Jede Stadt, die kulturell etwas auf sich hält, leistet sich ein Literaturhaus. Impulsgebend war Berlin, wo die erste Institution dieser Art ins Leben gerufen wurde. Die bloße Vermittlung feiner Schöngeistigkeit des Dichter- und Denkertums war den Berlinern aber von Anfang an zu wenig. Über die Geschichte des Literaturhaus-Erstlings berichten Helena Zeller und Anna Wurm.
Von Helena Zeller und Anna Wurm
Das Literarische Colloquium Berlin (LCB) befindet sich nun seit fast 50 Jahren an einem idyllischen Örtchen südlich Berlins. In malerischer Umgebung wird in der Villa am Wannsee seit Jahrzehnten Literatur zum Thema gemacht. Der Gründer des LCB, Walter Höllerer, legte schon früh den Grundstein für eine multidisziplinäre Ausrichtung, indem er Literatur, Theater, Film, Hörspiel und Fotografie unter einem Dach versammelte. So spielt z.B. die Fotografin Renate von Mangoldt eine entscheidende Rolle, die mit ihren Fotoportraits wichtiger Autoren das LCB seit den Sechzigern begleitet. Auch heute noch werden Lesungen oder Veranstaltungen, die sich um Literatur drehen, durch Musik begleitet oder mit Fotoausstellungen kombiniert.
Seine Anfänge verdankt das LCB vor seiner eigentlichen Gründung einer Veranstaltungsreihe vom Wintersemester 1959/60 der Technischen Universität Berlin. Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Höllerer lud für die Lesungen im Institut für Sprache im technischen Zeitalter Gäste wie Ilse Aichinger, Max Frisch und Günter Grass ein.
Über die Grenzen des GeschriebenenAm 10. Mai 1963 wurde schließlich der Verein des LCB gegründet, das erste deutschsprachige Kulturhaus, das die Literatur in den Vordergrund des Geschehens rückt. Dabei wird seit jeher viel Wert auf die Autoren- und Übersetzerförderung gelegt. Das LCB wurde zum Treffpunkt diverser Künstler, deren fruchtbarer Austausch schnell zu ersten Ergebnissen führte, wie dem von vierzehn Autoren 1963/64 verfassten Kollektivroman Das Gästehaus. Autoren aus dem Okzident und dem Osten Europas trafen aufeinander, um zu diskutieren, zu kritisieren und die Literatur neu zu positionieren, was besonders in der Zeit des Kalten Krieges ein Zeichen setzen sollte: Dass sich Literatur nicht in Grenzen sperren lässt. Neben den klassischen Lesungen für die das LCB bei den meisten Besuchern bekannt ist, soll es außerdem »Gästehaus, Arbeitsstätte und Talentschmiede« in einem sein und stellt den Gästen und Stipendiaten einige Zimmer im Haus zur Verfügung. Der Großteil der Gelder fließt daher in die Organisation von Werkstätten und Autorentreffen, in die Übersetzerförderung und in Schriftstellerstipendien.
Auf dem Gebiet der Übersetzerförderung betitelt sich das LCB selbst als »leuchtende Insel«. Der Übersetzer sei der eigentliche Literaturvermittler, wenn es um die großen, aber auch die noch unbekannten Stimmen der Weltliteratur geht. So initiierte das LCB 1997 den Deutschen Übersetzerfond, der sich der Förderung des Übersetzens widmet. Das LCB unterstützt hierbei nicht nur deutsche Übersetzer, sondern auch solche, die deutsche Werke in andere Sprachen übersetzen. Aus diesem Grund wird es nach eigener Aussage vom Auswärtigen Amt als wichtiger Gesprächspartner angesehen.
Den Diskurs über Literatur fördert das LCB auch durch die hauseigene Zeitschrift, Sprache im technischen Zeitalter, kurz Spr.i.t.Z. Als sprach- und literaturwissenschaftliche Zeitschrift informiert sie über die laufenden Veranstaltungen des LCB, widmet sich aber auch der Reflexion literarischer und poetologischer Themen.
Schließlich wären da noch die Literaturpreise, wie der von Günter Grass gestiftete Alfred-Döblin-Preis für unveröffentlichte Romanmanuskripte und der Lyrikdebutpreis, die vom LCB ausgerichtet werden.
Oftmals als Vorgänger des Literaturhauses bezeichnet, erfüllt das Literarische Colloquium Berlin, seinem Namen entsprechend, tatsächlich das wichtigste Kriterium eines Literaturhauses, nämlich – den Diskurs über Literatur zu initiieren. So wurde im LCB zunächst vor allem versucht die Literatur mit anderen Formen des Kulturbetriebs, wie Theater, Musik, Film und Fotografie, zu verbinden und neu nebeneinander zu stellen. Das LCB kann damit als Vorreiter der ersten seit 1986 gegründeten Literaturhäuser gesehen werden. Mit seiner stark ausgeprägten Autoren- und Übersetzerförderung, sowie der eigenen Literaturzeitschrift scheint es jedoch ein Kulturbetrieb zu sein, der noch über das heutige Literaturhaus hinausgeht. Was an anderer Stelle in verschiedene Kulturinstitute unterteilt ist, ist hier unter einem Dach vereint. Somit kann das LCB nicht nur als »ältestes Literaturhaus im deutschsprachigen Raum« (Michael Bienert, Goethe-Institut), sondern auch als »Nervenzentrum der gesamten deutschsprachigen Literatur« (Peter von Matt) gelten.