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Weniger »politische Schlagseite« habe das neue Programm des Literarischen Zentrums von September 2017 bis Februar 2018, so Zentrumsleiterin Anja Johannsen. Die auf der Pressekonferenz anwesende Litlog-Redaktion bestätigt: In der kommenden Saison potpourriert es.

Von Dorothee Emsel

Zu Beginn der Pressekonferenz wird Anja Johannsen nostalgisch und erinnert sich an ihre erste Zentrumsveranstaltung zurück, die noch der damalige Programmeiter Hauke Hückstädt geplant hatte. Gast war damals Eliot Weinberger. Auch zur diesjährigen Auftaktveranstaltung ist der »Zauberer« geladen und präsentiert seine Essaysammlung Vogelgeister. Mit ihm auf dem Podium sitzt ein Weinberger-Fan: Der Jungautor Clemens J. Setz. Setz flankiert das Urgestein mit eigenen Essays und beide stellen sich Diskussionen über das Fabelhafte und die Gattung der Kurzprosa. Am 13. September im Literarischen Zentrum.

Arundhati Roy hat nicht etwa in den 18 Jahren zwischen zwei Romanen (wir erinnern uns an den Gott der kleinen Dinge, veröffentlicht 1999) Pause gemacht, nein, die Verfechterin der Brandrede als politisches Mittel ging in der Zwischenzeit weiter auf die Barrikaden, verfasste Sachbücher und Essays, drehte Reportagen, hielt am globalisierungskritischen Aktivismus fest. Nun endlich ist ihr neuer Roman erschienen: Das Ministerium des äußersten Glücks verspricht ein feinsinnig konstruiertes und sachkundig beobachtetes Mosaik der Unterdrückten, Ausgestoßenen und Minderheiten im heutigen Indien zu sein. Am 16. September spricht Arundhati Roy in der Aula am Wilhelmsplatz über ihren neuen Roman.

Der norwegische Autor Karl Ove Knausgård autofiktionalisierte seine Ex-Frau Linda Boström Knausgård und ihre gemeinsame Beziehung schonungslos in seinen Romanzyklus Min kamp (dt. Mein Kampf)1 hinein, nun schreibt die als bipolar entlarvte Linda selbst. Im Gegensatz zu ihrem Ex-Mann kann Boström Knausgård sich kurzhalten. Das dichte wie lyrische Kammerspiel Willkommen in Amerika schildert den Ausbruch der Stille um die elfjährige Ellen, die nach dem Tod ihres Vaters das Sprechen verweigert, auf lediglich knapp 150 Seiten. Ihren Text stellt sie am 24. September im Literarischen Zentrum vor. Richard Kämmerlings, der Karl Ove Knausgård 2015 den WELT-Literaturpreis überreichte, ist als Moderator ebenfalls zugegen.

»Astu non vi« (dt. »Mit List, nicht mit Kraft«) liest man auf der Homepage vom »Verlag Das Kulturelle Gedächtnis«. Diese Programmatik findet sich in bewusst gesetzter Vielfalt der verlegten Titel wieder. Thomas Böhm, Peter Graf, Carsten Pfeiffer und Tobias Roth gründeten den Verlag in diesem Jahr in Berlin, um in die Jahre gekommene Weltliteratur mit Gegenwartsbezug ins Hier und Jetzt zu holen. Böhm und Graf präsentieren in der Reihe »neu_übersetzt« des Literarischen Zentrums ihr Konzept sowie den 1852 anonym veröffentlichten und 2017 endlich von ihrem Haus übersetzten Roman Das abenteuerliche Leben des Jack Engle von Walt Whitman. Am 5. Oktober im Literarischen Zentrum.

Wilbert L. Olinde wollte nur kurz in Deutschland bleiben, daraus wurde dann aber doch ein ganzes Leben. Der in New Orleans geborene Basketballspieler setzte sich ab 1977 als Mannschaftskapitän beim ASC Göttingen (damals noch SSC) durch, wohin es ihn durch die Initiative des ehemaligen UCLA-Spielers Terry Schofield verschlug. Und siehe da: Dreimal Deutscher Meister und zweimal Deutscher Pokalsieger wurde er. Parallel dazu studierte Olinde auch noch Betriebswirtschaftslehre an der Universität Göttingen, wurde Diplom-Kaufmann – was ja schon ohne freizeitfüllende Sportaktivitäten nicht immer zu wuppen ist. Am 16. November stellt Olinde im Literarischen Zentrum zusammen mit seinem Biographen Christoph Ribbat das eigene Leben in Buchform vor: Deutschland für eine Saison. Auf der Pressekonferenz wird man sich übrigens schnell einig: Die damalige Presse-Bezeichnung »Die schwarze Perle«, mit der der Sportler betitelt wurde, benutzen wir bitteschön nicht mehr. Und urcool muss er sein, der Olinde, denn einer der Konferenz-Teilnehmer weiß zu berichten, wie er einst nahe Göttingen auf einer Autobahn im Stau stand: Aus einem langsam auf der Nebenspur vorbeifahrenden PKW johlte jemand: Es war Olinde, der zu Herbert Grönemeyers Kassenschlager der Abstinenz laut den Refrain »Alkohooool« mitgrölte.

