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Suchende Sonderlinge

Um Einsamkeit und Nähe, um die Flucht vor sich selbst und vor anderen, darum geht es unter anderem in Terézia Moras neuem Erzählungsband Die Liebe unter Aliens. Sie beeindruckt mit einer detaillierten Beobachtungsgabe und einer klaren Sprache und findet in den traurigsten Situationen noch Momente von Glück.

Von Lisa Kunze

Eine Art Erholung sei das Schreiben dieses neuen Erzählungsbandes für sie gewesen, ein Aufatmen zwischen den umfangreichen Bänden der Trilogie, an der Terézia Mora, die am 23. März den Preis der Literaturhäuser 2017 erhalten wird, zur Zeit noch arbeitet, der erste und der zweite Band sind bereits erschienen: Der einzige Mann auf dem Kontinent und Das Ungeheuer. Und nun, im vergangenen Herbst veröffentlicht, zehn Erzählungen unter dem Titel Die Liebe unter Aliens. In diesen zehn Texten versammelt Mora die sonderbarsten und doch gewöhnlichsten Figuren: eine Dozentin, die vor der Arbeit und sich selbst davonspaziert und ganz London zu Fuß durchquert; zwei Halbgeschwister, die sich heimlich treffen und zusammen in den Wald fahren; ein Japanisch-Dozent im Ruhestand, der sich in das Bild einer Göttin verliebt… Sie alle fliehen vor etwas, voreinander, vor sich selbst, und sind immer auf der Suche nach Nähe und Glück.

Der Außenseiter als Alien

Auf den ersten Blick mag der Titel Die Liebe unter Aliens etwas befremden, wirkt doch das Wort »Alien« fast selbst wie etwas Außerirdisches in Moras gewählter Sprache. Zur Erklärung: In der titelgebenden Erzählung sehen sich die zwei Protagonisten im Rausch gegenseitig als Aliens und verstecken sich voreinander, weil sie so schrecklich aussehen. Den Titel des Erzählungsbandes muss man nicht unbedingt unter der Konnotation von »Alien« als extraterrestrisches Wesen interpretieren, die ursprüngliche Bedeutung des englischen Wortes als »Fremder« oder »Außenseiter« ist womöglich passender. Denn tatsächlich sind die Figuren allesamt Einzelgänger, Käuze, Sonderlinge. Und die Liebe zwischen ihnen ist nicht einfach – sind sie zu zweit einmal glücklich, verschwindet der Partner einfach, wie es in der zweiten Erzählung (Die Liebe unter Aliens) der Fall ist. Viel leichter ist es dagegen, seine ganze Liebe dem eigenen Kind zu schenken, auch wenn die Beziehungen zu Gleichaltrigen zu Bruch gegangen sind. Liebe – das ist kompliziert. Und Freundschaft ebenso. Bei Mora freunden sich zwei Menschen meist nicht aus Sympathiegründen miteinander an, sondern weil sie bei der Einschulung zufällig in dieselbe Zweierreihe nebeneinander gestellt werden. Diese Freundschaften, die meist eher entfernte Bekanntschaften sind, halten dann jedoch ein Leben lang.
Mora schafft es, den LeserInnen diese Figuren auf eine intensive Art näher zu bringen. Dabei ist vor allem ihre Sprache ausschlaggebend: Ganz unauffällig springt sie zwischen verschiedenen Perspektiven hin und her, von der Ich-Erzählerin zur auktorialen Erzählerin zum Blick der anderen auf den Protagonisten. Fast meint man, die Figuren persönlich zu kennen. Das mag daran liegen, dass sich die Autorin oft sehr lange mit den Charakteren auseinandergesetzt hat. Mora sagte im Rahmen einer Lesung, dass sie beispielsweise die Figur des Marathonmanns (der Protagonist aus Fisch schwimmt, Vogel fliegt) bereits als Fünfzehnjährige skizziert und jetzt, nach dreißig Jahren, wieder aufgegriffen habe.
Auffällig sind auch Moras sehr detaillierte Beobachtungen, wie beispielsweise in der letzten Erzählung Das Geschenk: Während der Protagonist Masahiko Sato spazieren geht und lange stehen bleibt, um einen Baum zu betrachten, wird der Moment wie folgt geschildert:

Eine Lärche, die ihre goldenen Nadeln fallen lässt. Sie rieselten nicht gleichmäßig herunter, sie lösten sich in Schwärmen von den Ästen, ein Schwarm, dann eine Weile fast unmerkliches Rieseln, dann wieder ein Schwarm, dabei wehte überhaupt kein Wind.

