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Literaturtourismus
Der Natur auf der Spur

Der Naturpark Münden lud gemeinsam mit dem Schauspieler und Waldpädagogen Markus Bölling zur literarischen Wanderung »Vom Glück mit der Natur zu leben« ein. Inmitten der frühlingshaften Atmosphäre trug Bölling Gedichte und Geschichten bekannter Autoren sowie Texte aus eigener Feder vor.

Von Lena Ozanik

Die Stimme des Erzählers im Einklang mit den Eindrücken des Waldes im Naturpark samt Vogelgesang, Laub rauschen in den Baumkronen, Mückentänzen und dem frischen Geruch nach Grün und Leben machten das Zuhören zu einer magischen Reise.

Los geht es auf einem Pfad umringt von Waldmeister hinein in den hellgrünen Wald. Der erste Halt ist bereits nach knappen 25 Metern, gefolgt von einer Begrüßung Herrn Böllings, der waldbezogene Umweltbildung sowie Schauspielerei betreibt und sich als »Reiseleiter« vorstellt. Anschließend spricht er über die menschliche Wahrnehmung, das Sehen von besonderen Orten, von Bäumen und dass kein »nein« in der Natur existiert, keine Ablehnung, stattdessen nur Positives und Schönes. Die Natur lädt uns Reisende also ein, sie zu erkunden. Um die 30 Personen zwischen 40 und 70 Jahren, teilweise im Wander-Outfit. Aber auch ein Herr in Anzug und schwarz polierten Lederschuhen lauscht den fröhlichen Texten, welche aber auch zum Nachdenken über das Verhältnis von Mensch und Natur anregen. Bölling schließt seinen ersten Vortrag mit den Worten: »Wir wollen in den Wald…!« und stapft gezielt tiefer ins Waldesinnere, gefolgt von gespannten Wanderern- oder sollte ich besser sagen (Litera-)Touristen?

Warum aus Elfen Elben wurden

Die zweite Station thematisiert Grimms Märchen und die Frage, warum aus Elben Elfen wurden. Bölling spricht über Wald- und Wassergeister, Feen, Feld- und Schutzgeister der Antike und andere mysteriöse, literarische Geschöpfe der Natur. Auf geht es nun in das neue Land, begleitet von der Frage, was wohl am Ende der Reise auf uns wartet. »Wird alles sein wie vorher, oder anders? – Wird es eine Veränderung im Bewusstsein der Wanderer geben?« fragt sich unser Reiseleiter. Er macht die Gruppe darauf aufmerksam, »dass das Tor in das Unbekannte in einem ist«. Wir sollen versuchen zu »spüren, wo wir uns psychisch, nicht physisch befinden«. Die Natur anschließend »begrüßen und durch das Tor, in das Land der Fülle schreiten«. An dieser Stelle spricht Bölling die für mich interessantesten Worte der Wanderung: »Schatten und Dämonen sind deine eigenen, finde sie und lerne sie zu reiten! « Die Vorstellung, dass ein Mensch sich nur selbst im Wege stehen kann und durch die Erkenntnis der eigenen Ängste oder Schwächen lernen kann diese zu nutzen, um alles Erwünschte zu erreichen, finde ich äußerst inspirierend.

Erinnerungen einer Ameise

Der dritte Aufenthalt ist Toon Tellegens Kinderbuch Eichhorn und Ameise feiern Geburtstag gewidmet. Während Bölling aus dem Buch vorliest, regnen Blüten auf die Wanderer, die auf dem trockenen Laub dem Geräusch echter Regentropfen gleichen. Die Geschichte handelt von einer Ameise, welche schöne Erinnerungen an Geburtstage in einer Schachtel aufbewahrt. Eines Nachts entweicht eine Erinnerung und fliegt durch das Schlafzimmer, wobei sie ihren Inhalt über die schlafende Ameise ergießt, bis sie wieder zurück in die Schachtel gleitet. Die fantastische Kindergeschichte passt zu der Atmosphäre inmitten des Blütenregens – ein netter Zufall. Bei weiterhin heiterer Stimmung in der Gruppe geht es weiter durch den Wald.

Die Kraft der Bäume

Die vierte Rast wird zu Ehren der Kurzgeschichte Der Mann der Bäume pflanzte eingelegt. Der französische Autor Jean Giono berichtet darin über einen Schäfer, der mit großer Mühe versucht einen kahlen Berghang in der Provence wieder zu bepflanzen. Die Geschichte wird aus der Sicht eines Mannes erzählt, welcher vor dem ersten Weltkrieg durch die französischen Alpen wandert und dort auf den Schäfer trifft, der über zehntausende Eichen und Buchen anpflanzt. Die Vögel singen, ein leichter Wind weht, die Zuhörer haben es sich auf Baumstämmen bequem gemacht (auch der Herr im Anzug) und lauschen der Geschichte.

