Ein Interviewband widmet sich den Schattenmännern des Literaturbetriebs. Verleger, Vertreter und Agenten schildern ihren Berufsalltag und ordnen sich in die unsichtbare Kette der Kanonisierungsmechanismen ein.
Von Raphael Mühlhölzer
Häufig lernen wir Dinge erst nach ihrem Verschwinden zu schätzen. Das beste Beispiel dafür sind die ordnenden unsichtbaren Hände, welche die Texte auf ihrem langen Weg vom Autor zum Leser durchlaufen, deren Arbeit man erst zu schätzen weiß, seitdem Hinz und Kunz ihre geistige Notdurft in Büchern on demand verrichten können. Ausdruck dieser Wertschätzung ist der im Blumenkamp Verlag erschienene Gesprächsband Bücher/Menschen. Der Literaturbetrieb im Gespräch, begleitend zu den individuellen Dissertationsvorhaben entstanden im Göttinger Promotionskollegs »Wertung und Kanon«.
Laut Vorwort ist die Zielsetzung des Bandes »den Literaturbetrieb aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten«, und zwar auf dem den Doktoranten ungewohnten Terrain der empirischen Feldforschung, nämlich im Interview mit mehr oder weniger exponierten Vertretern des Literaturbetriebs. Die Auswahl eben jener Gesprächspartner geht auf eine Veranstaltung des Kollegs mit dem Namen »Verlegergespräche« zurück, wobei neben besagten Verlegern ebenfalls ein Kritiker, eine Literaturagentin und weitere Akteure des Wirtschaftssektors Buch interviewt wurden. Naturgemäß zielen die Fragen des Bandes vorrangig auf Wertungs- und Auswahlkriterien in der verlegerischen Praxis, sowie auf Entstehung und Bedingungen von literarischen Kanones.
»Ich habe mir angewöhnt, auf diese Frage eine freche Antwort zu geben: Ich bin das Entscheidungskriterium.« So frech allerdings ist die Antwort des Wallstein-Lektors Thorsten Ahrend nicht, warten doch seine Branchenkollegen mit ähnlich übersichtlichen Kriterienkatalogen auf. Bestenfalls wird die subjektive Auswahl mit Adjektiven wie »neu«, »moralisch überzeugend« und »interessant« unterfüttert.
Oft hätte man mit einer gewissen journalistischen Hartnäckigkeit in der Gesprächsführung auf Präzisierung drängen können, allerdings bleiben Nachfragen in Bücher/Menschen nahezu aus und die Interviewten in der Komfortzone. Zu Gesprächen, wie im Untertitel versprochen, kommt es daher mit den Vertretern des Literaturbetriebs leider zu selten, zumeist verharren die Interviews in trockenem Frage-Antwort-Ping-Pong.
Lebendig wird der Band immer dann, wenn die beredten Rampensäue unter den Gesprächspartnern ins Plaudern geraten. Denis Schecks kuriose wie treffende Analogien zwischen Literatur und Gastronomie bringen Bücher/Menschen inhaltlich zwar ebenso wenig voran wie Heinz-Ludwig Arnolds Anekdote um Ernst Jünger und die eigene Wehrdienstverweigerung, diese Ausflüge ins Abseitige steigern jedoch den Unterhaltungswert immens.
Auch an solchen Stellen, wo der Band Nischen im Literaturbetrieb ausleuchtet und einen freischaffenden Verlagsvertreter, einen Comicverleger oder eine Literaturagentin zu Wort kommen lässt, bekommt man tatsächlich überraschende Einsichten und einen anderen Blick auf den Betrieb präsentiert.
Dass Agenten wie Karin Graf nicht nur Verlage für Bücher, sondern auch in deren Auftrag Autoren für bestimmte Themen akquirieren, oder dass Verlage – dieses Branchengeheimnis verrät der Vertreter Hans Frieden – sogenannte »Werbekostenzuschüsse« bezahlen, damit eines ihrer Bücher exponiert im Buchladen platziert wird, erfahren wir in den Interviews, in denen der Rahmen »Verlegergespräche« gesprengt wird, und die thematische Ausrichtung »Wertung und Kanon« in den Hintergrund tritt.
Genau dort sind die Texte interessant und erhellend. Allerdings gelingt es dem Band leider nur in einzelnen Momenten, diese Mitte zwischen Erkenntnisgewinn und Lesevergnügen zu treffen – oft zum Nachteil von beidem. Ein Umstand, der leicht hätte vermieden werden können durch ein klares Adressatenprofil. So nämlich bleibt vollkommen schleierhaft, an wen sich dieser Band richtet: den interessierten Laien?, die Wissenschaft?, oder doch den Raucherclub des Deutschen Buchhandels?
Ob Interviews das dem Erkenntnisinteresse angemessene Werkzeug zur Analyse von Kanonisierungsmechanismen sind, ist ebenso streitbar wie die diffuse Auswahl der Gesprächspartner. Kurz: man merkt Bücher/Menschen deutlich an, dass der Band das Produkt journalistisch eher unerfahrener Wissenschaftler ist. Die parallel stattfindende wissenschaftliche Auseinandersetzung in den individuellen Dissertationsprojekten des Kollegs scheint der Komplexität des Gegenstandes eher angemessen. Und so bleibt Bücher/Menschen nicht weniger, aber eben auch nicht viel mehr als das Nebenprodukt wissenschaftlichen Arbeitens.
“…wie ein renommierter Verlag aus der E-Ecke als Bierdeckel-Start-Up Göttinger Studenten seinen Anfang genommen hat.” Ein richtiger U-Satz! Der besprochene Band scheint mir in die Reihe “Schwarzbuch: Geschwafel” zu gehören. Liege ich da richtig?