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Beruf: Online-Journalist

Wer bereits als Baby sein erstes Buch in tausend Stücke zerreißt, ist zum Literaturkritiker geboren. So erging es zumindest Fridtjof Küchemann. Das Buch Maxi das Mäuschen wurde sein erstes Opfer. Seitdem haben sich dem Kinderbuch noch viele literarische Werke zugesellt, denn der Online-Journalist ist mit kurzer Unterbrechung seit nunmehr elf Jahren bei der FAZ.NET-Redaktion tätig. Sein Zuständigkeitsbereich dort reicht von Literatur bis zu Musik, zusätzlich arbeitet er als freier Journalist. Im Literarischen Zentrum Göttingen sprach Fridtjof Küchemann jetzt im Rahmen des Bildungsprogramms »Literatur macht Schule« über den »Beruf Online-Journalist«. Im Interview verrät er, wie man eigentlich zum Online-Journalisten wird, wie sein typischer Arbeitsalltag aussieht und wie finster er die Zukunft der gedruckten Zeitung sieht.

Von Verena Zimmermann und Katrin Wellnitz

Verena Zimmermann/Katrin Wellnitz: Herr Küchemann, wie sind Sie zum Online-Journalismus gekommen?

Fridtjof Küchemann: Ich habe nach dem Studium Pressearbeit für ein Festival zeitgenössischer Kunst in Graz gemacht. Dort gab es eine Ausstellung, die sich mit Netzkunst beschäftigt hat und durch Vernetzung zeitgleich in Graz, Karlsruhe und Tokio stattfinden konnte. Für mich war das so ein Moment, an dem ich angefangen habe, mich mehr für das Netz und seine Bedingungen zu interessieren. Dadurch kam meine Neugier für dieses Medium zum allgemeinen Interesse am Journalismus hinzu. Daher kannte ich dann später keine Berührungsängste, mich auf die Stellenausschreibung bei FAZ.NET zu melden. Ich fand es einfach reizvoll, nicht nur mit in sich abgeschlossenen Beiträgen zu arbeiten wie im Print, sondern Dinge zu bauen, die aus ganz unterschiedlichen visuellen, akustischen, textlichen und interaktiven Bausteinen bestehen. Ich muss sagen, ich bin froh, dass ich an dieser Ecke des Journalismus arbeite.

V.Z./K.W.: Wie sieht es denn mit der anderen Ecke des Journalismus aus? Was unterscheidet Online- vom Print-Journalismus?

F.K.: Ach, das sind tausend Dinge: Auf der medialen Ebene haben wir halt nicht nur Text als Möglichkeit, sondern wir haben auch Bewegtbilder, Animationen, etc. als weitere Möglichkeiten. Außerdem haben wir nicht nur den einzelnen Beitrag, sondern tragen unser Archiv quasi immer gleich mit uns herum. Wir haben darüber hinaus die Gelegenheit, den einzelnen Beitrag, wenn er dann mal online steht, immer noch weiter zu bearbeiten – anders als etwas, das einmal gedruckt oder gesendet wurde. Auf der Ebene der Arbeitsabläufe sind wir natürlich viel freier, da wir keinen Druckschluss haben, wie Zeitungen und Zeitschriften, sondern können publizieren, wann immer es uns ratsam erscheint. Aber dadurch sind wir im Umgang mit Nachrichten auch einem ganz anderen Druck ausgesetzt, dann auch besonders schnell zu sein. Auf der Ebene der Leserbindung gibt es ebenfalls Unterschiede: Beim Print-Journalismus ist es ja in der Regel so, dass man sich entschließt, eine Zeitung zu kaufen und sie dann zu lesen. Die Entscheidung für dieses Medium ist also in der Regel gefallen, bevor man die einzelnen Artikel kennt. Bei uns im Online-Journalismus konkurrieren durch die Suchmaschinen und die Nachrichtenübersichts-Seiten hingegen einzelne Artikel mit den Artikeln anderer journalistischer Anbieter und – gerade im Literatur-Journalismus – auch mit den Websites der Autoren, den Angeboten der Verlage, mit Bloggern und auch mit Amazon.

V.Z./K.W.: Und würden Sie diese Konkurrenzsituation eher positiv oder eher negativ sehen?

