Auf dem 5. IBG-Nachwuchsforum mit dem Titel Grenzüberschreitungen – Bücher als Brücken wurden die inhaltlichen, medialen, konzeptionellen, geografischen, politischen und juristischen Dimensionen von Grenzüberschreitungen in Büchern und in der Buchbranche anhand von 13 Vorträgen und Diskussionen herausgearbeitet. Ein Tagungsbericht.
Von Lena Hinrichsen und Mareike-Beatrice Stanke, Buchwissenschaft Universität Mainz
Panel I: Grenzüberschreitungen in historischer PerspektiveDen ersten Vortrag hielt Jan Hillgärtner (St. Andrews, Großbritannien) über Transnationale Netzwerke: Die frühen Zeitungen in internationaler Perspektive. Hierbei lag der Schwerpunkt auf der Produktion deutschsprachiger Drucke außerhalb des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation im 17. Jahrhundert in Städten wie Breslau, Kopenhagen, Stockholm und Danzig sowie auf der Zusammenstellung der Nachrichten.
Im Anschluss dazu sprach Hannes Fischer (Berlin) über Mediale Sattelzeiten. Der Medienverbund von Buch, Zeitschrift und Brief im späten 18. Jahrhundert, am Beispiel der Debatte um den Büchernachdruck. Fischer stellte unter anderem heraus, wie die Zeitschrift als Debattenformat und durch Mittel der Polemik die Diskussion um den Büchernachdruck verbreiten konnte.
Panel II: Grenzüberschreitungen in WissensräumenJulia Bangert (Mainz) erörterte in ihrem Vortrag Grenzüberschreitungen – Das Buch als Aktant in den Wissensräumen Buchhandel und Res publica literaria den Einfluss und die Rolle des Buches in definierten Wissensräumen und über die determinierten Grenzen hinweg.
Der Vortrag Internationales Book-Packaging und die Demokratisierung des Wissens im Sachbuch von Silke Körber (Berlin) behandelte den Einfluss von VerlegerimmigrantInnen im englischsprachigen Raum. Den Fokus legte sie auf Otto Neurath sowie Wolfgang Foges, die durch ihre Tätigkeit als Book-Packager zur Verbreitung von Wissen beitrugen.
Laura M. Reiling (Münster) referierte zum Thema Textgrenze, Raumgrenze – Lektürefigurationen im Universitätsroman. Ihre Annahme war, dass die Universität als Wissensraum dient, der sich praxeologisch darstellt. Die Figuren in diesem Raum können PhilosophInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen sein, die sich mit Büchern beschäftigen, wodurch weitere Handlung initiiert wird.
Keynote
Mit dem Keynote-Vortrag von Prof. Dr. Marco Thomas Bosshard (Flensburg) über Buchmessen als Räume kultureller und ökonomischer Verhandlung endete der offizielle Teil des ersten Tages. Bosshard stellte sein Forschungsvorhaben zur Untersuchung von Gastlandsauftritten auf verschiedenen Buchmessen vor. Dabei verfolgt er drei Forschungslinien: Er untersucht die kulturpolitischen und literatursoziologischen Aspekte, die ästhetisch medialen Ausprägungen und die Marketingstrategien der jeweiligen Länder. Mithilfe von Feldstudien möchte er Betrachtungen über die Selbstdarstellung der Gastländer aufstellen. Seine Arbeitshypothesen sind unter anderem, dass Gastlandauftritte zwar das Highlight der Medienberichterstattung sind, beim Publikum und bei den Buchhändlern jedoch weniger ins Gewicht fallen. Außerdem werden durch die metamedialen Diskurse in der Regel bestehende Stereotype der Selbst- und Fremdwahrnehmung verbreitet.
Der nächste Tag begann mit einem Vortrag von Stefanie Martin (Mainz) mit dem Thema Das Buch als Instrument des Brückenschlags zu anderen Kulturen – Die auswärtige Buchpolitik der Bundesrepublik Deutschland (1951–1990), in dem Martin unter anderem die Behaim-Bücher-Brücken thematisierte. Durch die Etablierung einer Ausleihkultur mithilfe von Wanderausstellungen aber auch durch Unterstützung von ausländischen Bibliotheken wollte die Kulturabteilung der BRD das Bild Deutschlands als demokratischen Staat etablieren. Ab den 1970er-Jahren lag der Fokus verstärkt darauf, mit anderen Staaten in Beziehung zu treten.