Alltagsroutine als Zuhause

Ob die zehn Erzählungen für den Leser ebenso wie für Terézia Mora Entspannung bringen, wie eingangs zitiert, das ist eine andere Frage. Eher kann man eine leise Gesellschaftskritik darin finden. Sie wird nie explizit ausgesprochen, doch jede der Figuren hat ihre Schwierigkeiten damit, mit dem Leben und mit dem Sich-Einordnen in der Gesellschaft zurechtzukommen. Einige von ihnen tun »nichts Benennbares«, wie es in Fisch schwimmt, Vogel fliegt heißt. Sie arbeiten nicht oder täuschen nur vor zu arbeiten, wie beispielsweise Mario Amadeo in Die portugiesische Pension, der sich als Anwalt ausgibt, dabei seine Kanzlei aber immer untervermietet. Andere, die eine Arbeit haben, tun sich mit dieser überaus schwer, verschlafen Aufträge oder verweigern sich Beförderungen; wieder andere brechen eine Ausbildung nach der anderen ab.

Buch


Terézia Mora
Die Liebe unter Aliens
Luchterhand Literaturverlag 2016
272 Seiten, 22,00 €

 
 

Zuflucht oder sogar ein »Zuhause« finden Moras Figuren in Routinen. An ihnen kann man sich von Tag zu Tag hangeln. Wenn die Routinen unerwartet durchbrochen werden, kommen sie ins Straucheln. Das kann nicht frei von Komik bleiben: So scheint es dem Protagonisten von Fisch schwimmt, Vogel fliegt schlimmer, dass er durch die Verfolgung des Taschendiebs, der ihm Schlüssel und Geldbeutel gestohlen hat, abgelenkt wird und noch nicht beim Einkaufen war und sein Mittagessen zu sich genommen hat, als die Tatsache, dass der Dieb in Besitz seines Personalausweises und Türschlüssels leicht in seine Wohnung einbrechen könnte – ja, er denkt nicht einmal daran:

Der Junge hat ihm den normalen Tagesablauf geklaut, Marathonmann kann nicht weiter einkaufen und dann nach Hause gehen, das ist es, was er nicht akzeptieren kann.

Komische Momente sind auch in Moras Beobachtungen versteckt, beispielsweise wenn sie zwei Figuren beschreibt, der eine mit einem demolierten Fahrrad, die andere mit einem kaputten Rollkoffer: »Zwei mit zwei humpelnden Geräten gehen durch die Nacht.« Oder wenn dem Marathonmann bei seiner Verfolgungsjagd ein glühender Zigarettenstummel vor die Füße rollt und er bedauert, dass er daneben tritt: »Was für eine Effektivität wäre das! Im Verfolgen noch eine brennende Kippe austreten.«

Momente des Glücks

Angesichts der einsamen Figuren, die sich nur mithilfe von Routinen durch ihr Leben kämpfen können, könnte wohl der Eindruck entstehen, es handle sich um trostlose, depressive Erzählungen, die man in dieser Jahreszeit am besten meidet. Dem ist aber nicht so. Selbst in den ausweglosesten Situationen gibt es bei Terézia Mora noch Momente der Euphorie (auch wenn sie manchmal an einer Hand abzählbar sind, wie in Selbstbildnis mit Geschirrtuch) oder sogar Momente des Glücks. So genießt Ella Lamb es, »[…] die Bewegungen des Glücks spüren zu können, wie sie die Oberfläche der Tage kräuseln. Sich hineingleiten lassen, wie in lauwarmes Wasser.« Die Erzählungen sind also durchaus nicht hoffnungslos, was auch dadurch deutlich wird, dass das Buch mit einem solchen Moment endet, also nicht Verzweiflung oder Einsamkeit, sondern das Glück am Ende das letzte Wort hat:

Lass uns einfach nur hier sitzen, so nahe, wie wir uns noch nie gekommen sind, deine Schulter, die beinahe meine Schulter berührt. Lass uns noch für eine Weile in diesem Glück verharren.

Besonders wird dieses Buch durch seine Details, die genauen Beobachtungen und die fast liebevollen Beschreibungen der Versagertypen und Nebenfiguren. In jeder Erzählung leuchten Nuancen auf, die die Komik des Alltags beweisen. Offensichtlich wird das aber nur, wenn man ebenso wie Terézia Mora genauer hinsieht – und vielleicht werden die LeserInnen nach der Lektüre ihrer Erzählungen ja tatsächlich aufmerksamer für solche Details.



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 Veröffentlicht am 3. Februar 2017
 Kategorie: Belletristik
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