Der fünfte Halt ist eine Fortsetzung von Der Mann der Bäume pflanzte. Neben der Wandergruppe grasen Pferde auf einer weitläufigen Weide und die Sonnenstrahlen, welche sich durch die Baumwipfel kämpfen, verströmen trotz der frühen Jahreszeit eine angenehme Wärme. Am Ende der inspirierenden Kurzgeschichte appelliert Bölling an die Wanderer auch Bäume zu pflanzen, um frische Luft und Leben zu schenken. Nun macht sich die Reisegruppe wieder auf den Rückweg.

Herr Wald und Frau Wasser

Die sechste und letzte Sation schließt die Wanderung mit einem lyrischen Text Böllings selbst, das Gedicht von Herrn Wald und Frau Wasser. Es umschreibt mit harmonischen Worten das Gedeihen und Vergehen des Waldes, sein Leben und Treiben. Die Protagonisten sind der Wald und seine Geliebte: »Frau Wasser ist mein Name, bin der Ursprung allen Seins, Tränen, Tropfen auf den heißen Stein…«. Bölling spricht von Symbiose, von dem Zusammenhang aller Dinge und davon, dass Mensch und Natur – genau wie Frau und Mann sich brauchen.

Zum Projekt

Mehr als zwischen zwei Buchdeckel passt? In ihrer Artikel-Serie ergründet Lena Ozanik, wie sich fiktive Geschichten ihren Weg in die Realität bahnen. Dem Phänomen Literaturtourismus begegnet sie mit historischer Weitsicht, als teilnehmende Beobachterin und als »Literatouren-Expertin« vor Ort in Göttingen

 
 
Die Abschlussworte findet Bölling mit Hilfe von Erich Kästner und Antoine de Saint-Exupérys Sehnsucht nach dem Meer. Nach zwei Stunden endet damit die Literarische Wanderung im Herzen des Naturparks Münden, doch keineswegs die literarische Reise der Wandernden an sich. Bei Gedichten von Heinrich Heine und gemütlichem Beisammensein im traumhaften Garten des Landhauses Dorotheenhof in Mollenfelde werden anschließend frisch gebackene Bärlauch-Pizza sowie Wein und Erfrischungsgetränken gereicht, um die Wandernden zu stärken. Nachdem die Stimme unseres Tour-Guides zum letzten Mal an diesem Tage verklingt, hängt jeder der Reisenden seinen Gedanken nach oder tauscht Erfahrungen und Eindrücke mit dem Nachbarn aus.

Die Natur als Geschenk

Ist nach der Reise nun alles wie vorher oder doch anders? Haben die Kraft der Natur und der Literatur das Bewusstsein der Wanderer verändert? Mit Sicherheit haben sie die Herzen der Zuhörer geöffnet und diese mit Wärme und Schönheit versorgt, vielleicht sogar bleibende Spuren hinterlassen. »Die Zeit und die Natur sind Geschenke, die unser Leben verändern« hatte Bölling zum Abschied gesagt. Diese Worte schienen mir sehr passend, angesichts der Hektik der modernen Welt, in der wir uns heute bewegen. Einmal rasten, den Lärm und Stress des Alltags ausblenden und für einen Moment der Ruhe und mit Unterstützung von schöner Literatur im Grünen durchatmen.

Warum nun aus Elfen Elben wurden, habe ich nach anschließender Recherche doch noch heraus gefunden: Verantwortlich ist die Erste Lautverschiebung, durch welche das »f« zu »b« wurde. Elfen und Elben sind demnach dieselben Wesen; jedoch hat sich die ursprüngliche Bezeichnung eher durchgesetzt. Einige Literaten, wie zum Beispiel J.R.R. Tolkien, nutzen aber den neueren Begriff.

Abschließend ist zu sagen, dass mir der Bezug von den ausgewählten Textstellen zu der Umgebung etwas gefehlt hat. Die Orte, an denen Literatur vorgetragen wurde, waren nicht auf den Inhalt abgestimmt. Eine klarere Verbindung zwischen Natur und Literatur hätte ich schön gefunden. Eine literarische Wanderung durch die Pracht der Natur kann ich dennoch empfehlen. Durch die Reise ist es möglich nicht nur die Texte sowie die Landschaft näher kennenzulernen, sondern vielleicht sogar ein Stück von sich selbst. Wer weiß, eventuell ist nach einer solchen Wanderung ja alles ein bisschen anders? Und wenn nicht, so hat man dennoch etwas dazugelernt – oder wie ich, seine Mediävistik-Kenntnisse aufgefrischt!



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 Veröffentlicht am 6. September 2012
 Kategorie: Misc.
 Bild mit freundlicher Genehmigung von Lena Ozanik
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