F.K.: Ich sehe sie sportlich. Ich halte Konkurrenz für etwas, das jeden einzelnen Akteur in diesem Feld dazu anhält, sich seiner Position bewusst zu sein und an seinen Stärken zu arbeiten. Die journalistischen Stärken muss man im Internet natürlich, wie gesagt, gegen die Stärken etwa der Autoren, die mit besonderer Authentizität von ihren Büchern sprechen können, oder gegen die Verlage, die durch ihr wirtschaftliches Interesse natürlich ein ganz anderes Budget zur Verfügung stehen haben, behaupten. Unsere Stärke ist hingegen Unabhängigkeit: Wir haben kein Interesse daran, ein Buch besser oder schlechter zu machen, als wir es finden, und wir sind niemandem verpflichtet, als unserem Leser. Und das ist etwas, was die Leser unserer Seite zu schätzen wissen.

V.Z./K.W.: Sie haben gerade das Stichwort »schätzen« angesprochen. Wie sieht es denn mit der Wertschätzung der Online-Angebote der deutschen Zeitungen in der Öffentlichkeit aus?

F.K.: Wenn man vergleicht, in welcher Frequenz z.B. Online-Medien oder gedruckte Medien in anderen Medien zitiert werden, dann ist es sicherlich so, dass gedruckte Medien immer noch eine größere Aufmerksamkeit hinsichtlich der Wertschätzung erfahren. Ein Artikel, der in der FAZ steht, wird stärker beachtet als derselbe Artikel, wenn er ausschließlich im Internet steht. Es ist eben ein junges Medium, das sich noch in der Etablierungsphase befindet.

V.Z./K.W.: Online-Angebote werden also immer noch »abgewertet«. Aber gibt es denn überhaupt einen messbaren Qualitätsunterschied zwischen Online- und Print-Journalismus?

F.K.: Ja und Nein. Ja, er besteht natürlich dadurch, dass Redaktionsabläufe in Online-Redaktionen in der Regel schmaler geführt sind als in der Zeitung. Das heißt, in der Zeitungsredaktion gucken normalerweise mindestens drei Leute auf einen Text, bevor er gedruckt wird. Unter dem Zeitdruck und Arbeitsaufkommen einer Online-Redaktion kommt es durchaus vor, dass nur einer – nämlich derjenige, der den Text auf die Seite stellt – sich den Text angeschaut hat. Und andererseits: Nein, die Qualitätsunterschiede zwischen Print und Online sind nicht so groß, wie sie zwischen Online und Online sein können oder zwischen Print und Print: Es gibt natürlich auch Zeitungen, die ich kaum zu lesen ertrage, weil sie z.B. voller Phrasen und Fehler stecken. Es gibt ja eine enorme Bandbreite zwischen überregionalem Qualitätsjournalismus und einem kleinen Anzeigenblättchen. Umgekehrt gibt es auch im Internet sehr zweifelhafte Dinge, die sich Journalismus nennen, und andererseits auch Dinge, die einen hohen Anspruch erfüllen.

V.Z./K.W.: Sie haben gerade schon gesagt, dass zwischen Online und Online große Qualitätsunterschiede bestehen können. Was unterscheidet die FAZ-Seite denn von anderen Online-Journalismus Angeboten?

F.K.: Wir sind in der glücklichen Lage, mit der Zeitung sehr eng zu kooperieren, d.h. unter anderem auf ein weltweites Netz von Korrespondenten und ein redaktionelles Netz von Experten zu verschiedenen Themen, auf freie Journalisten und andere interessante Menschen, die der Zeitung verbunden sind, zurückgreifen zu können. Das heißt, dass wir auch davon profitieren, wie gut die Zeitung selbst aufgestellt ist. Ein anderer sehr angenehmer Zustand, unter dem wir arbeiten, ist, dass wir nicht angehalten sind, die Themen, mit denen wir uns befassen, zu skandalisieren. Wir müssen beispielsweise keinen reißerischen Journalismus betreiben und jeder Eilmeldung hinterherjachten, denn das kann schnell zu Konfusionen führen, wenn diese dann womöglich widerrufen werden müssen, weil es sich um Falschinformationen gehandelt hat.

V.Z./K.W.: Wie gehen Sie denn damit um, wenn Sie auf Ihrer Seite doch mal etwas zurücknehmen müssen?

