Das Literarische Zentrum lädt zum Presskaffee und gibt Einblick ins Herbstprogramm 2013. Gesa Husemann, die ehemals die Geschicke von LitLog lenkte, begrüßt uns als Interimsleiterin des Zentrums und beweist mit dem neuen Programm, dass sie gut im Hause angekommen ist. Eine Vorschau.
Von Johanna Karch
Herbst- und Mutterfreuden gehen in der Spätsaison des Literarischen Zentrums 2013 miteinander einher: Anja Johannsen begibt sich nach drei erfolgreichen Jahren an der Spitze des Hauses und sechs abwechslungsreichen Programmkonzipierungen in Mutterschutz. Als Vertreterin wird Gesa Husemann die Führung übernehmen. Die freut sich auf die 23 kommenden Veranstaltungen und hofft, an den Erfolg der überaus gut besuchten letzten Saison anzuknüpfen zu können.
Anna Mohr, Repräsentantin der Klosterkammer Hannover, die das Kinder- und Jugendprogramm »Literatur macht Schule« fördert, lobt einführend dessen Erfolg. Das Projekt habe durch die vorbildliche Flächenarbeit und den außergewöhnlich guten Kontakt zu Schule und Lehrpersonal in Göttingen und in der Region ein Alleinstellungsmerkmal in der literarischen Frühförderung Niedersachsens. Kinder und Jugendliche über den Tellerrand blicken zu lassen sei eines der Hauptanliegen der Programmarbeit, betont die Projektleiterin Marit Borcherding. Gemäß diesem Auftrag wird Morton Rhue in englischer Sprache im September von den hierzulande kaum spürbaren sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise in den amerikanischen Suburbs berichten. Sein Buch No place, no home (Ravensburger, 2013) ist ein fesselndes Sozialdrama, das nicht nur die jungen Gemüter erhitzen wird, verspricht Volontärin Marisa Rohrbeck. Auch Rainer Merkel wirft im Oktober einen Blick über den europäischen Kontinent hinaus und verliert sich mit Bo (Fischer, 2013) im bürgerkriegsgebeutelten Liberia.
Dem jüngsten Publikum eröffnet die von der Leipziger Buchmesse 2013 als Lesekünstlerin prämierte Maja Nielsen die wilde Entdeckerwelt James Cooks. Für die Suche nach dem Paradies (Gerstenberg, 2009) hat sich die Autorin durch 17.000 Exponate der Ethnologischen Sammlung in Göttingen geforscht und sie wird auch in eben jenen Räumlichkeiten den Geist des Entdeckers wieder aufleben lassen.
Wie immer wird auch für die Großen gesorgt: In Kooperation mit dem an der Göttinger Universität angesiedelten Netzwerk für Lehrerförderung wirbt Kerstin Ziemen für eine Kultur des gemeinsamen Lernens und richtet sich mit ihrem Buch Kompetenz für Inklusion (Vandenhoeck und Ruprecht, 2013) an Pädagogen, Lehrer und Eltern. Ebenso einen Besuch wert und mit Göttingen verbunden ist die liebevoll sortierte Bibliothek für Kinder- und Jugendliteratur im Waldweg mit ihren wertvollen historischen Beständen, wo der Autor Alois Prinz seine Vater-Sohn Porträts von Luther bis Vesper (Rebellische Söhne Beltz, 2010) vorstellen wird.
Eindeutiger Stargast der »Literatur-macht-Schule«-Saison ist der Mann, dessen Einführung in die Geschichte der Philosophie, Sofies Welt, wohl allen Lesern die eine oder andere Erleuchtung bescheren konnte. Mit Jostein Gaarders neuem Streich 2084 – Noras Welt (Hanser, 2013) lanciert der Autor einen Umweltroman, der trotz mahnenden Grundtons keine Dystopie sein will, sondern eine Art Ideengeber à la Harald Welzer.
