Mit seiner Dissertationsschrift legt der Literaturwissenschaftler Wolf Christoph Seifert eine kritische und kommentierte Studienausgabe von Christian Wilhelm Dohms aufklärerischer Emanzipationsschrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden vor: Ein wichtiges Werk für die Hoch- und Spätaufklärungsforschung, aber auch der Grundstein für die Wiederentdeckung des preußischen Juristen und Schriftstellers.
Von Hartmut Hombrecher
Die Verleihung des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik an Jürgen Goldstein und seine politische Biographie Georg Forsters markiert einen neuen Höhepunkt bei der öffentlichen Wiederentdeckung sozial engagierter Schriftsteller des späten 18. Jahrhunderts. Schon in den letzten Jahren wurden etwa mit William Drennan, Heinrich Christian Boie oder dem Freiherrn Adolph Knigge immer wieder bedeutende Spätaufklärer in die Öffentlichkeit zurückgeholt.
Auch für einen Vordenker der jüdischen Emanzipation, den preußischen Juristen Christian Wilhelm Dohm (1751–1820), stand lange eine Wiederentdeckung aus. Dohms auf Bitten Moses Mendelssohns verfasstes Hauptwerk Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781/1783) wurde nun von Wolf Christoph Seifert als Dissertationsschrift in einer zweibändigen kritischen und kommentierten Studienausgabe herausgeben. Die Ausgabe lässt sich als Anstoß verstehen, auch Dohm neu – oder überhaupt einmal – zu entdecken. Fraglos ist der philosophische Staatsrechtler dem Fachpublikum bekannt, aber das Fehlen einer zufriedenstellenden kritischen Werkausgabe hat sicher nicht nur einer angemessenen wissenschaftlichen, sondern auch der öffentlichen Aufnahme Einhalt geboten. Dass eine solche Ausgabe lange Zeit ein Desiderat bleiben musste, mag an weitmaschigen diskursiven Bezügen und der staatsphilosophischen, aber auch rhetorischen Komplexität des Dohm’schen Textes liegen (Vgl. auch Seiferts Analyse der Rhetorik des ersten Teils bei II, 126–145). Dohm argumentiert mit dem Nutzen einer bürgerlichen Gleichstellung der Juden für die Gesellschaft und leitet ihn aus seinem Toleranzkonzept ab. Das geschieht unter der Annahme, dass die individuelle religiöse Identität auch in einem idealiter säkularen Staat schützenswert sei, also die Gleichstellung keine vollständige und erzwungene Anpassung zur Folge haben dürfe. Damit stellt Dohms Bürgerliche Verbesserung auch einen zentralen Text der preußischen Aufklärung dar, dessen Lektüre nicht nur über die spezifischen Fragen des Verhältnisses von Staat und Religion sowie der Emanzipation der Juden Aufschluss gibt, sondern auch Einblick in dezidiert aufklärerisches Denken zum Ende des 18. Jahrhunderts gewährt.
Kernstück KommentarbandDie teils ausführlichen Überarbeitungen, denen Dohm den ersten Teil seiner Bürgerlichen Verbesserung zwischen 1781 und 1783 unterzog, dürften ein weiterer Grund dafür sein, dass lange das Fehlen einer kritischen Edition zu beklagen war. Die Varianten und insbesondere die Verschiebungen ganzer Abschnitte stellen ein nicht zu unterschätzendes Problem für die Möglichkeit dar, die Ausgabe benutzerfreundlich und zugleich editorischen Ansprüchen genügend zu gestalten. Seifert vermag diese Schwierigkeit zu lösen, indem er bereits im Fußnotenapparat des Textbandes die für den Herausgeber inhaltlich relevant erscheinenden Varianten und Eingriffe anführt und den vollständigen textkritischen Apparat im Kommentarband einrichtet. Dieses Verfahren ermöglicht sowohl einen schnellen Überblick über die Bearbeitungen und damit die Argumentationsgänge Dohms als auch eine detaillierte Analyse der Textfassungen. Der Text ist zudem zuverlässig zeichengetreu wiedergegeben; sowohl verschiedene Typen als auch Schriftauszeichnungen werden unter dem Credo der Benutzbarkeit berücksichtigt. Ob allerdings die weitverbreitete und auch in dieser Ausgabe vorgenommene Modernisierung des Ae, Oe, Ue der Fraktur in Ä, Ö, Ü tatsächlich durch die vermeintlich verbesserte Lesbarkeit gerechtfertigt werden kann, führt dagegen wohl nur zu müßigen Diskussionen.