F.K.: Das kommt darauf an, woher diese Fehlinformationen kommen. Wenn es nachrichtenjournalistische Informationen sind, dann verändern sich die Texte ohnehin fortlaufend, damit Informationen, Stimmen und Bewertungen hinzukommen können. Da kommt es dann sicherlich vor, dass wir Informationen schwächer gewichten, die wir zu einem früheren Zeitpunkt prominenter auf der Seite hatten und da kommt es sicherlich auch vor, das wir das ein oder andere dann einfach weglassen, weil es einfach nicht mehr relevant ist. Wenn wir etwas verbreitetet haben, was wirklich falsch war, dann schreiben wir meistens bestimmte Formulierungen, wie: »Anders, als bisher angenommen …,« Dadurch werden diese Fehlinformationen, die nachrichtenjounalistischen Umständen geschuldet sind, quasi bewahrt und gleichzeitig zurückgenommen.

V.Z./K.W.: Und wie würden Sie das Online-Angebot der großen deutschen Zeitungen insgesamt bewerten?

F.K.: Ich finde bei allen größeren deutschen Zeitungen in den Online-Angeboten immer wieder interessante Sachen; sowohl Dinge, die aus der Zeitung stammen, als auch Dinge, die exklusiv fürs Netz geschrieben wurden. Ich glaube, dass es online insgesamt in Deutschland einen guten Stand gibt, der aber auch immer davon abhängt, welchen Stellenwert die Online-Redaktionen in den einzelnen Häusern haben, welches Budget sie zur Verfügung haben, und wie gut sie vernetzt sind.

V.Z./K.W.: Das hört sich sehr positiv an, allerdings herrscht bei den Online-Angeboten ja noch immer stark die Praxis, einfach Texte online zu stellen, die sich vom Print nicht sehr unterscheiden. Was könnte man denn da noch erreichen, um die Inhalte onlinegerechter aufzubereiten?

F.K.: Multimedialität wäre da natürlich ein gutes Stichwort. Es gibt viele Dinge, die man machen kann, aber es geht auch darum, die Balance zu wahren, zwischen dem, was es alles an tollen Ideen gibt, und dem, was sich mit der Kapazität und der Zeit die wir haben, umsetzen lässt. Darüber hinaus wollen wir die Leseinteressen unserer Nutzer auch nicht überfordern. Die Filterfunktion des Journalismus gehört da wirklich zu seinen vornehmen Aufgaben – zu entscheiden: Wofür wollen wir unsere Leser interessieren? Das führt dann dazu, dass wir eben nicht alles machen, was man potenziell machen könnte.

V.Z./K.W.: Wie sieht denn ihr typischer Arbeitsalltag aus?

F.K.: Nehmen wir den allgemeinen Nachrichtenredakteur im Frühdienst: Man kommt in die Redaktion und schaut erstmal, in welchem Zustand die Seite ist: Gibt es da irgendetwas, was dringend überarbeitet werden muss, weil sich ein Rechtschreibfehler gehalten hat oder weil irgendetwas technisch schief gelaufen ist, oder irgendetwas nicht angekommen ist, weil irgendein Bild es nicht tut? Nach diesem ersten Blick auf die Seite gilt mein zweiter Blick meistens den Agenturen. Ich schaue nach, was nachrichtlich passiert ist. Zuerst schaue ich in die Agenturen, ob in der Nacht irgendwo irgendwelche Unglücke, Anschläge oder politischen Entwicklungen passiert sind, was im fernen Osten, wo dann der Tag schon fortgeschritten ist, gerade los ist, wie da die Börsen stehen. Der dritte Blick gilt dann den Nachrichten, Mitteilungen oder Hinweisen, die die Kollegen gegeben haben. Der vierte Blick gehört den Leserkommentaren, die über die Nacht aufgelaufen sind. Dann füllt sich langsam der Newsroom, in dem wir arbeiten, mit Kollegen, die aus den einzelnen Ressorts kommen; das heißt, man gibt dann so langsam wieder Verantwortung an die einzelnen Ressortkollegen ab und gibt ihnen den aktuellen Stand weiter. Dann beginnen irgendwann die einzelnen Konferenzen: Es beginnt mit der ersten Abstimmungskonferenz unter den Onlinern, wo die einzelnen Ressorts besprechen, was nachrichtlich zu erwarten ist, mit welcher Bedeutung wir Meldungen belegen wollen und wer welche Aufgabe übernimmt. Dann gehen die Ressortkollegen in die Abstimmungskonferenzen der einzelnen Print-Redaktionen und hören da, wie die Zeitung damit umgeht, koordinieren da, wann wir auf die Zeitungstexte zugreifen können, um sie auch ins Netz zu stellen. Damit ist dann letzten Endes der Tag angeschoben.

V.Z./K.W.: Sie haben jetzt gerade den mehr oder minder typischen Arbeitsalltag skizziert, können Sie vielleicht nochmal den typischen Karriereweg in den Online-Journalismus darlegen?