»Es böllt gewaltig«, sagt Gesa Husemann, u.a. stellvertretende Leiterin des Zentrums. Und wer sich auch schon durch das Programm des Göttinger Literaturherbstes gegraben hat, weiß dies in Anbetracht der kulturellen Beiträge mit Böll-Bezug in diesem Jahr zu bestätigen. Jonas Lüscher, für den Deutschen Buchpreis 2017 nominierter Autor, und Felicitas Hoppe, Trägerin u.a. des Georg-Büchner-Preises und des Erich-Kästner-Preises für Literatur, diskutieren zusammen mit Gerhard Kaiser, Literaturwissenschaftler der Georg-August-Universität und Anne Bonfert, Stiftungsrätin der Heinrich-Böll-Stiftung Niedersachsen, am 7. Dezember im Alten Rathaus über die Notwendigkeit (oder vielleicht auch Nicht-Notwendigkeit) der Rückbesinnung auf die Grauen Eminenzen im literarischen Diskurs.
Daran knüpft auch die wenige Stunden zuvor stattfindende Veranstaltung »Hast du deinen Böll gefunden?« im Rahmen des »Literatur macht Schule«-Programms an. Der Titel bezieht sich auf das zu Bölls 100. Geburtstag u.a. von der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegebene Lesebuch Hast du schon deinen Böll gefunden? SchülerInnen dürfen darüber in Diskussion mit Felicitas Hoppe und Silke Inselmann von der Heinrich-Böll-Stiftung Hannover treten. Dass sich zurzeit vornehmlich Jungspunde wie Jenny Erpenbeck auf den Literaturlisten der Abi-Jahrgänge räkeln, macht die Förderung dieses Diskurses umso relevanter.

Dass Deutschrap sich noch nicht ganz wohl darin fühlt, im Feuilleton angekommen zu sein, merkte Gesa Husemann an. Einladungen aus der institutionalisierten Kulturvermittlung, hier in Form des Literaturhauses, begegneten KünstlerInnen noch immer überwiegend mit skeptischen Absagen. Keine Angst vorm arts clash haben Sookee und Ebow, die eine rappt in Berlin, die andere in München. Beide klettern mit sozialkritischen Texten heraus aus der Arena der männlich dominierten Welt des Sprechgesangs und schmeißen uns am 10. Dezember im Literarischen Zentrum feinsten FemRap um die Ohren.

In der Reihe »Liederabend« wird das bislang vorherrschende Untersuchungsobjekt Musiker-männlich-weiß erweitert durch das Gesamt-Komitee der Pop-AngehörigInnen: Es neofolkt, es queert, da ruppelt der Techno, hier raschelt Rammstein. All das zusammengefasst in Jens Balzers Pop. Ein Panorama der Gegenwart. Der Autor und Journalist bespricht mit Gerhard Kaiser sein Kompendium des pop-historischen Äthers. Am 23. Januar 2018 im Literarischen Zentrum.

Ob Maxim Biller, der Herr, der androhte, er wolle Thomas Mann zerstören, zur diesjährigen Lichtenberg-Poetikvorlesung mit eben so viel Chuzpe von der Kanzel sprechen wird, wie er es häufig während seiner Regentschaft des Temperaments im »Literarischen Quartett« getan hat, bleibt abzuwarten. Das Geistreiche an den Poetikvorlesungen ist ja, dass niemand weiß, mit welchem Text die Geladenen auf´s Podest steigen, man kann also wirklich noch nichts absehen. Dass Herr Biller zugesagt hat, lässt aber annehmen, dass er vielleicht aus der Rolle des »Unzumutbaren«2 heraustritt; und selbst wenn nicht – wir können das ab. Ein großer Zugewinn zur diesjährigen Gästeliste des Literarischen Zentrums ist der zementharte Analyst so oder so. Am 31. Januar und 1. Februar 2018 in der Aula am Wilhelmsplatz.

Die Redaktion freut sich über das hier aufgeführte Prominenten-Tuttifrutti des Zentrums; dem glamourösen Kontrastprogramm sei Dank müssen wir nämlich in der dunklen Jahreszeit nicht auf die besinnliche wie obligatorische Weihnachts-Filmreihe Stirb langsam Teil 1-38 zurückgreifen.

Online ist das Programm in all seiner Vielfältigkeit ab sofort einzusehen.

  1. Anm. d. Red.: Herr Knausgård weiß wohl um die kritische Tendenz des Titels, aus diesem Grund setzte er sich, gerade in Verbindung mit einer Lesereise in Deutschland, mit der Autobiographie Hitlers auseinander und diese dann in Bezug zu seinem Titel. https://www.rbb24.de/kultur/beitrag/2017/05/karl-ove-knausgard-kaempfen-deutschlandpremiere-berlin.html
  2. ZEIT-Magazin Nr. 10/2017


Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 28. August 2017
 Bild: Dorothee Emsel
o.R.; v.l.n.r.: Gesa Husemann, Anja Johannsen u.R.; v.l.n.r.: Mara Becker, Anika Tasche, Freya Morisse, Tanita Kraaz
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