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Wenn die Meute Zähne zeigt

In Manja Präkels᾽ Roman Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß geht es weniger um Kirschen als um Schnaps. Und noch mehr geht es um die Kapitulation vor rechtsextremem Terror und die Kündigung des Konsenses, einander nicht aufzufressen.

Von Stefan Walfort

Eine Figur zu erfinden, die sich als Kosename »Hitler« aussucht, wirkt auf den ersten Blick plump. Führt man sich aber vor Augen, dass sich unter Rechtsextremen zum Beispiel T-Shirts großer Beliebtheit erfreuen, auf denen im Run DMC-Style die Buchstabenkombination HTLR prangt, so mutet Präkels᾽ Idee schon weniger abwegig an. Ob Wehrmachtssoldaten oder Panzer, Logos von SS-Divisionen oder als Pärchen-Aufdruck Adolf für den Herrn, Eva für die Dame – nichts ist der Szene zu eindeutig, nichts zu primitiv; Hauptsache, die gesamte Umwelt kapiert sofort: Mit uns ist nicht gut Kirschen essen.

Oliver findet diese Klientel faszinierend. Schon zu DDR-Zeiten leuchtete ihm der Hass seines Großvaters auf die »roten Schweine« mehr ein als die Propaganda der SED. Und nun, in der Nachwendezeit der 90er Jahre, wo sich in dem brandenburgischen Provinzkaff Havelstadt, in dem die Romanhandlung vorwiegend spielt, Tristesse, Desorientierung, Alkoholismus und Wut ausbreiten, sieht er seine Stunde gekommen. Ein paar Anschläge auf Andersaussehende, ein paar Tierquälereien – so viel genügt, um als harter Hund zu gelten. Sämtliche Baseballknüppel schwingenden, Messer zückenden und schießwütigen Horden, von denen es in Havelstadt neuerdings wimmelt, gehorchen bald schon Olivers Befehlen. Aus einem Außenseiter wird ein vielgeachteter Zecken-Verdrescher, aus Oliver wird »Hitler«.

Roman


Manja Präkels
Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß
Verbrecher Verlag: Berlin 2017
232 Seiten, 20,00€

 
 

Mit dem Rücken zur Wand

Bevor die Mauer fiel, traf er sich regelmäßig mit der Ich-Erzählerin Mimi zum Angeln. Bei Nachbarschaftsfesten stibitzten sie manchmal heimlich Schnapskirschen von den Buffets der Erwachsenen. Mit Elias Canetti betrachtet waren die beiden trotz in vielerlei Hinsicht auseinanderdriftender Ansichten auf dem besten Weg, miteinander auszukommen. Denn wie Canetti in Masse und Macht (Frankfurt a.M. 2014, Erstveröffentlichung 1960) erörtert, wirkt gemeinsames Essen zivilisierend. Menschen signalisierten sich dabei die Bereitschaft,

dass sie einander nicht essen werden. Zwar besteht die Gewähr dafür unter Menschen, die in einer Gruppe zusammenleben, immer. Doch erst im Augenblick des Essens drückt sie sich überzeugend aus. Man sitzt beisammen, man entblößt seine Zähne, man ißt, und sogar in diesem kritischen Augenblick überkommt einen kein Appetit auf den anderen. Man achtet sich dafür, und man achtet auch den anderen für seine Zurückhaltung, die der eigenen ebenbürtig ist.

Mit seinem Aufstieg zum Neonazi-Rädelsführer kündigt Oliver solcherlei Konsens einseitig auf.

Da sich Mimi auf der anderen Seite der Barrikade, bei Gothics, Punks und Hippies, heimisch fühlt, will er nichts mehr von ihr wissen. Lieber sprengt seine Meute die Partys, auf denen sie verkehrt. Ob ihr dabei etwas zustößt, ist ihm egal. Viel spaßiger als das Angeln oder das Schnapskirschenschnabulieren von einst ist es nun, mit »Volksgenossen« gemeinsam zum Horst Wessel-Lied den Arm zu heben und im Anschluss schön viel Blut zu vergießen. Dass die Zivilgesellschaft nicht einschreitet, lieber »verprügelte Obdachlose, Mosambikaner und Punker mit Häme« übergießt, obendrein die Opfer zu Schuldigen verklärt, erleben »Hitler« und dessen Gefolgschaft offenbar als Ermunterung zu weiteren Taten. Konsequenzen? Fehlanzeige! Totschweigen, Kleinreden oder Negieren des Terrors sind die bevorzugten Strategien sowohl der Bürger als auch der staatlichen Institutionen.