An diesen Vortrag konnte Daniela Reimann (Tübingen) mit ihrem Thema Das Buch in der Auswärtigen Kulturpolitik Deutschlands nahtlos anknüpfen. Ihren Schwerpunkt setzte sie hierbei auf die Zeit ab der Wiedervereinigung und stellte heraus, dass die Metapher der Bücherbrücke die Distanz zwischen den Kulturen kaum auflösen kann und durch die Definition der Literatur als Deutsch der nationale Gedanke zurückkehrt. Des Weiteren erkennt Reimann, dass durch die Förderung von AutorInnenreisen Grenzüberschreitungen zur Basis literarischer Texte werden.
Helmi-Nelli Körkkö (Vaasa, Finnland) reflektierte über den Literaturexport im Rahmen des finnischen Ehrengastauftritts auf der Frankfurter Buchmesse 2014. Dabei unterstrich sie die Gatekeeper-Funktion Deutschlands für den finnischen Lizenzhandel. In der medialen Rezeption erkennt Körkkö, dass oft das Image des Landes als Anknüpfungspunkt zu den literarischen Inhalten genutzt wird. Auch hat der Gastauftritt das Interesse für den Export in Finnland steigen lassen.
Zu Änderungen der Paratexte bei der Übersetzung von Herta Müllers Atemschaukel referierte Karin Houscheid (Lüttich, Belgien) in Lesen wir das gleiche Buch? Zum Transfer deutscher Gegenwartsliteratur in den französischsprachigen Raum: Adaptionsformen und Rezeption. Besonderes Augenmerk legte sie hier auf die verschiedenen Cover und Klappentexte, die durch ihre Heterogenität die Rezeption beeinflussen. Dies belegte Houscheid durch Rezensionen, welche in Frankreich oft das Emotionale und Fabelhafte sowie die sprachliche Gestaltung des Romans hervorhoben, während in Deutschland der Schrecken des Lagers im Vordergrund steht.
Panel IV: Mediale GrenzüberschreitungenMit dem Vortrag »Gut gegen Langeweile?«: Internet als Form oder Medialisierung und Gamifikation im deutschen Gegenwartsroman von Bruno Dupont (Lüttich, Belgien) begann das letzte Panel zur Thematik Mediale Grenzüberschreitung. Anhand der Romane Gut gegen Nordwind von Martin Glattauer und Andreas Neumeisters Angela Davis löscht ihre Website untersuchte Dupont Aspekte der Medialisierung, die Genreeinteilung sowie die Gamifikation in den Romanen. Letztere scheitert im Roman Angela Davis löscht ihre Website, da dem Leser die Grenzen des physischen Buches durch das Fehlen von konstitutiven Elementen digitaler Medien vor Augen geführt werden.
Lena Böse (Münster) plädierte in ihrem Vortrag Über den Seitenrand blicken: Experimentelle Formate und der Buchbegriff im 21. Jahrhundert für eine breitere Definition des Begriffs Buch, die weder das enhanced eBook noch das Bilderbuch ausgrenzen solle. Anhand der Titel Composition No. 1 von Marc Saporta und Jonathan Safran Foers Tree of Codes stellte sie dem Plenum experimentelle Buchformate des Verlags Visual Editions vor, welche dem Leser eine individuelle Gestaltung des Leseprozesses ermöglichen.
Als Letzte sprach an diesem Tag Julia Nantke (Wuppertal) über Die Grenzen des Buchs überschreiten. Digitale Editionen zwischen erweiterten Möglichkeiten und neuen Herausforderungen. Dabei wog sie die Vor- und Nachteile digitaler Editionen ab, welche einerseits den Text dynamischer erscheinen lassen, andererseits jedoch das Problem der Dauerhaftigkeit im flüchtigen World Wide Web mit sich bringen. Zudem erschwert die fehlende Einheitlichkeit von Programmen die wissenschaftliche Nutzung.
Die große thematische Bandbreite der Vorträge zeigte, dass das Medium Buch Grenzen verschiedener Art überschreiten kann und dies oftmals tut. Obwohl mehrere Jahrhunderte zwischen den verschiedenen Beobachtungszeiträumen der Referentinnen und Referenten lagen, konnten einige Parallelen gezogen werden. So wurde erneut die andauernde Bedeutung des Buches für Kultur und Ökonomie in Vergangenheit und Gegenwart herausgearbeitet und bewiesen, dass es diese so schnell nicht verlieren kann.