F.K.: Nein. Vielleicht gibt es ihn inzwischen; aber die Kollegen, mit denen ich zu tun habe, kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Das halte ich für eine große Stärke unserer Redaktion. Wir haben Fernsehjournalisten dabei, wir haben agenturgestählte Kollegen dabei. Wir haben Kollegen dabei, die für andere Zeitungen geschrieben haben, bevor sie zu uns in die Online-Redaktion gekommen sind, wir haben einige ehemalige Volontäre aus dem eigenen Haus dabei. Das ist ein bunter Haufen, der ganz unterschiedliche Stärken vereint: Jemand, der schon im Fernsehen gesprochen hat, hat dann eine entsprechende Sprechausbildung und kann uns gut seine Stimme für ein Video leihen. Jemand, der aus dem Agenturgeschäft kommt, weiß dann genau, wie die Agenturen ticken, wie seine eigene tickt, jemand der aus dem Online-Bereich selbst kommt, ist über seinen Ausbildungsweg vertraut damit, wann und wie man gewisse Dinge strukturiert und koordiniert.

V.Z./K.W.: Inwiefern nutzen Sie die technischen Neuerungen für Ihren Beruf und inwieweit finden Sie diese dafür angemessen?

F.K.: Zunächst einmal schätze ich die Haltung der FAZ, die Dinge im Blick zu haben und aus einer konservativen Distanz zu betrachten, wenn man Konservativität mit einer gewissen Skepsis gleichsetzt. Ich finde es wichtig, das was neu ist, nicht für das nächste große Ding oder für das immer größte Ding zu halten, sondern zu schauen, welche Möglichkeiten es bietet, zu schauen, welche Gefahren es bietet und zu überlegen, ob man sich darauf einlässt oder nicht. Ich halte es für richtig, dass man sich die Sachen in Ruhe anschaut und prüft: Nützt es unserem Vorhaben, der Aufgabe, die wir uns gegeben haben, nützt es unseren Möglichkeiten, unsere Leser anzusprechen; und dann zu entscheiden, ob man da mitgeht oder nicht.

V.Z./K.W.: Sie haben gerade den Stichpunkt elektronische Entwicklung genannt. Wie sehen Sie denn die Zukunft des Internets – und was damit vermutlich zusammenhängt – die Zukunft der Print-Medien?

F.K.: Man muss da den Verbreitungsweg und die Inhalte wohl voneinander trennen. Ich habe neulich mal mit Kollegen, die für die Zeitung arbeiten und ihrem Verständnis nach Printjournalisten sind, in der Kantine gesessen und die Kollegen haben in einer Weise bedauert, dass die Zeitung weniger gelesen wird, dass ich sie dann anschließend etwas bissig gefragt habe, ob sie eigentlich Drucker wären oder Journalisten. Das, was langsam niedergehen wird, ist meiner Einschätzung nach dieses Verfahren, Dinge auf Papiere zu drucken, die Papiere in Lastwagen zu laden, die Lastwagen zu irgendwelchen Verteilern zu fahren, die Verteiler dann früh morgens um 6 Uhr mit ihren knatternden Mopeds durch den Sommermorgen fahren zu lassen und alle Leute zu nerven, um da Zeitungen in die Briefkästen zu stecken, die man dann zwei Tage später wieder zum Altpapier trägt. Das ist etwas, was für Journalismus nicht sein muss. Ich sehe die Zukunft des Journalismus als Zukunft elektronischer Verbreitung. Wie es dann gelesen wird, ob über Tablet-PCs, Smartphones oder über ganz andere Technologien, die erst noch entwickelt werden müssen, wird sich zeigen.



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 Veröffentlicht am 6. Juli 2011
 Kategorie: Misc.
 Mit freundlicher Genehmigung vom Literarischen Zentrum.
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Ein Kommentar
Kommentare
 albert
 7. Juli 2011, 06:52 Uhr

“Das, was langsam niedergehen wird, ist meiner Einschätzung nach dieses Verfahren, Dinge auf Papiere zu drucken, die Papiere in Lastwagen zu laden, die Lastwagen zu irgendwelchen Verteilern zu fahren, die Verteiler dann früh morgens um 6 Uhr mit ihren knatternden Mopeds durch den Sommermorgen fahren zu lassen und alle Leute zu nerven, um da Zeitungen in die Briefkästen zu stecken, die man dann zwei Tage später wieder zum Altpapier trägt.”

Was ein geiler Satz!

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