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Etwas Dazwischen

Peer Gynt der Lügner hat viele Gesichter und diese stellt das Junge Theater in seiner Inszenierung von Henrik Ibsens Klassiker facettenreich und etwas plakativ dar, indem nicht nur ein Schauspieler, sondern gleich vier Personen (Agnes Giese, Verena Saake, Dirk Böther, Jan Reinartz) Peer Gynt spielen.

Von Sophia Karimi

Der junge Peer lügt, erfindet und phantasiert ohne Rücksicht auf Glaubwürdigkeit und Verluste, seine Geschichten sind wild und übertrieben. Diese Phantasmen stoßen bei Mutter Aase schon auf wenig Begeisterung, die Dorfbewohner jedoch meiden und schmähen Peer, er ist ein Ausgestoßener der Gemeinschaft. Aus Übermut und Geldgier entführt dieser die reiche Bauerntochter Ingrid (überaus komisch dargestellt von Jan Reinartz), um sie daraufhin doch nicht zu heiraten und der schüchternen und unschuldigen Solveig (hier überraschend zart: Verena Saake) den Vorzug zu geben. Aufgrund seines Verbrechens muss Peer jedoch fliehen und flüchtet sich kurz in die unheimliche Welt der Trolle, dort kann er nicht bleiben, er ist sich selbst nicht genug, kann das Leben der Trolle nicht teilen. Daraufhin muss er endgültig der Heimat und Solveig entsagen, um dann in Marokko mit unmoralischem Waffenhandel und ähnlichen Geschäften zu viel Geld und wenig Ehre zu kommen.

Nachdem auch dieser Reichtum abhandenkommt, gestohlen von geldgierigen Bekannten, bleiben noch die Wüste mit durchtriebenen Schönheiten, das Irrenhaus mit verrückten Gestalten und eine Heimatfahrt mit Schiffbruch. Ewig reisend und hadernd geht Peer Gynt durch die Welt und wird nicht glücklich, um am Ende doch nur »so lala« zu sein und zu erkennen, dass er mit Solveig ein glücklicheres Leben gehabt hätte.

Das Stück

Peer Gynt
Von Tim Egloff
Weitere Termine
12.04., 17.04., 28.04., 11.05., 18.05., 29.05.

 

Junges Theater

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Das Junge Theater Göttingen entstand 1957 als innovatives und alternatives Zimmertheater. Der Schauspieler Bruno Ganz läutete hier seine Karriere ein, auch Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht verwirklichten sich im Jungen Theater. Heute bietet das Haus rund 200 Zuschauern Platz. Unter Intendanz von Andreas Döring setzt das JT auf zeitgemäße Themen auch in klassischen Stoffen.

 
 
Was macht das Junge Theater mit dieser an sich schon so erstaunlichen Geschichte? Gleich zu Anfang wird mit viel Dynamik klargestellt, Peer Gynt, das sind viele! Geisterhaft treten die Schauspieler auf, ganz in weiß vor weißem, minimalistischen Bühnenbild, um in ständig wechselnder Verteilung Peer, Aase, Dorfbewohner, Trolle, orientalische Schönheiten, durchtriebene Geschäftspartner und Irre darzustellen.

Besonders dem Charakterwandel des jungen Peers, der zu viel erfindet, aber doch eher unter jugendlichem Übermut leidet, zum durchtriebenen Peer, der viel Geld mit schmutzigen Waffengeschäften verdient, kommt dieses Konzept zugute. Auch wird es zwischendurch richtig witzig, wenn der stete Rollentausch komische Elemente betont und beispielsweise das Mädchen Ingrid von einem Endvierziger gespielt wird. Das Übertriebene ist hier gefragt und wird bedient.

Diese Klischeebrüche ziehen sich jedoch nicht konsequent durch die gesamte Inszenierung, Solveig darf ein junges, zartes Mädchen bleiben und auch Aase muss alte Mutter sein. Auch Gewalt und Sex werden überwiegend von Männern dargestellt, etwas mehr Mut an dieser Stelle hätte gut getan. So ist der Wechsel von Peer Gynt stellenweise etwas plakativ, wird jedoch mit großartigem Schauspiel und steter Präsenz gespielt. Das beständige Wechseln der Schauspieler führt glücklicherweise nicht zu Emotionslosigkeit und Verflachung, jeder der Darsteller ist in diesem Moment tatsächlich Peer Gynt. Die Liebesgeschichte zwischen Peer und Solveig, der Tod Aases sind aufrichtig gefühlvoll. Schön ist auch, dass ab dem letzten Drittel des Theaterabends, nach dem berühmten Vergleich Peers mit einer Zwiebel: viel Hülle – wenig Kern, ein beständiger Zwiebelgeruch den Zuschauerraum erfüllt. So wird diese Inszenierung auch zum olfaktorischen Erlebnis. Gegen Ende wird leider etwas zu viel und zu laut geschrien, das ist unnötig und mindert ungewollt die Tiefe der Darstellung.

Die Inszenierung von Tim Egloff im Jungen Theater bietet viel Kurzweil und stete Spannung. Die Schauspieler sind großartig und sorgen für sehr viel Dynamik auf der Bühne. Der freie Umgang mit Ibsens Text tut der Inszenierung keinen Abbruch, nur sollten Kenntnisse von Handlung und Geschichten bereits vorhanden sein, ansonsten könnten Unverständnis und Verwirrung auftreten. Henrik Ibsens Peer Gynt bleibt in dieser Inszenierung spannungsreich und aktuell.



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 5. April 2012
 Mit freundlicher Genehmigung des Jungen Theaters.
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 Ein Kommentar
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Ein Kommentar
Kommentare
 Iranoctis
 8. April 2012, 17:14 Uhr

Vielen Dank für den kurzen und doch inhaltsreichen Erlebnisbericht!

Ich bin noch ein Stück neugieriger und skeptischer geworden, was meinen baldigen Besuch des JT angeht. Rollentausch und Wechselspielchen erscheinen mir doch auch bei Textkenntnis unnötig wirr. Mal sehen.

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