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Band-Interview
Bionade statt Bier

The New Beamtentum: Im Interview mit Litlog-Autor Andre Groß verraten die selbsternannten Freizeitpunks der Hamburger Band Captain PlanET, warum sie sich für ein bürgerliches Leben als Lehrer und gegen ein Dasein als dauertourende Rockstars entschieden haben.

Von Andre Groß

Göttingen, 12.10.2013. Die zwei Sprechblasen in der Facebookmenüleiste leuchten rot auf. Nachricht von Captain PlanET: »wir sind schon da, komm doch einfach rum«. Gesagt getan. Als ich gegen 18 Uhr das Café Kollektiv Kabale erreiche, haben sich die Hamburger Freizeitpunks von Captain PlanET bereits mit Ihren Laptops im Café eingerichtet und vertreiben sich die Zeit bis zum abendlichen Konzert im Theaterkeller. Nur Sänger und Grundschullehrer Arne wirkt ein wenig gelangweilt. Sein Internet funktioniert nicht. Von Gitarrist Benni keine Spur: »Der pennt im Van« und auch Bassist Marco treibt sich noch irgendwo in der Stadt herum und wird erst im Laufe des Gesprächs dazustoßen. Bevor es mit dem Interview losgeht nimmt die Kellnerin Bestellungen auf. Der festen Überzeugung, ein Interview mit Teilzeitrockstars zu führen und gewillt Anpassungsfähigkeit zu demonstrieren, bestelle ich ein Bier. Als kurz darauf die Band geschlossen Bionade ordert, kann das Interview beginnen.

Andre Groß: Einige von euch sind als Lehrer tätig. Das Beamtentum: Der Inbegriff der Spießigkeit im Einklang mit einem Leben in einer Subkultur, Konzerten in autonomen Zentren, etc. Das passt doch alles nicht zusammen. Führt ihr ein Doppelleben?

Arne von Twistern: Manchmal fühlt man sich so. Aber außer den Behördenkontakten mit strangen Briefen und komischen Formularen, ist man ja nur dadurch, dass man diesen Beamtenstatus hat, kein anderer Mensch. Das Kollegium ist super jung. Da findet gerade auch ein Generationswechsel in der Lehrerschaft Hamburgs statt. Also als vermuffte Spießigkeit empfinde ich das an der Schule zumindest nicht. Lehrer sind ja auch ganz spezielle Beamte. Anders als hierarchische Finanzverwaltungsmitarbeiter oder Polizisten, aber das ist noch mal ein ganz anderes Thema.

Wie lässt sich das Leben als Lehrer generell mit dem Leben in einer erfolgreichen Punkband kombinieren?

v. T.: Ganz gut eigentlich. Ich glaube der Lehrerberuf ist eigentlich der perfekte Beruf, um nebenher eine Band zu haben, weil man auch durch die Ferien mal ein bisschen Zeit en bloc hat, um loszufahren. Aber wir sind ja auch nicht alle Lehrer und einige müssen sich dann extra Urlaub nehmen. Für die Pädagogen unter uns ist es schon am einfachsten.

Und was unterrichtet ihr?

v. T.: Ich mache Englisch und Kunst. Benni macht auch Englisch, und Politik. Wir sind aber auch beide Klassenlehrer. Er hat eine sechste, ich habe eine erste Klasse und von daher machen wir noch viele andere Sachen. Besonders in der Grundschule muss ich auch fachfremd unterrichten. Also Mathe zum Beispiel.

Unterrichtet ihr auch ältere Schüler?

v. T.: Ich unterrichte eine 13. Klasse in Kunst.

Werdet ihr von Schülern auf die Band angesprochen?

v. T.: Ja, klar. Aber das Interessante ist, dass ich ja gerade eine erste Klasse bekommen habe, und da sind tatsächlich auch die Eltern – die ja quasi in meinem Alter sind – potenzielle Sympathisanten.

