Impressum Disclaimer Über Litlog Links
Das Gras wächst ja auch

Ein Mann und eine Frau. So einfach, so kompliziert. Matthias Nawrat nimmt den Leser in seinem Debütroman Wir zwei allein mit aufs Land. Eigentlich könnte alles ganz einfach sein, doch es ist nicht die Idylle des Landes, die den Roman bestimmt. Der Autor hat den Schwarzwald beim Wort genommen und findet keinen Lichtblick für die Protagonisten. Und so berichtet Nawrat vom schweren Weg durch das dunkle Gewirr des zwischenmenschlichen Unterholzes, dem Feldberg, von Gummiinseln und den letzten Irokesen.

Von Jan Heemann

Der etwas bedeutungsarme Titel Wir zwei allein mit dem dazu passenden Bild von zwei ineinander verdrehten Trieben einer einzelnen Karottenwurzel beschreibt das Verhältnis der beiden Protagonisten ziemlich genau: Da ist das namenlose männliche Ich und die geheimnisvolle Theres. Das Grundgerüst dieser Erzählung bildet dabei die Innenansicht des Erzählers und die Liebe zu einer Frau, die nicht weiter eingeführt wird als durch seine Augen. Er arbeitet trotz seines Studiums der Agrarwissenschaften als Lieferfahrer für Gemüse im Umland der malerischen Stadt Freiburg im Breisgau. Dort trifft er die Dame seines Herzens in seiner Stammkneipe und hält ihre Hand, als das Licht ausfällt.

Buch-Info


Matthias Nawrat
Wir zwei allein
Nagel & Kimche, München 2012
192 Seiten, 17,90 €

 
 
Er sehnt sich nach ihr, freut sich über jede Aufmerksamkeit und ist eifersüchtig auf ihren musikalischen Bekannten. Ihr Kennenlernen ist so präzise geschildert wie die ersten Momente von etwas ganz Großem: aufregend und voller Neuigkeiten. Doch gipfelt die Kennenlern-Phase in einem Satz, den man seltener liest und selbst wohl niemals sagen würde: »Ich will, dass du mich küsst«. Zu diesem Zeitpunkt wundert man sich erstmals über das Ungestüme und Direkte des Protagonisten, von dem man zunächst noch glaubt, es wäre der Situation zuzuschreiben. Die Erzählweise passt sich der kühlen und wortkargen Art des Erzählers an. Theres bleibt aber dabei eine aufregende Frau: exzentrisch und verquer. Sie erzählt von absurden Phantasien der Liebe und dem Entfliehen und beendet viele ihrer Sätze mit: »Verrückt, oder?« – und beschreibt sich damit zugleich allzu treffend selbst.

Ständig sind sich die beiden im Weg…

Die Erzählung ist bis zu diesem Augenblick bereits mehrere Male willkürlich durch Phantasien und kleine allegorische Geschichten unterbrochen worden. Sie schwirren im Kopf des Mannes herum und stören nebenbei den Lesefluss. So führt Eines zum Anderen, ohne dass dem Leser klar wird warum – aber die beiden verbringen einige Nächte miteinander. Doch der Protagonist zeigt sich unfähig, diese zu schätzen. Weit mehr noch als seine eigene banale Feststellung: »Es ist nicht verwunderlich glücklich zu sein. Es ist nicht selten.« entwertet der folgende Satz sein eigenes Glück völlig: »Das Gras wächst ja auch. Und der Himmel ist auch immer da«. Er liefert mit diesen, auch für den Roman, überflüssigen Sätzen vielleicht die Erklärung, warum er sich zu einer hochgradig launischen, emotional instabilen und anstrengenden Figur entwickelt. Trotzdem wundert er sich auch noch, dass die impulsive Theres einfach wegfährt und von ihm Urlaub macht. Fragt der Leser sich noch, warum Theres überhaupt aus dem Urlaub zurückkommt, tut sie dies wie selbstverständlich und entschuldigt sich obendrein auch noch bei ihm. Aber anstatt die Entschuldigung anzunehmen, ist er beleidigt und die Spielereien gehen von vorne los. Offensichtlich kann er mit seinem Glück nicht umgehen. Er will einfach das, was er nicht haben kann und wenn er es hat, benimmt er sich wie ein Kind mit seinem Spielzeug. Ohne eine nachvollziehbare emotionale oder rationale Erklärung enden die Protagonisten schließlich auf einem Hof, den sie sich zusammen gekauft haben.