Das Kernstück der Ausgabe ist jedoch der inhaltlich versierte Kommentarband. Der Stellenkommentar verzeichnet Erläuterungen zu den zahlreichen juristischen Begriffen, Sätzen und Prinzipien sowie den von Dohm angeführten Werken und diskutiert unklare Textstellen gewinnbringend. Er stellt daneben außerdem Verweise zwischen einzelnen Textabschnitten und zum Überblickskommentar her, dessen Lektüre sowohl für Neulinge als auch für langjährige Dohmforscher ertragreich sein dürfte. Nicht zuletzt ist das der Fall, weil sich Seifert auch auf bisher nicht edierte Briefe Dohms stützt, die dankenswerterweise als Materialien anbei gegeben werden.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kommentar betont, dass die Emanzipation der Juden für Dohm nicht unter Missachtung der »partikularen Exklusivansprüche des religiösen Bewusstseins« (II, 61) vollzogen werden dürfe. Denn: »Autoritärer Zwang in Sachen Religion bedeutete die Negation einer Seite der Menschlichkeit des Menschen. Und gerade die Gewährung der freien Entfaltung dieser Seite der menschlichen Natur soll ja, so Dohm, das religiöse Individuum zur Entfaltung eines bürgerlichen Bewusstseins führen.« (ebd. Vgl. auch die Überarbeitungsanalyse bei II, 55 f.)
In der Forschung bisher oft nur am Rande gewürdigt wurde dagegen Dohms Konzept einer Schulreform, dem Seifert einige Abschnitte widmet (II, 70–80). Der Herausgeber fokussiert dabei auch auf die Ambivalenz in Dohms Argumentation und Rhetorik, die sich aus der Forderung ergibt, organisatorisch zwischen einem Realienunterricht in staatlichen Schulen und einem Religionsunterricht in den Chadarim und Jeschiwot sowie bei Hauslehrern zu trennen, zugleich aber alle jüdischen Kinder für den Schulbesuch zu verpflichten: »Dohms Vorschläge sind deutlich gegen diese traditionellen, religiösen Formen des Unterrichts auf jüdischer Seite gerichtet, die auf Real- wie auch auf staatsbürgerlichen Unterricht weitgehend verzichteten« (II, 77). Trotzdem hält er auch hier an seiner Kernthese fest, dass die Bürgerliche Verbesserung nicht auf eine Assimilation ziele. Dass das assimilatorische Potenzial der Forderungen trotzdem berücksichtigt wird, spricht für die differenzierte Argumentation des Kommentars.
Sehr erfreulich ist zudem die Ausstattung der Ausgabe mit einem auf Text- und Kommentarband bezogenen, aber leider nicht annotierten, Personenregister, das die Benutzbarkeit der Bände erheblich erhöht und damit für sich bereits einen Gewinn darstellt. Sieht man einmal vom tatsächlich sehr kleinen Wermutstropfen des recht fehlerbelasteten Literaturverzeichnisses ab, kann man gewiss sagen: Wolf Christoph Seifert ist mit dem Kommentar zu seiner Ausgabe die präzise Aufarbeitung und Erweiterung des Forschungsstandes gelungen. Zugleich liegt nun endlich eine editionswissenschaftlichen Ansprüchen genügende kritische Edition beider Teile von Dohms Bürgerlicher Verbesserung vor, die so lange ein Desiderat war.