Und die kommen dann in die Elternsprechstunde und wollen ein bisschen mit dir quatschen?

v. T.: Ja genau [lacht], aber es geht um die Kinder und nicht um mich. Nein, also wir sind ja auch nicht irgendwie…

Bekannt seid ihr ja schon.

v. T.: Ein Nischendasein ist es aber trotzdem noch.

Das kann ja auch ganz angenehm sein.

v. T.: Ja, klar. Na gut, sonst müsste man den Lehrerjob vielleicht auch gar nicht machen. Aber ich bin sehr froh, dass wir das nicht tun. Ich finde es so besser.

Marco Heckler: Man muss auch die Zeit einrechnen, die man dann investieren müsste.

v. T.: Und es ist auch wirklich ein harter Job. Dazu habe ich gar nicht die Lust, so viel von Zuhause und der Familie weg zu sein.

Platon hat mal gesagt: »Die Erziehung durch Musik sei so überaus wichtig, weil am tiefsten in die Seele Rhythmus und Harmonie eindringen«. Ihr wiederum habt in Interviews – leicht ironisch – gesagt, dass ihr versucht, die Welt ein klein wenig zu verbessern. Meint ihr das ist euch schon ein Stück weit gelungen?

Die Band

Captain PlanET sind Gitarrist, Sänger und Texter Jan Arne von Twistern, seine musikalischen Pendants Benni Sturm und Basti an der Gitarre, plus die »rhythm section«, bestehend aus Bassist Marco Heckler und Schlagzeuger Sebastian Habenicht. Hier geht es zur Facebookseite von Captain PlanET.

 
 
v. T.: Naja, was heißt die Welt verbessern. Ich glaube, wir haben irgendwann mal gesagt, dass, wenn wir die Welt in irgendeiner Weise verbessern wollen, dann fangen wir auf jeden Fall bei den Individuen an und versuchen, denen ein bisschen auf die Sprünge zu helfen, um sich über sich selbst Gedanken zu machen; und daraus vielleicht so etwas wie eine politische Gesinnung oder überhaupt eine Gesinnung zu entwickeln.

Gibt es manchmal Dinge, die ihr gerne aussprechen würdet, aber aufgrund der Verantwortung, die ein Leben als Lehrer mit sich bringt, nicht könnt?

v. T.: Ich habe mir irgendwann mal vorgenommen, auf der Bühne nicht mehr so hart zu saufen [lacht]. Nicht, dass wir das wirklich gemacht haben, aber früher haben wir zum Beispiel mal am Merch-Stand harten Alkohol ausgeschenkt oder auf der Bühne Jägermeister getrunken. Nachdem das in Darmstadt einmal eskaliert ist [alle lachen], habe ich mir gesagt, das mache ich einfach nicht mehr. Das ist aber mein Ding, nicht das Ding der Band.

In Euren Songs geht es oftmals um ein »Du«. Gibt es einen fiktiven Protagonisten oder ist das auch eine Form von Selbstschutz?

v. T.: Es handelt nicht immer von einem »Du«. Das habe ich mir irgendwann angewöhnt und das machen ja auch viele. Ich fand diese Form einfach ganz schön, weil man da alles hineinpacken kann. Es lässt sich einfacher schreiben, weil das dann sofort ein bisschen weg ist. Man kann von oben betrachten und ist nicht, so wie jetzt, bei sich selbst. Stimmt schon, das ist vielleicht auch ein kleiner Schutz.

Wie schreibt ihr eure Songs. Steht zunächst der Text oder Musik?

v. T.: Immer die Musik zuerst. Der Gesang kommt dann relativ spät dazu. Man nimmt sich immer vor, das vielleicht auch mal anders zu machen, aber es ist dann trotzdem wieder so, dass eine Woche vor dem Studio – oder manchmal auch schon vorher – die letzten Sachen teilweise erst richtig festgemacht werden.

Und schreibt ihr die Musik zusammen?

Sebastian Habenicht: In der Regel ist das so: Benni kommt mit Ideen in den Proberaum und dann arbeitet man sich sozusagen daran entlang. Ich habe so immer das angenehme Gefühl, dass er anschließend ein bisschen von der Seite leitet. Und dann entsteht Stück für Stück etwas daraus; oder eben nicht.