Ob Star oder nur Allürenträger: Im Hauptprogramm freut man sich auf die Performance des Exzentrikers Clemens Meyer. »Epochal ohne Übertreibung« bezeichnet Volontär Stephan Siegert dessen neusten Roman Im Stein (Fischer, 2013), mit dem er ein wuchtiges Gesellschaftsporträt der letzten 20 Jahre vorlegt. Wuchtig. So darf auch das fotografische Werk Autoren. Fotografien 1963-2012 (Steidl, 2013) der Hausfotografin des Literarischen Colloquiums Berlin, Renate von Mangoldt, betitelt werden. Im Gespräch mit Janet Boatin zeichnet sie ungewohnte Autorenbilder: einen sanften Michel Houllebecq, eine gelöste Herta Müller und einen fröhlichen Paul Celan. Hilde Schramm, die Tochter von Albert Speer, blickt ebenso weit in die Vergangenheit und setzt ihrer akademischen Wegbereiterin Dora Lux ein ehrwürdiges Denkmal. Im Gespräch mit Claudia Bruns erläutert sie die Streitbarkeit der jüdischen Frauenrechtlerin und ihr eigenes, ambivalentes Verhältnis zum Vater.
Aufmerksam machen will das Zentrum auf die in Deutschland noch recht unbekannte Autorin Joanna Bator, die eine der wichtigsten neuen Stimmen polnischer Erzählliteratur sei. Ihr neuer Roman Wolkenfern (Suhrkamp, 2013) spannt ein internationales Geflecht aus vielgestaltigen Frauenbeziehungen, die durch das kunstvolle Überlappen verschiedenster Erzählebenen zu einem Geschichtenteppich verdichtet werden, so der Veranstaltungstext. Seiner internationalen Ausrichtung bleibt das Haus auch treu, wenn es Helon Habilas Öl auf Wasser (Wunderhorn, 2012) anpreist, ein apokalyptisch anmutender Roman, der im Nigerdelta angesiedelt ist. Die Veranstalter betonen die Qualität des Werks und scheuen auch den Großvergleich mit Joseph Conrad nicht: eine literarische Perle, die als Umweltkrimi daherkommt. In der Reihe »neu_übersetzt« freut man sich auf Susanne Lange, die ihre kongeniale Übertragung des Don Quijote mitbringen wird. Meisterlich habe diese die Genauigkeit des Witzes und den Sprachrhythmus Cervantes’ ins Deutsche übersetzt, wie Volontärin Sarah Lodder betont.
Das Göttinger Bildungsbürgertum verlangt nach soliden Veranstaltungen mit Tiefgang: So veranschaulicht der Fernsehmoderator Sven Kuntze im Januar für die älteren Semester, wie man als Gentleman altert und was der demografische Wandel für das neue Älterwerden bedeutet. Der Philosoph Peter Bieri, auch bekannt als Nachtzug nach Lissabon-Autor Pascal Mercier, verschreibt sich im November dem Versuch, den Begriff Würde zu einem verstehbaren Terminus zu machen. Manuela Reichart und Judith Hermann würdigen am Tag darauf die »Queen of short stories« Alice Munro, die altersbedingt selbst nicht nach Göttingen kommen kann.
Gleichzeitig wurde Teilen des Programms eine Frischzellenkur verpasst, unter anderem weil das Kulturticket der Universität Göttingen zum Einsatz kommt: Ab Oktober ist der Eintritt für Studierende an der Abendkasse frei. So darf man mit vollem Haus rechnen, wenn im Januar Funny van Money, Britta Schröder und Franziska Wilhelm nonchalant zum Debütantinnenball bitten. Nicht nur hip, sondern mittlerweile auch etabliert und erfolgreich ist der Lyrikverlag kookbooks, der in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert und dazu die Räumlichkeiten des Zentrums mit feinsten Gedichtdarbietungen betören wird. Steffen Popp, Martina Hefter und Tristan Marquardt versprechen am 6. September die Räume performativ zu rocken.
Wie gewohnt liefert das Literarische Zentrum ein thematisch ausgewogenes Programm, das sich leichtfüßig durch das heterogene Zielgruppendickicht Göttingens bewegt. Dabei ist zu verschmerzen, dass die großen Kontroversen in dieser Saison ausbleiben und auch die Reihe »Liederabend« erst in der nächsten Saison weiter geführt wird. Solide sortierte Herbstzeitfreuden erwarten uns dennoch allemal.