Um sich nicht länger von den Konsequenzen ihrer Verdrängungsversuche behelligt fühlen zu müssen, besorgen »sich die Leute modernere Rollläden […], die Straßenlicht und Lärm von ihren Wohnzimmern« abhalten. Aus den Augen, aus dem Sinn – so lautet für die meisten auch dann noch das Motto, als längst Brandsätze gegen Wohnungen fliegen. Es betrifft ja nicht die eigenen vier Wände, nur die der ohnehin allen verhassten Vertragsarbeiter. Selbst als ein junger Mann aus Mimis Umfeld nach einem Angriff für immer liegenbleibt, lassen Polizei und Justiz noch Milde walten. Alle Opfer fühlen sich machtlos. Wer gewillt ist, dem Mob etwas entgegenzusetzen, steht mit dem Rücken zur Wand.

Aus Frust lassen Mimi und Co. an einem der wenigen sicheren Rückzugsorte beinahe täglich Joints und Schnapsflaschen kreisen. Sie besaufen sich. Sie lähmen sich. Sie rauben sich die letzten Kraftreserven. Dass die Nazigegner sich selbst ins Schachmatt bugsieren und damit der Elterngeneration auf deren Rückzug in die Resignation immer mehr ähneln, macht die eigentliche Tragik des Romans aus.

Blinde Flecken

Präkels hat viele authentische Erlebnisse ihrer Kindheit im brandenburgischen Zehdenick einfließen lassen. Dazu gehören erste – ernüchternde – Erfahrungen im Lokaljournalismus: Als FDJlerin soll Mimi im Anschluss an den 40. Geburtstag der DDR für die Märkische Volksstimme von pompösen Paraden berichten, doch »bis auf einen Satz« tauscht die Chefredakteurin Mimis Artikel durch einen eigenen aus. Jahre später, die DDR ist längst Geschichte, bewirbt sich Mimi erfolgreich bei einer Zeitung für einen Ferienjob. Dort schickt man sie hauptsächlich los, um »Hundezüchter, Aussteller von Rassekaninchen und Fußballtrainer der dritten Kreisliga zu interviewen«. Ihr Anliegen, über die rechtsextreme Szene zu berichten, erscheint ihren Vorgesetzten indessen zu heikel. Oliver, den Präkels einer realen Person nachempfunden hat, genießt also weiterhin als »Hitler« Narrenfreiheit.

»Da können wir nichts machen«, lautet die Antwort der Polizei, als Mimis Freunde einer nach dem anderen krankenhausreif geprügelt werden und sie sich selbst zunehmend von Schlägerbanden verfolgt fühlt. Aus der Retrospektive erzählend übt sich Mimi gleichsam in Distanz zu ihren Kindheitserlebnissen in der DDR wie zu ihrer Jugend unter dem Einbruch einer alles durchdringenden Verwertungslogik, mit der die meisten Bewohner*innen des Dorfes damals ausschließlich destruktiv umzugehen vermochten. Offenbar gelingt es Mimi erst jetzt, im Nachhinein, die damaligen Zerwürfnisse zu sortieren. Zwar dominiert ein sehr sachlicher Erzählstil. Doch da Präkels ihn durch viele Dialoge zwischen Mimi, ihrer Familie und ihren Freunden ergänzt, wird offensichtlich, wie dringend die Erwachsenen, allen voran die Profis von Polizei und Presse, potenziellen und tatsächlichen Opfern den Rücken hätten stärken müssen.

Sammelband


Manja Präkels, Markus Liske (Hg.)
Vorsicht Volk! Oder: Bewegungen im Wahn
Verbrecher Verlag: Berlin 2015
192 Seiten, 18,00€

 
 
Vieles spricht dafür, dass Mimis bzw. Präkels᾽ Erfahrungen heutzutage alles andere als überholt sind. Zwar drängt sich das Problem des rechtsextremen Terrors in den sogenannten neuen Bundesländern wiederholt mit einer besonderen Drastik in den Vordergrund. Und Verbitterung über die Arroganz, mit der Geschäftemacher aus dem Westen in den 90er Jahren über die Infrastruktur der ehemaligen DDR hergefallen waren, mag dort tatsächlich als Brandbeschleuniger wirken, wie Präkels᾽ Roman durchgehend nahelegt. Dennoch wäre es fahrlässig, Versäumnisse im Umgang mit rechtsextremem Terror nur in Ostdeutschland zu sehen und die vielen blinden Flecken in manchen Gegenden West- und Mitteldeutschlands aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Auch hier gehören aus rassistischen Gründen oder aus anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit motivierte Überfälle zum Alltag. Auch hier können sich fest verankerte und optimal vernetzte Neonazi-Gruppen teils ungehemmt austoben.