Gibt es da oft Streit?

v. T.: Es hat sich mit der Zeit so eingegroovt, dass es da keine Aufstände mehr gibt.

Keine Egoprobleme?

v. T.: Keine Egoprobleme oder so.

Kunst – die ewige Wiederholung. Wo bedient ihr euch am liebsten?

v. T.: Ich glaube das hört man. Das, was man vermutet, ist wahrscheinlich auch schon richtig. Insgesamt ist es alles sehr amerikanisch inspiriert. Das kann man schon sagen. Aber ich könnte jetzt gar nicht sagen, dass die oder die Band konkreten Einfluss hätte. Das überlasse ich mal den Hörern.

S. H.: Da gab es eher so Übergangsphasen, in denen etwas für eine gewisse Zeit ganz toll war, dann hier und da aber auch wieder zurückgeschraubt wurde. Und daraus entwickelte sich dann, was wir heute machen. Ohne, dass das bewusst geschehen ist.

Und gibt es literarische Vorbilder beim Texten?

v. T.: Also ich bin ganz großer Fan von John K. Samson, dem Sänger von den Weakerthans. Der hat mich in der Art Songs anzugehen – über Geschichten und Alltagssachen – ziemlich beeinflusst. Den würde ich als einzigen wirklichen Einfluss nennen. Ansonsten ist es relativ aus der Luft gegriffen und amateurhaft zusammengeschraubt [lacht] und passt dann halt.

Würdet ihr euch wünschen, dass eure Alben ähnlich wie ein Roman oder eine Kurzgeschichte als geschlossene Werke verstanden werden oder stehen die Songs alle für sich?

v. T.: Jeder Song steht für sich. Da ist kein Konzept dahinter oder so etwas.

Aber bei »Treibeis« lässt sich ja schon ein roter Faden erkennen.

v. T.: Ja, aber das ist wahrscheinlich einfach so, weil ich nichts anderes kann. Ich glaube, es ist auch ein roter Faden von der ersten Single bis zur letzten Platte zu erkennen, weil es eigentlich immer das Gleiche, bzw. der gleiche Stil ist. Ich bin nicht experimentierfreudig und sehe mich nicht als Lyriker, der in erster Linie versucht, sich in der lyrischen Welt auszuleben und zu experimentieren, sondern ich schreibe diese Texte so gut ich kann und das war´s.

Fühlt es sich dann komisch an, wenn man auf einmal eine Rezension über sich in der ZEIT liest und in höchsten Tönen gelobt wird?

v. T.: Ja klar, aber man hat mittlerweile auch einige Erfahrung beim Texte schreiben und ich bin damit zufrieden. Es ist natürlich geil, dass das so wertgeschätzt wird. Dass so viele Leute etwas darin finden und sich damit identifizieren. Das Schönste sind sowieso die Konzerte, wenn man in den Gesichtern der Leute sieht, dass es etwas für sie bedeutet, was sie da gerade hören, und sie mitsingen. Das ist viel geiler als drei Artikel in der ZEIT.

Lässt du dich beim Schreiben auch von diesen Gefühlen, die eure Songs bei vielen Hörern auslösen, leiten oder ist das in der Entstehung kühl und konstruiert?

v. T.: Es ist sehr gefühlsgeleitet, aber es ist trotzdem bedacht. Wenn ich einen Text schreibe, finde ich jedes Wort wichtig – jedes einzelne – weil es, gemessen an Prosa, sehr kurze Zeilen sind. Da finde ich es wichtig und hoffe, dass jedes Wort Sinn macht und sitzt. An den Formulierungen feile ich ziemlich lange und gucke, dass sie mir gefallen. Konstruiert würde ich vielleicht nicht sagen, aber auch nicht so fahrig stoned hingeschrieben. Es dauert seine Zeit. Ich hab so ein Büchlein, da schreibe ich immer mal was rein, wenn ich den Blues habe, und daraus bastle ich dann etwas zusammen, wenn ein Text gebraucht wird.

