich durch den gesamten Band. Einige Charaktere der afro-amerikanischen Community fühlen sich aufgrund ihres helleren Hautteints überlegen. Eine afro-amerikanische Frau wird von ihren Verwandten kritisch beäugt, weil sie sich ihre langen, geglätteten Haare abschneidet. Das zugrundeliegende Schönheitsideal ist eindeutig europäisch geprägt:
Sie spürte, wie ihre Haut dunkler wurde […]; ihre Haare fühlten sich nicht nur kurz an, sondern auch sagenhaft buschig. Jeden Augenblick […] würde [sie] zur Inkarnation seiner [ihres Vaters] schlimmsten Albträume werden
Die psychologischen Auswirkungen des Rassismus, wie diese Internalisierung rassistischer Wertvorstellungen, sind ein weiteres zentrales Thema: Mitunter kleine Ereignisse bringen Figuren, die mitten im Leben zu stehen scheinen, ins Straucheln. Es brechen verheilt geglaubte Traumata wieder auf, um die Charaktere in Depressionen zu stürzen.
Doch es gibt auch zahlreiche Lichtblicke. Viele der schwarzen Charaktere tummeln sich als intellektuelle Elite der Zukunft an Universitäten und verleihen den Erzählungen so einen vorsichtigen Optimismus. Zudem entwickeln die weiblichen Protagonistinnen im Austausch mit ihren Kommilitoninnen eine selbstbestimmte Sexualität und lernen, sich gegen selbstsüchtige Männer durchzusetzen. Einige der Figuren reden komplett unbefangen über ihr Lustempfinden: »So gestärkt, kam ich Sonntagsmorgen auf die Idee, mir zwischendurch einen kleinen Fick zu gönnen und zog munter durch den Botanischen Garten.« In einer anderen Erzählung wird der Liebesakt weniger flapsig aus einer dezidiert weiblichen Perspektive geschildert: »Ihr wird ganz leicht. Reines Glück. Von unten breitet sich feuchte Schläfrigkeit aus.« Diese Beispiele machen deutlich, wie konsequent Collins ihren Charakteren und Erzählungen eigene Sprachstile verleiht.
Schreiben wie FilmNeben den vielen berührenden Inhalten bereiten besonders Collins erfrischender Schreibstil und ihre originellen Schreibexperimente Freude. Die teils schweren Schicksale verpackt Collins leichtfüßig und mit beißendem Humor: »Ich bilde mir nichts darauf ein, aber ich war die erste Farbige, die er ernsthaft als Geliebte in Betracht zog«. Besonders die erste Erzählung Außen zeugt von einer bemerkenswerten Narrationsweise. Sie besteht ausschließlich aus Regieanweisungen eines Filmteams, das damit beschäftigt ist, eine zerbrechende Liebesbeziehung in Szene zu setzen und auszuleuchten. Das eigentliche Geschehen müssen Leser*innen dabei aus den Anweisungen rekonstruieren. Auch auf formeller Ebene arbeitet Collins hier mit Filmtechniken. Sie erzählt die Geschichte in harten Schnitten: Auf ein weichgezeichnetes Bild intimer und harmonischer Zweisamkeit folgt ein Jumpcut, der die Verliebten unvermittelt im Streit zeigt.
Diese Verknüpfung zum Film ist kein Zufall, Kathleen Collins arbeitete selbst als Filmemacherin und war Professorin für Drehbuchschreiben und Filmgeschichte. Wie das hilfreiche Nachwort von Verleger Daniel Kampa und Lektorin Cornelia Künne zeigt, zogen sich viele der roten Fäden ihrer Erzählungen auch durch ihr Privatleben: Sie verfolgte als Frau mit afro-amerikanischem Hintergrund eine universitäre Laufbahn, war alleinerziehende Mutter und litt an Depressionen. Man kann nur mutmaßen, dass sie letztere durch das Schreiben bekämpfte, wie es auch eine ihrer Protagonistinnen tut. Dafür kann sich ihre Nachwelt nun glücklich schätzen, Collins hinterlässt ein faszinierendes literarisches Vermächtnis. Es verwundert leider wenig, dass sie als Afro-Amerikanerin damals keinen Verlag fand, der ihre ausgezeichneten Erzählungen abdrucken wollte, doch zum Glück haben sich die Zeiten wenigstens in dieser Hinsicht geändert. Die Veröffentlichung von Nur Einmal verpuffte dieses Mal keinesfalls ungehört, sondern wurde in den großen Zeitungen der USA besprochen.