…oder gehen jeweils getrennt voneinander spazieren

In dem von der Landschaft geprägten Roman ist das Spazierengehen oder -fahren ein grundlegendes Handlungsmuster. Der Autor beschreibt hier detailgenau die Landschaft des Schwarzwalds und der umliegenden Orte von Freiburg. Diese Beschreibungen werden der Landschaft und der Region mehr als gerecht. Sollte man jedoch noch nie dort gewesen sein, sind die Beschreibungen der Wälder und Berge zwar brauchbar und handfest, allerdings überlädt Nawrat seinen Roman damit. Dörfer werden ohne einen Zweck für den Plot genannt. Landstraßen und ihre Parkbuchten reihen sich seitenweise aneinander. Wiederholungen (die Namen der Berge »Schauinsland« und »Feldberg« liest man bestimmt zwanzig Mal) nerven genau wie die inflationär gebrauchte Formulierung »Über uns droht/liegt der Schwarzwald.«

Überhaupt erscheinen Dialoggestaltung und Wortwahl bei Nawrat abwechslungsarm. Der Satz: »Theres, sage ich« ist mit Abstand der häufigste Satz in dem gesamten Roman und immer folgt darauf Stille oder ein entrückter Kommentar von Theres selbst. Es ist auch ohne diese Phrase offensichtlich, dass die beiden sich nichts zu sagen haben und nicht miteinander leben können, aber der Satz schleudert es einem wieder und wieder ins Gesicht. Subtilität ist nicht die Stärke des Autors. Ständige Wiederholungen ganzer Phrasen und das nicht enden wollende Schweigen des »Paares« machen überdeutlich, dass hier etwas nicht stimmt. Nawrat entwirft das bekannte Konzept zweier Menschen, die zusammen sein wollen, es aber nicht können. Die Beschreibung dieser Konstellation drängt sich einem aber teilweise unerträglich auf, so dass der Leser sich für dumm gehalten fühlt.

Da kann man immer einen Ausflug ins Elsass machen, sage ich. […]
Eine Wanderung, sagt Stefano.
Oder mit dem Auto, sage ich.
Stefano findet Autofahren unnötig, sagt Theres
Ja, sagt Stefano […] Man sieht überhaupt nichts.
Ja, das stimmt, sage ich.

Die Schwierigkeiten des Erzählens sind äquivalent zu den Metaphern, die den Roman noch weiter verderben: »Schnee, der wie verlorene Formeln auf die Wiese fällt«. Auch als der Erzähler sein Vorhaben beschreibt, sich ab dem dreißigsten Lebensjahr zurückzuziehen, wird es wirr: »Die aufgeblasene Gummiinsel (die Jugend) anstechen!« In kleineren Abschnitten vergleicht er seine eigene Gefühlslage mit dem Leben und Sterben der Irokesen. Ein sprachliches Bild, das ebenfalls zu weit hergeholt scheint, das aber dadurch zu einer idealen Metapher für den Debütroman selber wird.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 8. November 2012
 Kategorie: Belletristik
 Bild von fotonen via flickr
 Teilen via Facebook und Twitter
 Artikel als druckbares PDF laden
 RSS oder Atom abonnieren
 Keine Kommentare
Ähnliche Artikel
Keine Kommentare
Kommentar schreiben

Worum geht es?
Über Litlog
Mitmachen?