»Treibeis« ist auf den Tag genau vor einem Jahr erschienen, wie zufrieden seid ihr rückblickend mit dem Album?

v. T.: Ich bin sehr zufrieden.

S. H: Es ist nur erstaunlich, wie schnell die Zeit rumgeht, weil das ja nur der Veröffentlichungstermin war. Die Aufnahmen sind jetzt schon locker eineinhalb Jahre oder länger her.

Basti: Ich bin auch sehr zufrieden.

v. T.: Ich glaube man kann sagen, dass es einfach rundum ein sehr solides Ding ist und dass die Erwartungen von allen Seiten aus erfüllt wurden. Wir alle können vom künstlerischen Gesichtspunkt aus damit leben, wobei man natürlich immer wieder Sachen hat, die man jetzt anders machen will. Das ist ja auch gut. Es wäre schlimm, wenn man ein Album hat, das so geil ist, dass man immer wieder versucht, es zu erreichen. Das ist dann eine ganz schöne Last. Deswegen machen wir auch immer nur Alben, die etwas besser als der Durchschnitt sind [lacht]. Ne, Quatsch, das war natürlich Spaß.

In dem Song Sand in den Augen heißt es: »Eine Stadt ohne Sprache« – Realität oder Albtraum?

v. T.: Realität würde ich generell sagen. Aber in dem Fall war die Stadt nur ein Bild für eine Beziehung, in der man nicht miteinander redet.

Für sich alleine ist es auch ein schönes Zitat.

v. T.: Ja, oder? Das stimmt schon. Die Stadt hat erstmal selber keine Sprache und in Hamburg ist die Stadt schon sehr aufgeteilt. Es gibt auch nicht eine wirklich gemeinsame Kultur. In den einzelnen Szenen schon, aber jetzt nicht wirklich etwas, das verbindet. Ich habe zum Beispiel neulich im Radio einen Beitrag über ein Fest, das alle drei Monate in Helsinki stattfindet, gehört. Das nennt sich »Restaurant Day« und dort kochen die Leute in der ganzen Stadt, machen kleine Stände auf und verkaufen überall in der Stadt Essen. So etwas finde ich total geil. Da entsteht dann vielleicht auch sowas wie eine Sprache. Hier in Göttingen, in so einer kleineren Stadt, ist das vielleicht noch anders.

Also ist »Treibeis« eine Milieustudie?

v. T.: Milieustudie ist das doch immer. Jedes Lied ist auf eine Art Milieustudie, weil es natürlich den Blick nach außen richtet und sich das Umfeld anschaut. Im Text geht es um das, was passiert, und die Bilder, die benutzt werden, beschreiben Dinge, die einen umgeben. Das ist keine reine Gedankenansicht oder eine Metaebene mit erhobenem Zeigefinger. Deswegen ist es schon sehr milieuhaft.

Was waren eure bisherigen Eindrücke vom Göttinger Milieu?

S. H.: Wir waren schon drei Mal hier und das war bisher immer dufte.

v. T.: Ja, gut, einmal haben wir mit El Mariachi zusammengespielt und einmal mit Balboa Burnout. Da war es klar, dass es beide Male voll wird.

Und auf dem Antifee habt ihr auch mal gespielt.

v. T.: Ja, stimmt. Das war auch toll. Das war ein geiler Abend.

S. H.: Ein schöner Abend.

v. T.: Ich war auch mal auf einer Klassenfahrt hier. Also mit einer Klasse als Lehrer.

Zum Schluss noch die Frage nach einem neuem Album. Arbeitet ihr schon an neuem Material?

v. T.: Ja.

Und geht das wieder in eine ähnliche Richtung?

v. T.: Ja, natürlich [alle lachen].

Dann weiterhin viel Erfolg und vielen Dank für das Interview.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 7. November 2013
 Kategorie: Misc.
 Mit freundlicher Genehmigung von Captain PlanET
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 Ein Kommentar
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Ein Kommentar
Kommentare
 Albert
 7. November 2013, 11:35 Uhr

Danke für das dufte Interview, Andre! Very nice!

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