Der Protagonist ein Slacker, das Setting im Alten Land und die Story aus der Feder eines Autors mit Affinität zu Meeresgetier. Platz eins auf der Hotlist für eine solch krude Mischung? Für ein Buch, das sich leicht wie ein Heimatroman liest und ruhig wie die Elbe dahin strömt?
von Leonie Krutzinna
Die Hotlist 2009 ist die Antwort der Independent-Verlage auf den Buchpreis der Frankfurter Buchmesse. Geringe Auflagen und der Gedanke des l’art pour l’art, Innovation statt Ökonomie – die jungen Verlage bringen im Jahr oft weniger als eine Handvoll liebevoll lektorierter Titel auf den Markt, nach denen man vergeblich in den Bestseller-Regalen beim Buchhändler sucht. Auch der Hamburger Mairisch-Verlag arbeitet nach dieser Fasson und schickte Michael Weins mit seiner vierten Buchpublikation Delfinarium ins Rennen.
Der Titel und der elbtürkise Einband drängen ganz klar auf den Knotenpunkt des Romans. Denn dort, im Delfinarium, verliebt man sich. Susann, stumm und introvertiert, verweigert die Regeln der Kommunikation; und Daniel, indifferent und perspektivlos, verweigert die Regeln der Jugend. Nach dem Tod ihres Kindes hört Susann auf zu sprechen. So wird Daniel von ihrem Mann engagiert, die schweigsame Frau in den Zoo zu begleiten, um sie im dortigen Delfinarium seelisch zu kurieren. Doch dass dem Ganzen mit Delphintherapie nicht beizukommen ist, merkt Ich-Erzähler Daniel spätestens, als im Zoo plötzlich Max auftaucht und behauptet, Susann sei eigentlich Marie und seine als vermisst gemeldete Ehefrau.
Die Handlung ist in einer Welt angesiedelt, in der Vieles auf den ersten Blick spießig ist: das Alte Land mit seinen Obstbauern, Airbus mit seinen Arbeitsplätzen, Daniels beste Freundin mit ihrem Weltverbesserer-Engagement. Business und Industrie zeichnen eine schwarz-weiße Diegese, in die Daniels und Susann/Maries Geschichte beinahe surreal eingeflochten ist; denn aus eben dieser industriellen Fertigwelt treten die Hauptfiguren heraus. Durch sie wird das Spießige höchst postmodern ironisch gebrochen. Dann entpuppt sich zum Beispiel der Treffpunkt der Liebenden, das Delfinarium, als travestierter locus amoenus: Aus der obligatorisch-unberührten Natur des ›lieblichen Ortes‹ wird bei Weins ein überheiztes Schwimmbecken. Derlei charmant-naive Erzähltricks offerieren eine Lesart, die Großes tangiert. Eine Protagonistin, die überhaupt nicht spricht, rekurriert schon stark auf die Relevanz der Sprachskepsis für die Lektüre des Romans. Und eine solche Lesart antizipiert bereits das dem Roman vorangestellte Gedicht von Hans Arp:
Ob ich ich bin
ist nicht leicht zu sagen.
Zur Zeit bin ich eher
müde müde müde
und möchte lange
in ewigen Schlaf verfallen.
Da sind die Demarkationslinien
noch rätselhafter
als zwischen
ich du er wir ihr sie
Von den Dadaisten zu Obstbauern, über Airbus zu Nietzsche: Michael Weins schlägt einen Bogen, der 100 Jahre Philosophie und Geistesgeschichte nicht manifestartig umspannt, aber spielerisch ornamentiert. Die Hotlist-Jury (das waren übrigens wir alle, denn abgestimmt haben die Leser) überreicht Michael Weins Bronze. Für ein so zurückhaltendes und doch glänzendes Buch hätte es auch Gold sein dürfen.