Präkels selbst ruft in vielen Publikationen, für die Jungle World oder den Verbrecher Verlag, eine Ubiquität solcher Missstände ins Bewusstsein. In einem Beitrag des von ihr mit herausgegebenen Sammelbands Vorsicht Volk! Oder: Bewegungen im Wahn hält sie unter dem Titel Die Eingeborenen folgerichtig fest:

Entlegene Landstriche bieten perfekte Bedingungen für die Hüter deutscher Tugenden, Frauen und Männer, die ihre Kinder mit Esoterik und Rassismus zu Volksdeutschen erziehen. Das gilt in Mecklenburg wie in Bayern […] In den Vorgärten der Reihenhäuser im Rhein-Main-Gebiet, wo die Fassade der Bürgerlichkeit vieles zu kaschieren vermag, argumentieren erhitzte Gemüter aus denselben Gründen gegen ›Flüchtlingsströme‹ wie in Frankfurt an der Oder.

Die drohende Hegemonie

Als ursächlich für eine besorgniserregende Normalität rechten Denkens sieht Präkels in demselben Beitrag neben vielen Faktoren einen Mangel an Verfolgungseifer selbst bei schwersten Straftaten, wie er spätestens im Kontext des NSU-Prozesses augenfällig geworden sei:

Maßgebliche Kräfte in Politik, Exekutivapparat und Justiz haben die Grenze zwischen rassistischem Terror und der sogenannten Mitte vor aller Augen und Ohren durchlässig gemacht. Sie haben rechtsextreme Strukturen mit aufgebaut, finanziert, gedeckt und verharmlost. Die Auswirkungen dessen lassen sich im ganzen Land bestaunen.

Anhand einer unvollständigen Liste bundesweit begangener Gewalttaten lässt sich ein solcher Eindruck erhärten: Andrea Röpkes Jahrbücher rechte Gewalt dokumentieren allein für das Bundesland Brandenburg in einem Zeitraum von zwei Jahren, vom Oktober 2015 bis zum September 2017, 221 rechte Gewalttaten. Ferner weisen sie auf Angaben von Opferverbänden hin, gemäß derer »192 durch Rechte getötete Menschen seit 1990« zu beklagen sind. Und immer wieder knüpfen Röpke und ihre Mitarbeiter*innen einen Konnex zwischen den Taten und Tendenzen aufseiten der zuständigen Institutionen, die Ausmaße der Gefahren auf die leichte Schulter zu nehmen.

Überall dort, wo es keinen nennenswerten Widerstand gibt, gelingt es den braunen Meuten zu expandieren, bis das Gros der Bürger sie irgendwann für eine ganz gewöhnliche Erscheinung hält. Wiederum durch Canettis Brille gesehen lässt sich ein emphatisch verfolgter Expansionswunsch generell als Hauptcharakteristikum erkennen, das für Meuten konstitutiv ist. Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß führt facettenreich vor Augen, was für ein mörderischer Dauerzustand droht, wenn Expansionswünsche Rechtsextremer wahrwerden, es ihnen gelingt, eine Hegemonie ihrer verbrecherischen Weltsicht zu etablieren. Zwar bekam Präkels für den Roman 2018 den Deutschen Jugendliteraturpreis verliehen. Er sei aber auch allen Erwachsenen ans Herz gelegt.

Damit nicht in naher oder ferner Zukunft bundesweit Zustände wie in Mimis Havelstadt als normal gelten, müsste allen demokratisch gesinnten Kräften – deutlich konsequenter als es der Fall ist – daran gelegen sein, den Rechtsextremismus zu isolieren. Zu spät ist es dafür in vielen Städten noch nicht. Zu Zeiten, in denen gewaltbereite Meuten aber vermehrt nach Machtgewinn streben, kann der Blick in Canettis Masse und Macht hoffnungsvoll stimmen. Dort heißt es:

Die Dichte innerhalb der Meute hat immer etwas Vorgetäuschtes: Sie drücken sich vielleicht eng zusammen und spielen in überlieferten, rhythmischen Bewegungen das Vielesein. Aber sie sind es nicht, sie sind wenige.

Wenn alle Zuständigen ihren Möglichkeiten entsprechend eingreifen, könnte das so bleiben.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 15. Dezember 2018
 Kategorie: Belletristik
 »Kirschen« von Efraimstochter via pixabay CC0
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